Ein besonderer Gast auf dem 13. Prager Schriftsteller-Festival: Der Literaturhistoriker Peter Demetz

Prager Schriftsteller-Festival

Am Donnerstag, dem 10. April ist das 13. Prager Schriftsteller-Festival zu Ende gegangen. Fünf Tage lang gab sich im Prager Theater Minor internationale Schriftsteller-Prominenz die Klinke in die Hand. Zu einem der ganz besonderen Festival-Gäste gehörte zweifelsohne Peter Demetz. Mit dem emeritierten Professor für Germanistik und Komparatistik an der amerikanischen Yale University in Conectitut sprach bei seinem kurzen Prager Aufenthalt unsere freie Mitarbeiterin Lucie Drahonovska.

Prager Schriftsteller-Festival
Peter Demetz ist 1922 in eine Prager deutsch-jüdische Familie hineingeboren, wo man seit der Kindheit Tschechisch und Deutsch gesprochen hat. Zu diesen beiden Sprachen kam noch das Ladinische väterlicherseits hinzu. Peter Demetz hat kurze Zeit in Deutschland und in der Schweiz gelebt, siedelte gemeinsam mit seiner Frau Hanna 1951 nach Amerika über, wo er sein neues Zuhause fand. Würde er sich sich selbst als einen Weltbürger bezeichnen können?

"Nein, nicht als ein Weltbürger, aber unbehaglich. Ich fühle mich überall unbehaglich (er lacht), weil ich überall übereinstimme und überall meine Reserven habe. Und ich gehe nicht ganz auf. Überall bleibt ein Rest von Distanz. Man kann es vereinfachen und sagen: In Europa bin ich der Amerikaner, in Amerika bin ich der Europäer. Das ist natürlich so bißchen übertrieben gesagt, aber es hat etwas mit meiner wechselnden Gefühlslage zu tun."

In der Familie von Peter Demetz sind sich unterschiedliche Kulturen begegnet: Beide Eltern kamen aus zugereisten Familien. Seine Mutter Anna war tschechische Jüdin, sein Vater Franz stammte aus Gröden. Mehr über seine Wurzel erzählt Peter Demetz selbst:

"Von meiner mütterlichen Seite ist es sehr einfach: Es ist eine jüdische Familie, die in Podebrad auf dem Marktplatz einen Laden hatte. Und um 1900, als Hilsner-Affäre Demostrationen hervor rief, schlug man ihnen die Fensterscheiben ein, demolierte den Laden und sie dachten sich wie viele andere Juden in Kleinstädten, in Prag ist Sicherheit und sind nach Prag übersiedelt, wo sie ihren Textilhandel hatten und die Familie hat hier bis Theresienstadt und Auschwitz gelebt. Von meiner väterlichen Seite ist es komplizierter, weil er aus Südtirol ist, aber aus einer ladinischen Familie. Und das ist eine Gesellschaft, die dort seit etwa 10. Jahrhundert sitzt, sie spricht eine uralte Sprache, die als Altprovensalisch klingt. Die gibt es noch heute - es leben dort noch etwa 30 Tausend Menschen."

Ladinisch hörte Peter Demetz als kleiner Junge von seiner ladinischen Großmutter Josefa. Gemeinsam mit seinen Eltern wohnten sie damals in einer, wie er sich erinnerte, unheimlich verschachtelten Wohnung am Teinhof. Die Oma war auch die letzte in der Familie, die ladinisch beherrschte. Er selbst habe es nie gelernt.

Als Demetz 2000 von der Universität in Ostrava/Ostrau ein Ehrendoktorat verliehen bekam, hat man dort ein auf Ladinisch übersetztes Gedicht des mährischen Dichters Jiri Wolker vorgetragen:

"Das Gedicht hat eine ladinische Übersetzerin in Botzen übertragen, ich kann es ja nicht. Und sie hat das widerum aus dem Deutschen übersetzt, weil sie kein Tschechisch las. Sie bekam in die Hand die Piper-Ausgabe der tschechischen Poesie und hat es gemacht. Sie interessiert sich für die Übersetzungen der Weltliteratur, der lyrischen Weltliteratur, ins Ladinische."

