Die EU und der Asterix-Mythos
Die Verhandlungen um eine EU-Verfassung, die spiegeln sich europaweit auch auf den Bühnen der Innenpolitik wieder. Eines der Hauptmotive im Konzert der tschechischen Debattenbeiträge ist dabei das Gefühl der eigenen Kleinheit. Zum dabei entstehenden Asterix-Mythos hören Sie das nun folgende Feuilleton von Gerald Schubert:
Zugegeben: Asterix ist irgendwie sympathisch. Wie der kleine Held mitsamt seinem kleinen gallischen Dorf der römischen Großmacht trotzt, das hat schon was. Doch ohne Zaubertrank und vor allem ohne Römerkompanien, die schwer bewaffnet gegen eine friedliebende Gemeinde anrennen, da würde das kokette Spiel mit der eigenen Kleinheit wohl schnell zur Farce geraten. Zur Farce, in der der gerechte Kampf gegen die Übermacht sich als Kampf um die liebgewonnene Eigendefinition als "klein aber oho" entpuppt.
Das Bild des Ringens von David gegen Goliath aber, das hat längst seinen Platz im Rhetorikbaukasten der Politprofis gefunden. Längst haben Populisten unterschiedlicher Herkunft den "kleinen Mann" entdeckt, und sie sagen ihm auch immer wieder, wie klein er ist, damit er es nur ja nicht vergisst. Tschechien ist da keine Ausnahme. In jüngster Zeit ist auch auf internationalem Parkett wieder "klein" gegen "groß" angesagt: Die Regierungskonferenz in Rom, bei der man sich auf eine zukünftige Europäische Verfassung einigen will, hat begonnen.
Dass Tschechien dort mit anderen eher kleineren Staaten gemeinsame Interessen durchsetzen will, das muss niemanden verwundern. Von dieser strategischen Verhandlungsposition einmal abgesehen hat das Land aber eigentlich keinen Grund, sich in Europa besonders klein zu fühlen. Ein Berater des ehemaligen Präsidenten Vaclav Havel hat dennoch neulich zu mir gemeint: Wenn Sie die Tschechen fragen, wie sie sich selbst und ihren Staat sehen, dann hören Sie ziemlich oft: Ach, wir sind ja nur so ein kleines Land. Er selbst, so fuhr er fort, habe fünf Jahre lang in Dänemark gelebt. Dort gäbe es nur etwa halb so viele Einwohner wie in Tschechien, aber er habe nie gehört, dass ein Däne so etwas gesagt hätte.
Klar: Bezüglich der Wirtschaftskraft Tschechiens gibt es, wie in anderen Transformationsstaaten auch, noch einigen Nachholbedarf. Und auch ein Blick in die Geschichte, wo zuletzt die jahrzehntelange Abhängigkeit von der Sowjetunion prägend war, kann hier einiges erklären. Doch der historische und kulturelle Reichtum des Landes findet weltweit seine Bewunderer, die politische Entwicklung ist weitgehend stabil, und auch die Zahlen sprechen für sich: Von den 25 Staaten der erweiterten EU liegt Tschechien mit seinen mehr als 10 Millionen Einwohnern an neunter Stelle.
Vergangene Woche konnte ich im tschechischen Parlament eine hitzige, teils lautstarke Debatte über die künftige Gestalt der EU verfolgen. Die Regierung will zwar in Rom noch über den einen oder anderen Punkt verhandeln, ist aber prinzipiell für eine EU-Verfassung. Gerade Länder wie Tschechien, so das Argument, würden im Zuge der europäischen Integration mehr Mitspracherechte genießen denn je. Dass die Opposition das anders sieht, das ist in einer parlamentarischen Demokratie nichts ungewöhnliches. Die immer wieder spürbare Pflege des Kleinheitsmythos, die sollte in dieser Debatte aber keinen Platz haben. Ein bisschen Mut zur gemeinsamen Größe wäre ein schöner Grundkonsens, der verhindern könnte, dass eine sachliche Europa-Debatte zur innenpolitischen Stimmungsmache verkommt.
Wer das eigene Land ständig klein redet, der setzt sich dem Verdacht aus, dass er den Bretterzaun rund um das gallische Dorf schon jetzt vermisst. Diesen haben jedoch nicht die Römer niedergerissen, sondern 77,3 Prozent der Dorfbewohner, in einer Abstimmung. Tut uns leid, Asterix.