Die heilige Lebensaufgabe des Herrn Krýza

Krýza-Weihnachtskrippe (Foto: Ondřej Tomšů)

Die heilige Familie, Schafhirten oder aber Bergarbeiter und Tiroler Apfelbauern – das alles findet sich in der Krýza-Weihnachtskrippe in Jindřichův Hradec.

Krýza-Weihnachtskrippe  (Foto: Ondřej Tomšů)

Krýza-Weihnachtskrippe  (Foto: Vojtěch Ruschka)
Unter den Weihnachtsbaum passt sie wirklich nicht. Die Weihnachtskrippe des Strumpfherstellers Josef Krýza benötigt nämlich einen eigenen Schauraum im Museum der südböhmischen Stadt Jindřichův Hradec / Neuhaus. Die Ethnografin Alexandra Zvonářová kümmert sich dort um die monumentale Weihnachtsszene:

„Die Krippe ist zwölf Meter lang und jeweils zwei Meter hoch und tief. Sie ist also ein wahrer Koloss. Beeindruckend ist aber auch die Zahl der Figuren – es gibt insgesamt 1400 davon, wobei rund 100 beweglich sind. Zwar sind die Gestalten klein, doch allein die Menge ist überwältigend.“

Entstanden ist das Meisterwerk Ende des 19. Jahrhunderts in der Strumpf-Werkstatt von Tomáš Krýza. Er hielt sich an den klassischen Krippenaufbau jener Zeit, im Zentrum steht die heilige Familie in einem eher orientalischen Ambiente. Die Szenerie drum herum bietet aber einen einmaligen Einblick in das Leben des ausgehenden 19. Jahrhunderts:

Foto: Ondřej Tomšů
„Natürlich sind die heilige Familie und die heiligen drei Könige zu sehen. Finden lassen sich zudem Musikanten samt Dudelsackspieler, was typisch ist für alle tschechischen Weihnachtskrippen. Krýza hat in seiner Weihnachtskrippe alles verarbeitet, was er um sich herum gesehen hat. Zum Beispiel sind oft Apfelhändler aus Tirol in die Stadt gekommen, und die verewigte Krýza mit ihren Tirolerhüten in der Krippe. Weiterhin hat der Meister die damalige Architektur von Jindřichův Hradec verewigt, unter anderem die Türme mit den Turmwächtern. Zu sehen sind auch andere kirchliche Motive, wie die Flucht nach Ägypten. Besonders interessant sind aber die Dorfszenen. Da sieht man einen alten Eisenhammer, eine Bäuerin beim Butterschlagen oder den Bauern beim Dreschen. Das sind heute historische Tätigkeiten, die kaum noch jemand kennt. In der Krippe leben sie aber weiter.“

Tomáš Krýza mit seiner Familie  (Foto: Public Domain)
Für den Strumpfmeister Tomáš Krýza war die Weihnachtskrippe erst ein Kindheitstraum, später wurde sie eine Lebensaufgabe:

Eine Krippe als Lebensaufgabe

„Im Alter von neun Jahren hat Tomáš Krýza erstmals die prächtige Weihnachtskrippe seines Onkels gesehen. Schon da fasste er den Entschluss, auch solch eine Krippe zu bauen. Mit 18 fing er dann an und arbeitete weitere 60 Jahre lang daran, also bis zu seinem Tod. Jedes Jahr zeigte er sein Werk dann der Öffentlichkeit, wobei das Ensemble immer größer wurde. Nachdem Krýza gestorben war, übergab dessen Sohn die ganze Krippe unserem Museum.“

Alexandra Zvonářová fügt mit einem Lachen hinzu, dass Tomáš Kryza eine sehr geduldige Ehefrau gehabt haben müsse. Denn der Strumpf-Meister steckte tatsächlich viel Zeit, aber auch kreative Energie in sein Werk:

„Krýza hat tatsächlich alles selbst gemacht. Er hat sich sogar das Material ausgedacht, aus dem die Figuren sind. Ursprünglich machte man diese bei Weihnachtskrippen aus Brotteig, Krýza mischte aber eine eigene Art von Ton an. Er hat auch die Kleider der Figuren selbst genäht. Anschließend bestrich er diese dann mit seiner Modelliermasse und erzielte so die Illusion einer Bewegung.“