Nicht nur die beiden Sprachen - Tschechisch und Deutsch, sondern auch die Literatur hat Peter Demetz in seiner Familie lieben gelernt - von seinem Vater, der Literat und Theaterdramaturg war und Liebesgedichte an die Mutter im Prager Tagblatt veröffentlichte oder von seinem Onkel Leo Brod, der auf Tschechisch schrieb. Nicht anders sah es mit seiner Beziehung zur deutschsprachigen Prager Literatur aus, die er zu Hause kennengelernt hat - sei es mittels der Bücher in der Familienbibliothek oder durch Diskussionen seiner Verwandten.

"Sie /die deutschsprachige Literatur Prags/ war so im Haushalt anwesend. Das heißt, jeder hat geschrieben oder jeder hat für das Prager Tagblatt gearbeitet oder irgendwo anders. Es war eine große Sache. Aber erst später, nach zwanzig Jahren, da hat man bemerkt, dass es alles berühmte Leute waren. Aber damals war es noch nicht so."

Seine erste Dissertation, die er an der Karlsuniversität sechs Monate nach dem kommunistischen Putsch 1948 verfasste, hat Peter Demetz über "Franz Kafka und England" geschrieben. Die zweite verfasste er bereits an der amerikanischen Universität in Yale - dieses Mal nahm er die marxistische Literaturtheorie unter die Lupe. Sein wissenschaftliches Interesse galt genauso Rainer Maria Rilke wie Lessing, Fontane und der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Zu seinen letzten erfolgreichen Büchern gehören die 700-seitige Stadtbiografie "Prag in Schwarz und Gold. Sieben Momente im Leben einer europäischen Stadt", sowie die Essay-Sammlung "Böhmische Sonne, mährischer Mond". Sein jüngstes Werk, "Die Flugschau von Brescia", wurde 2002 auch auf deutsch herausgegeben. Seine tschechische Ausgabe ist für den kommenden Herbst geplant.

Es gäbe noch viele interessante Themen, über die man mit Peter Demetz noch lange sprechen könnte. Aber die Zeit ist unbarmherzig vorangeschritten und sein Spaziergang durch Prag geplant. Am Schluss unseres Gesprächs möchte ich von Peter Demetz noch eins erfahren: Was wäre er gerne geworden, wenn er nicht Literaturwissenschaftler geworden wäre?

"Wenn ich nicht Literaturhistoriker geworden wäre, fällt mir jetzt ein, hätte ich Filmhistoriker werden sollen. Das wäre viel besser gewesen."

Denn Peter Demetz ist als Junge sehr gern ins Kino gegangen. Wenn es von Zeit zu Zeit mit dem nötigen Kleingeld etwas knapp war, mussten sogar Bücher aus der zweiten Reihe der Familienbibliothek aushelfen: Er verkaufte sie in einem Antiquariat. Ob Peter Demetz seine Kino-Leidenschaft bis heute beibehalten konnte, auch wenn die alten historischen Kinos allmählich verschwinden?

"Ich kenne eine ganze Menge Kinos in Brünn, hier in Prag, in New York. Wo ich auch hingehe, sitze ich im Kino - in München, Wien. Wien hat natürich das Bellaria, wo alte Filme laufen. Da muss man gewesen sein. Ich wollte Mal ein Buch nicht über alte Filme schreiben, sondern über alte Kinos, Kinoräumlichkeiten. Aber bevor ich dazu gekommen bin, waren die alten Kinos alle weg - sie waren nur die Erinnerungen geworden."

Damit sind wir am Ende unseres heutigen Kultursalons. Aus dem Studio verabschiedet sich von Ihnen Lucie Drahonovska.