Die Stellung der Frau in der Tschechischen Republik

Arbeits- und Sozialminister Vladimir Spidla

In der patriarchalen religiösen Tradition war die Familie immer hierarchisch aufgebaut und wurde vom Vater dominiert. So wie "Gott regiert die Welt" und "Gott liebt seine Kinder", sollte auch der Vater die Familie regieren und für ihr Wohlergehen sorgen. Der Familienvater war wie der himmlische Vater für Gerechtigkeit und Strafe zuständig. So beschreibt 1994 die amerikanische Soziologin Shere Hite in ihrem "Hite Report" das Entstehen von patriarchalen Strukturen der modernen Gesellschaft. Und damit auch herzlich willkommen zum Themenkaleidoskop, das wir dieses Mal ausschließlich dem Thema Frauen gewidmet haben und der Problematik, die auch in der Tschechischen Republik mit ihm verbunden ist. Am Mikrophon begrüßt Sie Veronika Siskova.

In Westeuropa sind Frauen-Emanzipation und Feminismus seit den siebziger Jahren ein viel diskutiertes Thema. Die Frau hat sich zwar viele Rechte erkämpfen können, dem Mann gleichgestellt ist sie aber bis heute noch nicht. Westeuropäische Frauen mussten nach dem Zweiten Weltkrieg, während dessen sie neben der eigenen auch die Arbeit ihrer Männer verrichtet haben, den Arbeitsmarkt für die heimkehrenden Männer frei machen und in vielen Fällen an den heimischen Herd zurückkehren. Viele von ihnen wehrten sich zwar, erschlossen sich schon bald einen neuen Arbeitsmarkt und strömten in Massen in die neu geschaffenen Sekretariate von Unternehmen und Verwaltungen, die Grundeinstellung der westeuropäischen Staaten blieb aber: Frauen haben in erster Linie die Mutter- und Ehefrau-Rolle wahrzunehmen.

Ganz anders als in Westeuropa entwickelte sich die Situation der Frauen in den sozialistischen Ländern, also auch in der damaligen Tschechoslowakei: nach dem Zweiten Weltkrieg entstand durch Verstaatlichung des Besitzes und durch die Förderung der Industrie ein sehr großer Bedarf nach Arbeitskräften in den Bereichen Industrie und Landwirtschaft. Dies führte zur Einbindung der Frauen in die Arbeitswelt, denn auch sie sollten sich am Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung beteiligen, wie es damals offiziell hieß. Auf diese Weise fand ein Kollektivismus auf allen Ebenen statt, durch welchen es dem Regime möglich wurde, alle nach seiner Ideologie zu erziehen: die Erwachsenen hatten ihren Platz in der Arbeit und in der Kommunistischen Partei, die Kinder wiederum in Krippen, Kindergärten, Schulen und der Pionier-Organisation - ihre Mütter hatten also keinen Grund, mit ihnen zu Hause zu bleiben. Die Aufwertung der arbeitenden Frau bewirkte auf diese Weise die Abwertung von Hausfrauen, die auf die Ausübung ihres Berufes verzichteten, um ihre Kinder nach ihren Vorstellungen erziehen zu können. Oft wurden sie sozial geächtet und Opfer von verbalen Attacken wie "die ist faul, die will ja gar nicht arbeiten".

Wie sieht die Situation der Frauen heute aus, nachdem sie nicht mehr arbeiten m ü s s e n ? Obwohl man erwarten würde, dass viele Frauen die Möglichkeit nutzen und mit ihren Kindern zu Hause bleiben, tritt dies nur vereinzelt auf, die meisten Frauen arbeiten weiter: einmal, weil sie sich an die Rolle der arbeitenden Frau gewöhnt haben, dann, weil sie, wie vor der Wende auch, das Geld brauchen. Außerdem kommt noch eine neue Komponente hinzu: Selbstverwirklichung, Karriere.

