Die tschechische Gasprivatisierung im internationalen Kontext

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüsst Sie Rudi Hermann.

In der Tschechischen Republik steht die Privatisierung von Schlüsselbereichen der Industrie bevor. Mehrmals war hier schon die Rede vom Sektor der elektrischen Energie mit dem umstrittenen Kernkraftwerk Temelin und auch vom Telekommunikationssektor, wo die im Konsortium TelSource zusammengefassten bisherigen strategischen Investoren KPN und Swisscom aus Cesky Telecom aussteigen wollen und sich deshalb der Verkauf eines staatlichen Mehrheitsanteils abzeichnet. Heute nun kommt ein dritter wichtiger Bereich zur Sprache, die Gasindustrie. Bei dieser Privatisierung ist ein gigantischer Kampf um Einfluss abzusehen, der nicht zuletzt auch Konsequenzen darauf haben könnte, über welche Leitungen und Territorien der Gasexport aus Russland nach Westeuropa stattfinden wird. Mehr zum Thema in den folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Für die Privatisierung der tschechischen Gesellschaft Transgas, die, wie ihr Name schon andeutet, auch den Transit dieses Energieträgers durch die Tschechische Republik in ihrem Pflichtenheft hat, scheint sich ein Zweikampf grosser europäischer Gaskonzerne abzuzeichnen. Als einer der Favoriten des Wettbewerbs gilt ein Konsortium aus Wintershall und RWE-Gas, sein Gegenspieler dürfte ein anderes Konsortium aus den Konzernen Gaz de France, Ruhrgas und der italienischen SNAM sein. Wie das Nachrichtenmagazin Tyden unlängst berichtete, scheint nun aber zu drohen, dass der Wettbewerb um das tschechische Unternehmen Transgas verfälscht werden könnte. Denn an der Spitze von Transgas sei es letzthin zu einer personellen Veränderung gekommen, die potentiell weitreichende Konsequenzen habe. So sei der bisherige Transgas-Chef Tomas Tichy von seinem Posten entfernt und durch Alena Vitaskova ersetzt worden. Während man bei Tichy davon habe ausgehen können, dass er die Privatisierung von Transgas und der angegliederten Distritubutionsgesellschaften problemlos abgewickelt hätte, bestehe nun unter der Führung von Vitaskova die Befürchtung, dass der Wettbewerb manipuliert werde und Tschechien als indirekte Konsequenz dessen mittelfristig um satte Transiteinnahmen für Gas kommen könnte.

Dies klingt alles reichlich verwickelt. Deshalb der Reihe nach: Bei Alena Vitaskova handelt es sich um die bisherige Vorsitzende der Distributionsgesellschaft Severomoravska plynarenska, und ihr werden sehr nahe Verbindungen zum Chef der tschechischen Abteilung von Wintershall, Arnost Thon, nachgesagt. In der Führung von Wintershall wiederum sitzt Rem Vjachirew, ein einstiger Spitzenvertreter des russischen Giganten Gazprom. Ausserdem soll es sich bei Vitaskova um eine enge Bekannte der stellvertretenden Ministerin für Industrie und Handel, Milada Vlasakova, handeln. Und ein weiterer Faden soll von ihr zur interimistischen Chefin des Tschechischen nationalen Besitzutmsfonds, der staatlichen Privatisierungsagentur, führen. Aus diesen personellen Verbindungen leitet das Nachrichtenmagazin Tyden die Gefahr einer möglichen Wettbewerbsverfälschung ab. Und fügt ein weiteres pikantes Detail zu Vitaskova hinzu: Diese sei nämlich in den Listen der Mitarbeiter des früheren kommunistischen Geheimdienstes in der Tschechoslowakei in zwei Kategorien geführt worden: Zuerst als informelle Mitarbeiterin, später gar als Agentin. Vitaskova allerdings legte einen Gerichtsentscheid des Inhalts vor, sie habe nicht bewusst mit der damaligen Staatssicherheit zusammengearbeitet. Und ausserdem ist Transgas seit einigen Wochen nicht mehr eine Staatsfirma, auf die das sogenannte Lustrationsgesetz angewendet werden müsste, das früheren Spitzeln die Bekleidung von Chefposten im Staatssektor verunmöglicht, sondern eine Aktiengesellschaft, auf die sich solche Auflagen nicht beziehen.

