Eisbader feiern stolzes Jubiläum: 70 Jahre Moldauschwimmen in Prag

Foto: Tschechisches Fernsehen

Das Weihnachtsfest feiern viele Menschen am liebsten ganz in Familie. Es wird aufgetafelt und geschlemmt, was das Herz begehrt. Der Müßiggang kennt kaum Grenzen. Doch es gibt auch Leute, die sich zu Weihnachten nicht extrem zurücklehnen, sondern sportlich aktiv sind. Zu ihnen gehören die tschechischen Eisbader, die jedes Jahr am Stephanstag in die Prager Moldau steigen, um eine gewisse Strecke zu schwimmen. Ihr von hunderten Neugierigen am zweiten Weihnachtstag verfolgtes Moldauschwimmen nennt sich Alfred-Nikodém-Memorial. Wir sind der Frage nachgegangen, warum Eisbaden hierzulande tatsächlich immer populärer wird.

Eisbaden ist nach wie vor eine ziemlich ungewöhnliche Form der Körperertüchtigung. Doch es gewinnt immer mehr an Popularität und weitet sich allmählich schon zu einer festen Größe im Wintersport-Kalender aus. Warum das so ist, das wollen wir heute (14. Dezember) einmal feststellen, und der Sache auf den Grund gehen. Dazu sind wir zu Gast im Trainingszentrum des I. Prager Schwimmklubs der Abgehärteten. Es liegt direkt am rechten Moldauufer im Prager Stadtteil Braník. Ständig gehen einzelne Klubmitglieder am späten Nachmittag zum Schwimmen in den kalten Fluss, während sich die anderen im kleinen und eher unscheinbaren Klubhaus aufhalten. Dort ist es gemütlich warm.

Foto: Tschechisches Fernsehen
Nach vier, fünf Stufen stehe ich im Vorraum des Gebäudes, von dem zwei Türen abgehen – zur Umkleide der Männer und zur Umkleide der Frauen. Ich trete in die Kabine der Männer ein und treffe auf vier oberkörperfreie Herren, die sich am Ofen wärmen. Sie haben ihre heutige Trainingseinheit schon hinter sich – ein in etwa 10- bis 15-minütiger Schwimmgang in der nahen Moldau. Ich will zunächst wissen, wie die heutige Wassertemperatur war.

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Heute ist es kälter gewesen als in der vergangenen Woche, aber immer noch angenehm“, sagt mir der erste Eisbader. Und auf meine Frage, was für ihn denn angenehm sei, erwidert er mir: „Es waren vielleicht sechs Grad. Das ist okay, denn es kneift noch nicht.“

Von Eisbader Nummer zwei erfahre ich, dass er und seine Sportkameraden jeweils montags und / oder mittwochs trainieren sowie an Wochenenden meist auch bei Wettbewerben starten. Und er verrät mir auch, warum er das macht:

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Eisbaden ist gesund, und danach gibt es immer eine Riesengaudi.“, erfahre ich. Der Spaß komme daher, weil der Körper nach dem kühlen Bad enorm viele Endorphine freisetze, was einen regelrecht beflügle. Und wie zur Bestätigung ergänzt der dritte Schwimmer:

„Der schönste Moment ist der, wenn man aus dem Wasser steigt. Beim Schwimmen selbst klappert man oft ein wenig, doch wenn man wieder am Ufer ist, hört das plötzlich auf – das ist einfach herrlich!“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Der vierte Herr bestätigt dieses Gefühl, das einen für die vorherige Überwindung und gewisse Pein um ein Vielfaches entschädige. Und der erste Eisbader fügt hinzu:

„Der Stress der ganzen Woche fällt von einem ab beim Schwimmen, und danach ist man wieder richtig klar im Kopf.“

Bei so vielen Glücksgefühlen und weiteren positiven Auswirkungen müsste man es doch eigentlich auch einmal probieren mit einem Schwimmgang im kalten Wasser. Doch das kann wirklich nicht jedermann auf Anhieb, schon gar nicht Menschen, die ein Herzleiden haben oder andere gesundheitliche Probleme. Zudem muss man seinen Körper erst Schritt für Schritt heranführen an den Temperaturschock. Man kann aber damit leicht beginnen – mit einer kalten Dusche im Bad der eigenen Wohnung. Tomáš Prokop ist Vorsitzender des ersten Prager Schwimmklubs der Abgehärteten:

