Die tschechischen Staatsfinanzen auf problematischem Weg

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Die öffentlichen Finanzen gelten zurzeit als das schwächste Glied in der Kette der tschechischen Wirtschaft. Das Defizit des öffentlichen Haushalts erreicht von Jahr zu Jahr neue Rekordmarken, und die Verschuldung des Staates wächst in besorgniserregendem Tempo. Seitens der Regierung wird zwar geltend gemacht, dass dies in Kauf genommen werden müsse, wenn die Wirtschaft aus der Rezession in eine Wachstumsphase geführt werden soll. Analytiker wiederum meinen, im Moment, wo die Trendumkehr geschafft sei, müsse sich der Staat um ein solideres Finanzgebaren bemühen. Diesem Thema gelten die nachfolgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Mitte März hat das Finanzministerium die Bilanz des vergangenen Jahres bekannt gegeben. Daraus geht hervor, dass die Staatsschulden per Ende Dezember 2000 289 Milliarden Kronen ausmachten, 60 mehr als noch ein Jahr zuvor. Pro Kopf der Bevölkerung heisst dies, dass auf jeden Einwohner Tschechiens rund 30 000 Kronen entfallen, was etwas mehr als zwei monatlichen Bruttolöhnen entspricht. Und wenn man in die Zahl der Schulden noch die Defizite staatlicher Institutionen mit einschliesst, die ausserhalb des Zentralhaushalts stehen, dann klettern die Schulden sogar auf 335 Milliarden Kronen.

Am Brutto-Inlandprodukt gemessen ist die Höhe der tschechischen Staatsschulden allerdings noch nicht besorgniserregend. Sie bewegt sich gegenwärtig bei 20.5 %, was sehr bescheiden ist im Vergleich zu einer Quote, wie sie etwa Belgien, Griechenland oder Japan ausweisen. Dort liegen die Staatsschulden praktisch gleich hoch wie das Brutto-Inlandprodukt. Wenn Finanzanalytiker die Entwicklung der tschechischen Staatsschulden dennoch mit einer gewissen Beunruhigung verfolgen, dann nicht wegen der absoluten Höhe, sondern wegen dem Trend. Und dieser zeigt eindeutig nach oben. Denn noch 1997 hatten die Schuldenquote den Tiefpunkt der gesamten Dekade der 90er Jahre von 13 % erreicht, nachdem sie 1993 noch 18.8 % betragen hatte. Seither zeigt die Kurve allerdings wieder relativ steil nach oben. In den letzten vier Jahren, von denen drei die Sozialdemokraten an der Macht waren, stieg die Schuldenquote über 13.4, 15.0 und 17.8 auf 20.5%.

Und eine Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen, wie die Zahlen und Prognosen des Defizits der öffentlichen Finanzen zeigen. Beim Defizit der öffentlichen Finanzen handelt es sich nicht nur um den Staatshaushalt, sondern auch die Abschlüsse der ausserbudgetären Fonds und der Gemeindehaushalte. Und dieser Grösse kommt deshalb Bedeutung zu, weil sie massgebend ist für den Beitritt zum europäischen Währungssystem. Dort lautet nämlich die Bedingung, dass das Defizit der öffentlichen Finanzen nicht höher als 3 % des Brutto-Inlandproduktes sein darf. Dieses Konvergenzkriterium ist nötig, damit im Währungssystem alle Länder in etwa die gleiche Finanzdisziplin an den Tag legen müssen, damit nicht diejenigen Regierungen, die ihrer Bevölkerung eine gesunde Finanzpolitik abverlangen, letztlich die ausgabenfreudigeren Länder mitfinanzieren müssen. Das Defizit der öffentlichen Finanzen betrug im letzten Jahr knapp 100 Milliarden Kronen und dürfte heuer sogar auf 190 Milliarden klettern. Dies würde der schwindelerregend hohen Quote von annähnernd 10 % des Brutto-Inlandproduktes entsprechen und damit weit über der Dreiprozentgrenze der Europäischen Union liegen. Von 1994 bis 1999 hatte sich dabei die Tschechische Republik unter dieser Grenze zu halten vermocht.