Wie wirkt sich nun aus, wenn das Konsortium Wintershall-RWE und nicht die Verbindung von Gaz de France, Ruhrgas und SNAM das Rennen machen sollte? Wie das Magazin Tyden schreibt, geht es dem französisch-deutsch-italienischen Konsortium darum, in Europa ein Gegengewicht zum russischen Giganten Gazprom zu schaffen. Dies könnte gelingen, wenn das Konsortium sowohl in der Tschechischen wie auch der Slowakischen Republik den Zusachlag zur Privatisierung der jeweiligen Gasgesellschaften erhält. Denn die Hauptpipeline für den Gastransport aus Russland nach Westeuropa führt über die Ukraine in die Slowakei und dann durch Tschechien. Macht hingegen Wintershall-RWE das Rennen, wäre wohl mit einem Ansteigen des Einflusses von Gazprom in Mitteleuropa noch über die jetzt schon bedeutende Position des russischen Konzerns hinaus zu rechnen. Zwar ist Ruhrgas als Aktionär an Gazprom beteiligt, doch besitzt Gazprom auch mit Wintershall ein gemeinsames Unternehmen namens Wingas und hat mit Wintershall zusammen Anfang der 90er Jahre die sogenannte Jamal-Pipeline über weissrussisches und polnisches Territorium nach Westeuropa verlegt.

Laut Tyden wäre ein Verkauf von Transgas an das Konsortium Wintershall-RWE indirekt als Erfolg von Gazprom zu werten. Dies hätte zur Folge, dass sich Gaz de France und Ruhrgas vermehrt auf die Jamal-Leitung für ihre Gasbezüge von Russland verlegen könnten. Wird diese Leitung aber mehr ausgelastet, gehen Tschechien und der Slowakei Transitgebühren verloren. Und nicht nur diesen beiden Staaten: Vor allem die Ukraine würde leiden. Es gibt eine Theorie, die besagt, dass Russland über Gazprom versucht, auf die Ukraine mehr Einfluss zu erreichen, indem man mit der Erstellung der Jamal-Leitung der Ukraine ihre bisherige Monopolstellung beim Gastransit von Russland nach Westeuropa untergrub und das Land mit der Erstellung von Alternativleitungen ganz umgehen könnte. Das könnte mit einer Leitung geschehen, die auf polnischem Gebiet parallel zur weissrussischen Grenze einen Anschluss an das bestehende slowakische und tschechische Leitungsnetz herstellt. Doch auch Polen könnte ganz umgangen werden, dann nämlich, wenn Russland eine Leitung durch die Ostsee direkt nach Deutschland verlegen würde. Aus diesen Alternativen wird ersichtlich, dass Wirtschaft und Machtpolitik im Gasbereich sehr nahe beieinander liegen und wirtschaftlicher wie auch politischer Druck mit diesem Energieträger verbunden sind. Namentlich die Ukraine ist verwundbar, da das wirtschaftlich schwache Land in den Transitgebühren für Erdgas eine wichtige Einnahmequelle hat. Polen wiederum würde mit seinem Einverständnis zu einem Jamal-Zubringer in die Slowakei die ukrainischen Interessen schädigen und dabei seiner eigenen Aussenpolitik, die in Kiew einen strategischen Partner sieht, widersprechen. Da Russland mit einem Marktanteil von 26 % der weltweit grösste Exporteur von Erdgas ist, ist ein harter Kampf um Interessen in diesem Bereich besonders zu erwarten. Für die tschechische Regierung macht all dies die Entscheidung über die Privatisierung von Transgas nicht eben leichter.

Autor: Rudi Hermann
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