Tomáš Prokop  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Man muss das Duschen nicht so handhaben, dass man die Wassertemperatur schrittweise herunterregelt. Denn aus dem Duschkopf kommt nicht so viel Wasser, das einen in Bedrängnis bringen könnte. Wenn man aber den Hahn für kaltes Wasser ganz aufdreht, dann genügen schon zehn Sekunden. In diesen zehn Sekunden sollte man versuchen, all seine Körperteile zu bespritzen. Die ersten zehn Sekunden sind sicher die schlimmsten. Doch das zweite oder dritte Mal Kaltduschen für zehn Sekunden ist schon weitaus angenehmer.“

Aha, Kaltduschen steht immer am Anfang, bevor man Eisbader wird, denke ich. Doch dem ist nicht immer so. Für Polizeiausbilder Zdeněk Tlamicha, der sich gerade auf seinen Schwimmgang in der Moldau vorbereitet, hat alles ganz anders angefangen:

Zdeněk Tlamicha  (Foto: Archiv von Zdeněk Tlamicha)
„Nach einigen Leiden, die ich hatte, habe ich mitbekommen, wie mein Gartennachbar immer zum Schwimmen ins kühle Wasser ging. Da habe ich mich ihm angeschlossen. Danach bin ich hierher zum Schwimmklub der Abgehärteten gekommen. Ich habe einen Winter durchgehalten, den zweiten, den dritten, und wie man sieht: Ich bin auch noch heute dabei.“

Mittlerweile sind es schon acht Jahre, in denen Zdeněk Tlamicha dem Eisbaden frönt. Er gibt unumwunden zu, dass es noch einen anderen Beweggrund gab, warum er überhaupt begonnen hat, diesen ungewöhnlichen Sport zu treiben. Der Grund ist das traditionelle Moldauschwimmen am zweiten Weihnachtstag, bei dem Tlamicha zunächst Zaungast war:

Foto: ČT24
„Für mich war der erste Impuls, es eines Tages selbst zu probieren. Ich habe dort so viele Leute gesehen, die bereit waren, in das kalte Nass zu steigen. Von da an wollte ich das auch.“

Das Ergebnis ist bekannt: Zdeněk Tlamicha gehört zu den aktivsten Eisbadern des Prager Schwimmklubs. Mittlerweile aber ist dieser Sport für ihn mehr als nur ein Abenteuer oder die Lust, es allen zu zeigen:

„Für mich persönlich ist es einerseits die Herausforderung, mir zu beweisen, dass ich mich selbst überwinden kann. Denn man schwimmt zum Teil unter extremen Bedingungen, es ist also kein Sport für Jedermann. Zum Zweiten lerne ich mich selbst besser kennen. Ich lerne einzuschätzen, zu was ich fähig bin, und auf meinen Körper zu hören. Es bringt also nichts, im Kopf verrückt zu spielen, und sich beim Schwimmen eventuell zu viel vorzunehmen. Da muss man diszipliniert bleiben. Zum anderen fördert Schwimmen im kalten Wasser die Gesundheit, und wir Eisbader sind ein verschworener Haufen. Das sind die Punkte, die mich hierher gebracht haben.“

Das 68. traditionelle Moldauschwimmen  (Foto: Michal Jurman,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Und wie Tlamicha freuen sich auch schon seine Mitstreiter darauf, dass sie am zweiten Weihnachtstag wieder sehr zentral im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen. Und dass dann wieder Dutzende Medien über sie berichten, wie vor zwei Jahren beispielsweise in diesem Videobericht von Euro-News:

„In Prag haben sich Dutzende Eisbader zum 68. traditionellen Moldauschwimmen ins etwa null Grad Celsius kalte Wasser gewagt. Tschechischen Medien zufolge wurde mit 290 Teilnehmern der Rekord gebrochen.“

Beim vergangenen 69. Jahrgang nahmen bereits 339 Schwimmerinnen und Schwimmer am traditionellen Moldauschwimmen teil. Und zum nunmehrigen 70-jährigen Jubiläum rechnen die Veranstalter sogar mit dem neuen Rekord von rund 400 Teilnehmern. Von einer solchen Anzahl konnte der einstige Pionier des Eisbadens in Prag vor über 90 Jahren nur träumen, sagt Tomáš Prokop:

