Ein Fisch mit Stock - die 88-jährige Marie Feiferova krault immer haarscharf an der Goldmedaille vorbei
Seniorenschwimmen? - Darunter stellt sich jeder so etwas vor wie geblümte Badekappen im 35 Grad warmen Kinderbecken - eine Art Wassergymnastik vielleicht. Höchste Zeit, die herkömmlichen Vorstellungen ein wenig zu aktualisieren.
"Ich habe nein gesagt. Ich hatte keine Ambitionen Filmstar oder Sportstar zu werden. Aber er hat mir Freikarten für das Schwimmbad gegeben und die kosteten sonst vier Kronen. Das hat mich interessiert und deshalb bin ich dann geschwommen. Das war im Jahre 1936", sagt Marie Feiferova.
1936, das war auch das Jahr der Olympiade in Berlin. Da sollte Marie Feiferova dann auch gleich für die Schwimmstaffel antreten. Dann reichte die Leistung der Staffel jedoch nicht für eine Olympiateilnahme aus. Aber es folgte eine zehnjährige Schwimmerkarriere, bei der sie 1940 auch den Titel der böhmisch-mährischen Landesmeisterin erkämpfte. Mit der Geburt ihrer zwei Kinder wurde das Schwimmen dann Ende der 40 Jahre eher zum Baden, wie Marie Feiferova erzählt. Aber über 60 Jahre später, wiederholte sich das, was sich 1936 abgespielt hat. 1997 entdeckte sie wieder ein Trainer des Slavia-Clubs. Seit dem macht sie auf den Welt- und Europameisterschaften der Senioren Furore. 1997 in Prag, 1999 in Innsbruck, 2000 in München, dann Wien, Stockholm usw. Mit der Silbermedaille ist sie fast immer von der Partie. Schwimmwettkämpfe in diesem Alter, das heißt auf alle Fälle erstmal ankämpfen gegen das geltende Zeitlimit, wie Marie Feiferova erklärt:
"In meinem Alter haben wir den Vorteil, dass wir aus dem Wasser heraus starten dürfen. Aber wenn Sie aus dem Wasser heraus starten, dann können Sie eigentlich nicht mehr das Zeitlimit für die Altersklasse erreichen. Wenn ich also das Limit erfüllen will, dann springe ich."
Zum Publikumsliebling wird Marie Feiferova schon, wenn sie an den Startblock geht.
"Ich gehe mit meinem Stock an den Start, aber ich komme nicht allein auf den Startblock rauf, der ist schrecklich hoch. Dann schieben mich die Veranstalter irgendwie rauf und das Publikum klatscht, weil die anderen dieses Handicap nicht haben. Ja und dann spring ich mit einem Kopfsprung ins Wasser und schwimme und schwimme."
Bei der diesjährigen Europameisterschaft in Slowenien gab es aber gerade in der Disziplin Freistil mit dem Start ein Problem. Sie wollte ihren Titel der Vize-Europameisterin verteidigen, den sie in Stockholm erschwommen hatte. Aber ein schlechter Start hat Sie unter das geforderte Zeitlimit fallen lassen. Eingeheimst hat sie aber die Silbermedaille bei 50 Meter Rückenschwimmen.
Marie Feiferova hatte vor Jahren noch im Prager Stadtteil Karlin gelebt, in ihrer eigenen Wohnung. Karlin war aber einer der Stadtteile, die das Jahrtausendhochwasser am stärksten betroffen hat. Ihre Wohnung war bis unter die Decke angefüllt mit Moldau-Schlamm, als das Wasser wieder langsam abfloss.
"Das war Ironie des Schicksals! Das Wasser, das ich so liebe, hat mir meinen gesamten Besitz vernichtet. Und das war sehr schlecht. Denn Seniorenschwimmer werden eigentlich nicht finanziell unterstützt. Das muss man selber bezahlen. Und die Meisterschaften sind immer an attraktiven Orten, wo Unterkunft und Verpflegung teuer sind. Wie zum Beispiel Stockholm. Aber weil meine Eltern Antiquitätenhändler waren, hatte ich eine Menge Antiquitäten. Und immer wenn ich für die Wettkämpfe Geld brauchte, habe ich etwas davon verkauft und konnte zu den Meisterschaften fahren. Aber 2002 wurden von dem Hochwasser alle meine Antiquitäten total zerstört."
Marie Feiferova musste ihre ganze Energie zusammennehmen, damit es wieder weiter ging:
"Also habe ich mit 83 Jahren und den 50.000 Kronen, die ich von der Stadt als Entschädigung bekommen hatte, noch einmal ganz von vorne angefangen. Seit der Zeit bin ich außerdem noch zwei Mal umgezogen, weil mir die neue Wohnung nicht gefiel, was auch so ein Husarenstück war. Alle haben mir davon abgeraten, aber ich wollte einigermaßen ordentlich wohnen, also bin ich mit 85 Jahren noch einmal umgezogen. Manche sehen mich als Abendteurer, aber ich denke - und daran halte ich mich auch - solange ich lebe, möchte ich leben und nicht überleben"
Das Hochwasser war aber nicht die einzige Hürde für ihren zweiten Schwimmer-Frühling. Der erste Schlaganfall traf sie 1998, ein Jahr nach ihrer ersten Teilnahme an der Europameisterschaft. Der letzte von vier Schlaganfällen ereilte sie dann vor gut einem Jahr. Daran sei sie aber auch selbst ein bisschen Schuld gewesen, sagt Marie Feiferova. Es sei 32 Grad heiß gewesen und sie habe sich Flug und Unterkunft für die Weltmeisterschaft in San Francisco organisieren wollen und das Hin und Her sei dann alles ein bisschen viel gewesen.
"Niemand hat geglaubt, dass ich das überleben werde. Ich war völlig am Ende. Aber wegen des Schwimmens - weil ich eben einfach so einen starken Willen habe - und weil ich eine Kämpferin bin, habe ich das überlebt."
Und so ganz will Marie Feiferova auch nicht einsehen, warum sie den Krankheiten nachgeben soll. Aber ihr Arzt hat ihr beim letzten Schlaganfall vor einem Jahr gesagt:
"´Na ja, Maruska, Sie sind 87, was wollen Sie denn? Das ist ganz einfach das Alter´, hat er gesagt. Na und jetzt im August, vor der Europameisterschaft in Slowenien, hat er gesagt, dass ich aufhören soll, Blödsinn zu machen. Aber ich mache eben weiter Blödsinn. Ich denke, ich habe das Leben schon praktisch hinter mir. Was ich machen musste habe ich gemacht. Ich habe zwei Töchter erzogen, habe mit drei Enkelkindern geholfen, jetzt habe ich sogar schon zwei Urenkel. Ich habe also meine Pflichten getan und ob es mich jetzt hier in Tschechien umhaut oder in Slowenien oder bei der nächsten Europameisterschaft im spanischen Cadiz, das ist doch völlig egal."
Die nächste Weltmeisterschaft in Australien will sie nicht mehr auf sich nehmen, auch weil sie es nicht finanzieren könnte. Aber mit einem Auge schielt Marie Feiferova schon auf die Europameisterschaft im spanischen Cadiz und all ihre Schwimmerfreunde rechnen mit ihr - obwohl sie dann 90 Jahre alt sein wird. Aber man kann es ihr ansehen, es kribbelt schon wieder. Und sie rechnet auch schon wieder ihre Chancen durch:
"Ich würde schon in die höhere Alterklasse rutschen - also 90 bis 94 Jahre - und da wäre ich auch wieder die Jüngste - aber wahrscheinlich auch die Einzige. Denn vor mir gibt es niemanden mehr."