Angesichts des herrschenden Trends müsste man davon ausgehen, dass die Regierung allmählich die Ausgabenbremse zieht. Das Gegenteil scheint allerdings der Fall zu sein. Vom ambitiösen und finanziell äusserst anspruchsvollen sogenannten Big-Bang-Programm des Industrieministers Miroslav Gregr zur Ankurbelung der Industrieproduktion war in dieser Sendung unlängst die Rede. Das Programm soll mit 265 Milliarden Kronen zu Buche schlagen. Ferner berät die Regierung gegenwärtig den Ankauf neuer Überschall-Abfangjäger für die Armee, deren reine Materialkosten auf 100 Milliarden veranschlagt werden. Verteidigungsexperten geben allerdings zu bedenken, dass die Gesamtkosten einschliesslich der dazu nötigen Infrastrukturverbesserungen schnell einmal in die Höhe von 300 bis 400 Milliarden Kronen steigen könnten. Der Schlussentscheid der Regierung zu dieser Investition steht, wie gesagt, allerdings noch aus. Da die Nato den Kauf neuer Flugzeuge von Tschechien nicht verlangt, ja Nato-Generalsekretär George Robertson unlängst erklärt hat, Prag würde besser in andere Bereiche der Armee-Modernisierung investieren, ist derzeit schwierig abzuschätzen, ob Tschechien die Flugzeuge tatsächlich beschaffen wird. Aber auch ohne diese Aufwendung finden sich noch genügend kostenintensive Projekte, namentlich der Bau von Autobahnen und die Modernisierung der wichtigsten Transitkorridore der Eisenbahn.

Woher soll der Staat das notwendige Geld nehmen? Die Finanzierung der Staatsschulden über die Emission von staatlichen Obligationen scheint derzeit kein Problem darzustellen. Petr Valenta, der für die tschechische Grossbank Ceska Sporitelna im Bereich des Obligationenhandels als Analytiker tätig ist, meinte gegenüber der Tageszeitung Mlada Fronta dnes, für die inländischen Finanzinstitute, neben den Banken auch Versicherungen oder Bausparkassen, seien Staatsobligationen ein günstiges Mittel, um die ihnen anvertrauten Einlagen der Kunden günstig und sicher anzulegen. Denn Obligationen bieten einen angemessenen Zins, der sich gegenwärtig zwischen 6 und 7 % bewegt, ohne grosses Investitionsrisiko. Dies nur schon deshalb, weil der Staat immer zur Rückzahlung in der Lage sein wird, verfügt er doch schliesslich über die Notenpresse. So erstaunt nicht, dass eine Emission von Obligationen in der Höhe von 4 Milliarden Kronen Mitte März auf einen grossen Nachfrageüberhang stiess.

Die Rechnung muss allerdings von jemandem bezahlt werden, und das ist in letzter Konsequenz die Bevölkerung. Denn je mehr Geld der Staat aufnehmen muss, um seine Schulden bedienen zu können, desto mehr bezahlt er an Zinsen. Und das ist Geld, das dann in der Staatskasse für andere Ausgaben fehlt. Laut dem Wochenmagazin Tyden muss Tschechien dieses Jahr allein für Zinskosten 20 Milliarden Kronen aufbringen. Einen Strich durch die Staatsrechnung könnten dem Finanzministerium ferner auch Mindereinnahmen aus der Privatisierung machen. Denn in den grosszügigen Ausgabeplänen für die nächste Zeit sind auch erkleckliche Einnahmen aus der Entstaatlichung der Energiewirtschaft und der Telekommunikationen sowie dem Verkauf von Mobilfunklizenzen der dritten Generation eingeplant. Doch all diese Projekte lassen sich weniger gut an als erhofft. Die Privatisierung der Erdgasindustrie dürfte statt der erhofften 100 Milliarden Kronen nur deren 80 einbringen, und bei der Elektrizität sprechen Analytiker statt der vom Staat prognostizierten 280 Milliarden nur von rund 100 Milliarden Kronen. In einer tieferen Kategorie ist auch der zu erwartende Minderertrag des Verkaufs der UMTS-Lizenzen bedeutend; während der Staat vor nicht allzu langer Zeit noch auf einen Erlös von 20 Milliarden Kronen hoffte, sprechen realistischere Prognosen von nur 6-8 Milliarden. Und in dieses Kapitel geht auch, dass die Privatisierung der noch staatlichen 51 % am ehemaligen Fernmelde-Monopolunternehmen Cesky Telecom unter den preislichen Erwartungen liegen dürfte.

Autor: Rudi Hermann
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