Mit Spindeln und Nudelwalzen ins Guiness-Buch der Rekorde

Foto: Vojtěch Ruschka
Heute ist die Krippe sogar noch größer, denn sie wurde in den 1970er Jahren ergänzt. Hinzu kamen nämlich die Weihnachtskrippen von Emanuel und Bohdan Steinocher. Beide waren zu Lebzeiten Tomáš Krýzas Bäckermeister in Jindřichův Hradec und ebenso begeisterte Krippenbauer. Gerade diese Erweiterung brachte das Krýza-Ensemble vor genau 20 Jahren ins Guinness-Buch der Rekorde. Die wahre Meisterschaft steckt aber anderswo in der Krippe:

„Einzigartig ist der Mechanismus hinter der Krippe. Krýza war ja kein Techniker, er dürfte also viele Probleme damit gehabt haben. Da funktionierte alles nach dem Prinzip Versuch und Irrtum, je nach Bedarf kürzte er Leinen oder baute neue Verbindungen. Der Meister verwendete dazu alles, was er bei sich zuhause hatte. So findet man in der Mechanik eine Garnspule, eine alte Nudelwalze oder einen Teil von einem Spinnrad. Das verband er alles mit Drähten und unendlichen Bändern, auf denen die Figuren standen. Das Ganze wird dabei nur von einem einzigen Motor angetrieben.“

Foto: Vojtěch Ruschka
Der Motor ist jedoch neu, wie Alexandra Zvonářová zugibt. Ursprünglich hat Krýza die Mechanik mit einer Kurbel angetrieben.

Heute ist Pavel Cichra Herr der Mechanik hinter der Krýza-Weihnachtskrippe. Der Restaurator hält die Apparatur nicht nur in Schuss, sondern erneuert sie Stück für Stück. Seit zwei Jahren läuft nämlich eine Generalsanierung der heiligen Szenerie:

„Glücklicherweise gibt es noch alte Fotografien und Berichte, wie das einmal ausgesehen hat. Aufgrund dieser Dokumente wollen wir das Ensemble in seine ursprüngliche Form bringen. Heute stehen einige Elemente der Krippe, beispielsweise die Burg, die Ruine oder die Schmiede, an anderer Stelle, als ursprünglich von Krýza ausgedacht. Nun soll alles wieder so sein, wie es auf den alten Fotos belegt ist.“

Foto: Ondřej Tomšů
Genau das ist aber die größte Herausforderung bei der Arbeit an der Weihnachtkrippe. Denn alles in den Originalzustand zu bringen bedeutet, die komplette Mechanik umzubauen:

„Wir machen vieles auf gut Glück. Manchmal funktioniert etwas nicht, dann muss man es halt umorganisieren. Die Mechanik braucht im Prinzip eine Neuausrichtung. Die Seile der Automatik müssen neu verlegt werden, da einige Figuren wiederum einen anderen Platz finden, da ist halt rumprobieren angesagt. So kommt es dann auch, dass sich eine Sache zu schnell dreht, eine andere wiederum zu langsam. Das muss man dann so einstellen, dass es wieder rund läuft.“

Schicht für Schicht in die Vergangenheit

Foto: Ondřej Tomšů
Doch nicht nur die technische Seite soll ausgebessert werden. Auch die Figuren und die ganze Landschaft drum herum bekommen einen neuen Anstrich. Wobei das eigentlich der alte sei, meint die Restauratorin Zdena Skořepová:

„Die Krippe wurde nie vollständig restauriert, meist hat man nur Staub gewischt. Wenn irgendetwas zerkratzt war oder die Farbe bei einer Figur abging, dann haben das die Mitarbeiter des Museums ausgebessert. So wurde die ursprüngliche Farbe einige Male übermalt – und das je nachdem, welche Farbe gerade verfügbar war. Unsere Aufgabe ist es nun, die Krippe in ihren Originalzustand zu bringen. Wir müssen dazu mit einem Skalpell die neueren Farbschichten entfernen, chemisch geht das nicht. So sehen wir aber, wie die Figuren eigentlich ausgesehen haben, und das ist grandios. Bei manchen stellen wir sogar fest, dass sie ursprünglich als Teil der Mechanik beweglich waren. Sie waren halt nur verklebt von den ganzen Farbschichten.“