Alfred Nikodém | Foto: Archiv des Tschechischen Verbandes der abgehärteten Schwimmer
„Der Wegbereiter war Alfred Nikodém. Er hat 1923 das Eisbaden in Prag salonfähig gemacht. Seinerzeit stiegen jedoch nur er und weitere sieben Schwimmer ins kalte Moldauwasser. Aufgrund der damaligen Bedingungen und der fehlenden Zuschauer war für die ersten Eisbader alles viel komplizierter.“

Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein waren die Winter zudem wesentlich kälter als heute. Es kostete also noch weit mehr Überwindung, um in die Moldau zu springen. Einmal kam es sogar vor, dass die Moldau durch den Dauerfrost auch in Prag zugefroren war. Tomáš Prokop:

„Das war im Jahr 1947 oder 1948. Die Eisbader wollten trotz der Kälte nicht auf das Schwimmen in der Moldau verzichten. Deshalb versuchten sie, mit Äxten ein großes Loch in das Eis zu schlagen. Doch es war so bitterkalt, dass die Äxte nach jedem Schlag sofort anfroren. Damals konnten sie kein Bad in der Moldau nehmen.“

Alfred-Nikodém-Memorial  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Ansonsten wurde das nach seinem Wegbereiter benannte Alfred-Nikodém-Memorial ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit ziemlicher Regelmäßigkeit ausgetragen. Dazu haben auch die Talsperren beigetragen, die vor rund 50 Jahren am Ober- und Mittellauf der Moldau errichtet wurden.

„Seit den 1960er Jahren friert die Moldau nicht mehr zu. Denn von den großen Stauseen wird wärmeres Wasser in Richtung Prag abgelassen. Das verhindert die Eisbildung“, erläutert Prokop.

Die sogenannte Moldau-Kaskade, wie das Trio der drei großen Talsperren südlich von Prag auch genannt wird, hat zudem noch einen zweiten positiven Effekt: Sie ermöglicht es den Eisbadern, nun schon ganzjährig zu trainieren.

Talsperre Slapy  (Foto: ŠJů,  Creative Commons 3.0)
„Für den Sommer bedeutet dies, dass das von der Talsperre Slapy in Prag ankommende Wasser relativ kalt ist. Von der Staumauer wird es das ganze Jahr über mit einer Temperatur von zirka zwölf Grad abgelassen. Auf dem Weg nach Prag erwärmt sich das Wasser zwar, aber nicht in hohem Maße. Die Wassertemperatur der Moldau liegt im Sommer in Prag zwischen 15 und 19 Grad Celsius. An einem heißen Sommertag ist das nicht unbedingt angenehm. Und wenn sich unsere Klubmitglieder dann so eine halbe bis ganze Stunde in diesem Wasser aufhalten, dann trägt dies auch in der warmen Jahreszeit zu ihrer Abhärtung bei.“

Alfred-Nikodém-Memorial  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Derart gut vorbereitet, sehen die Eisbader des I. Prager Schwimmklubs der Abgehärteten ihrem Jahreshöhepunkt schon mit großer Vorfreude entgegen. Der Anmeldeschluss für das Moldauschwimmen am Stephanstag war der 21. Dezember, das Training der Eisbader habe ich eine Woche zuvor besucht. Doch schon da zeigte sich Tomáš Prokop optimistisch, dass in diesem Jahr rund 400 Teilnehmer im Wasser unterhalb des Nationaltheaters an den Start gehen werden. Und im Starterfeld wird auch eine Reihe internationaler Gäste vertreten sein, versichert der Klubchef:

„Von ausländischer Seite sollten so 20 bis 30 Eisbader dabei sein. Es haben sich einzelne Schwimmer aus Großbritannien, der Slowakei, aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, aus Deutschland und anderen europäischen Ländern angemeldet. Gelegentlich kommen auch Schwimmer aus Amerika. Ich rechne damit, dass wir internationale Teilnehmer aus vielleicht zehn Ländern haben werden.“

Eine stattliche Konkurrenz also. Für den Prager Eisbader Zdeněk Tlamicha aber ist das alles kein Problem, wenn das Wasser nur kühl genug ist:

„Ich glaube allerdings nicht, dass das Wasser so kalt sein wird, wie ich es mir wünsche. Ich habe es am liebsten, wenn es unter zwei Grad ist. Das ist für mich ideal. Denn dann beginnen die anderen zu frieren, ich aber schwimme weiter“, verrät mir zum Abschied der abgehärtete Polizeiausbilder mit einem Augenzwinkern.

Autor: Lothar Martin
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