Mit der Vollbeschäftigung der Frauen ist auch die Tatsache verbunden, dass in Tschechien das Stillen von Säuglingen seit dem Zweiten Weltkrieg eher zu einer Seltenheit geworden ist, obwohl dies, da ist sich die moderne Forschung einig, das Beste für das Immunsysten und die Psyche sowohl des Säuglings als auch seiner Mutter ist. Dr. Magdalena Paulova, Oberärztin der Säuglingsstation des Prager Thomayer-Universitätskrankenhauses sieht die Gründe dafür wie folgt:

"Die heutigen Mütter befinden sich in einer Umgebung, die mit dem Stillen nicht vertraut ist. Unsere Mütter und vielleicht auch meine Generation haben ihre Kinder überwiegend nicht gestillt. Das heißt, dass sie es nicht können und dementsprechend die heutigen Mütter auch nicht unterstützen können. Erst die Kinder der heutigen Mütter werden das Stillen als etwas Selbstverständliches ansehen und werden ihren Kindern mit Rat zur Seite stehen können."

Viele Frauen wissen oft gar nicht, dass in der Tschechischen Republik die Mutter, sofern sie arbeitet, das Recht hat, ihr Kind während der Arbeitszeit zu stillen - dieses Recht ist im Paragraphen 161 des Arbeitsgesetzbuches verankert.

Die meisten Frauen in der Tschechischen Republik sind also vollzeitbeschäftigt. Wie sehen die Bedingungen aus, unter denen sie arbeiten? Die Tschechische Republik hat sich durch die Unterzeichnung von mehreren internationalen Verträgen dazu verpflichtet, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen einzuhalten und tatsächlich sind die ersten Schritte in Richtung Gleichstellung von Mann und Frau getan. Gesetzesnovellen zur Beschäftigungslage und zum Arbeitsgesetz verbieten nämlich die Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, verstärken die gleiche Behandlung von Mann und Frau hinsichtlich ihrer beruflichen Leistung, führen Elternschafts- statt Mutterschaftsurlaub ein und verbieten sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Außerdem regeln die Gesetzesnovellen die Ansprüche der Arbeitnehmer für den Fall, dass diese Gleichheitsprinzipien verletzt werden.

Das alles hört sich sehr gut an, nicht? Doch haben Frauen tatsächlich die gleichen Rechte oder werden sie, wie in Westeuropa auch, trotz schöner Gesetze diskriminiert? Die Realität sieht wie folgt aus: Frauen bekommen in der Tschechischen Republik im Durchschnitt 25 Prozent weniger Gehalt als Männer, nur drei Prozent der Frauen haben eine Spitzenposition inne im Gegensatz zu 9 Prozent der Männer, außerdem sind sie mehr von der Arbeitslosigkeit betroffen. Darüber hinaus haben Frauen nach ihrem Mutterschaftsurlaub sowie ältere Frauen Probleme, eine Anstellung zu finden.

Für diese Situation wird gerne die Erklärungen angeführt, Frauen verdienen deswegen weniger, weil sie sich schlechter bezahlte Jobs suchen und weil sie keine Führungspositionen einnehmen wollen. Tatsächlich stimmt dies aber nur in einem Drittel der Fälle, in welchen Frauen schlechter bezahlt werden.

Arbeits- und Sozialminister Vladimir Spidla
Wie können all diese Probleme gelöst werden? Der Arbeits- und Sozialminister Vladimir Spidla legte der Regierung bereits ein Dokument vor, in welchem er vorschlägt, wie Frauendiskriminierung vermindert werden kann: jedes Ministerium sollte eine Sonderabteilung einführen, die die einzelnen Gesetzesvorschläge nach dem Kriterium Gleichberechtigung von Mann und Frau werten soll. Dieser Vorschlag wird wohl auch in Zukunft bloße Utopie bleiben, der Ansatz aber ist sehr gut: gegen Frauendiskriminierung sollte von oben vorgegangen werden, denn eine Änderung des jetzigen Zustands wird wohl nicht durch das Umdenken der tschechischen Gesellschaft geschehen.

Autor: Veronika Siskova
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