Foto: Ondřej Tomšů
Das alles sei vor allem deshalb nicht einfach, meint Skořepová, weil Krýza eigentlich alles spontan gemacht habe. Und nicht nur das:

„Krýza hat überhaupt keine Dokumentation zu dem Ganzen hinterlassen. Ich bin ja davon überzeugt, dass ihm geholfen wurde beim Bau der Krippe. Er hatte so viel Arbeit. Zum Beispiel beim Schneidern der Kleider für die Figuren sind Krýza bestimmt die hiesigen Hausfrauen zur Hand gegangen. Und auch bei den Holzschnitzereien war wahrscheinlich nicht Krýza allein am Werk. Zwar sehen die Figuren alle gleich aus, sie sind aber aus insgesamt zwölf verschiedenen Materialien gefertigt worden. Manche könnten auch hinzugekauft worden sein. In dieser Zeit waren vor allem Krippenfiguren aus Kuchenteig auf dem Markt zu haben, besonders Tierfiguren wie Hunde oder Schafe. Auf den ersten Blick erkennt man das nicht, ob die nun gekauft oder handgemacht sind.“

Foto: Ondřej Tomšů
Seit bereits zwei Jahren arbeitet ein ganzes Team von Restauratoren an der Weihnachtskrippe. Laut Zdena Skořepová dürften die Arbeiten noch weitere fünf Jahre dauern. Am Ende soll Krýzas Meisterwerk in altem Glanz erstrahlen, sondern auch weiter wachsen:

„Zum Beispiel einen Teil der Papierhäuser in der Krippe bekommen die Besucher nach der Restaurierung das erste Mal zu sehen. Die waren bisher in einem katastrophalen Zustand und ganz zerdrückt, die konnte man einfach nicht ausstellen. Man hatte sie in Kisten in den Lagerräumen des Museums versteckt gehabt. Die Krippe wird deshalb vielleicht ein bisschen anders ausschauen als bisher. Auch kommen noch weitere Figuren hinzu, die ebenfalls lange Zeit im Depot lagerten und nun restauriert wurden.“

Eine lebendige Tradition

Krýza-Weihnachtskrippe  (Foto: Ondřej Tomšů)
Třešť / Triesch, Třebechovice pod Orebem / Hohenbruck, Mohelnice / Müglitz oder Jindřichův Hradec – in kaum einem anderen Land trifft man auf so viele Meisterwerke der Weihnachtskrippenkunst wie in Tschechien. Das sei kein Zufall, meint Alexandra Zvonářová:

„Tschechien ist eine Krippen-Großmacht. Auch wenn diese Tradition während des Kommunismus in den Hintergrund getreten war. Gerade in den Grenzregionen zu Deutschland und Österreich wurden schon immer Weihnachtskrippen hergestellt. Hier im Süden war Jihlava ein Zentrum des Krippenbaus, da dort die deutschen Meister des Faches gelebt haben. Von da aus breitete sich die Kunst nach Jindřichův Hradec, Třešť und Telč aus.“

Die Krýza-Weihnachtskrippe kann man im Stadtmuseum von Jindřichův Hradec bewundern. Dieses ist von April bis Anfang Januar täglich außer montags von 8:30 bis 12:00 Uhr sowie von 13:00 bis 17:00 Uhr geöffnet.

Und die Tradition lebt weiter. Das beweisen auch regelmäßige Ausstellungen, die ebenfalls im Stadtmuseum von Jindřichův Hradec gezeigt werden:

„Gegenwärtig entstehen viele neue Krippen. Hier im Museum veranstalten wir alle fünf Jahre eine große Ausstellung zu Ehren von Tomáš Krýza. Da werden in der Regel um die einhundert neue Ensembles gezeigt. Sie kommen von den derzeit aktiven 60 Krippenbauern. Da ist dann zu sehen, dass diese Tradition immer noch lebt.“

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