Ein Viertel aller Tschechen geht offiziell einem Gewerbe nach
Die Tschechische Republik ist ein Land der Unternehmer. Zu Ende vergangenen Jahres überstieg die Zahl der hierzulande ausgegebenen Gewerbescheine bereits die Grenze von drei Millionen. Das ist bemerkenswert, schließlich leben im Land nur rund zehn Millionen Menschen. Mehr über das Phänomen nun von Lothar Martin in unserem Wirtschaftsmagazin. Sie hören eine Wiederholung vom Januar dieses Jahres.
„Ich habe mir im Dezember den Gewerbeschein besorgt und sehe ihn als eine Möglichkeit an, um nach dem Studium eine Betätigung zu finden.“
So wie Urban denken in zunehmendem Maße besonders Hochschulabgänger. Tausende Unternehmer haben zudem gleich mehrere Gewerbescheine, und so haben die Ämter im vergangenen Jahr insgesamt 111.000 neue Zulassungen ausgestellt. Tschechien hat sich damit an die europäische Spitze gesetzt:
„Wenn wir die Zahlen in Relation zur Bevölkerungszahl setzen, dann hat Tschechien dreimal so viele Unternehmer wie das benachbarte Deutschland“,zieht Vladislav Čermín vom Ministerium für Industrie und Handel einen interessanten Vergleich. Nicht alle registrierten Unternehmer betreiben aber gegenwärtig auch ein Gewerbe. So mancher lässt seine Zulassung gerade ruhen, weil es ihm vermutlich an Aufträgen oder Geld mangelt. Über 100.000 Gewerbescheine wurden zudem an Ausländer ausgestellt. Am häufigsten in Tschechien unternehmerisch tätig sind Vietnamesen sowie Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Wegen der Wirtschaftskrise aber haben auch viele Unternehmen selbst zum Anstieg der Gewerbetreibenden beigetragen, sagt die Analytikerin der Raiffeisenbank Helena Horská:
„Firmen, bei denen die Auftragslage zurückging, versuchten dann, ihre Kosten zu senken. Dazu haben sie ihre Arbeitnehmer motiviert, ja manchmal auch gezwungen, im so genannten Schwarz-System zu arbeiten.“Als Schwarz-System (Švarc systém) wird in Tschechien das Beschäftigungsverhältnis bezeichnet, bei dem die Arbeitnehmer eines Unternehmens ihren Job als Selbstständige, also auf der Basis eines Gewerbescheins, ausführen. Dadurch spart der Arbeitgeber einen dicken Batzen an Lohnnebenkosten ein. Das System wurde nach seinem Erfinder, dem Unternehmer Miroslav Švarc benannt.
Sei das nicht der Fall, dann würden die Unternehmer sicher andere Wege suchen. Daher glaube er auch nicht, dass eine Steuererhöhung dem Staat auch wirklich höhere Einnahmen brächte, sagte Danda im Tschechischen Fernsehen. Auch dem Schwarz-System könne die Politik nur wenig entgegenhalten. Schließlich seien Leute, die arbeiten, für den Staat immer noch besser als Arbeitslose, die nur Kosten verursachen, so Danda:
„Derjenige, der im so genannten Schwarz-System arbeitet, ist eigentlich zufrieden, weiterhin seinen Job und damit ein Einkommen zu haben. Er ist motiviert und auch bemüht, etwas zu tun. Wenn jemand aber arbeitslos wird und sich nicht mehr bemüht, dann verliert er oft auch die Angewohnheit, die ich als sehr wichtig erachte. Ich meine die Gewohnheit, auf Arbeit zu gehen und bis zur Rente oder sogar bis zum Tod zu schaffen.“Wie aber sieht es unter den Gewerbetreibenden tatsächlich aus? Wie viele von ihnen sind gegenwärtig unternehmerisch tätig und zahlen Steuern, und wie viele haben ihre Unternehmungen vorerst eingestellt? Bedřich Danda:
„Nach den Informationen der Sozial- und Krankenversicherungen sind es ungefähr 960.000 Gewerbetreibende, die ihre Tätigkeit derzeit ruhen lassen. Dazu kommt die Gruppe derjenigen, die nicht so viel verdienen, dass sie Gelder abführen müssen, oder die andere Vergünstigungen haben, wie zum Beispiel die Studenten. Die Zahl der Unternehmer, die ihr Gewerbe wirklich als Beruf betreiben, liegt bei rund einer Million.“
Die Letztgenannten, die dem Staat und den Versicherungen auch wirklich Geld in die Kassen bringen, unterteilt Danda noch einmal in drei Gruppen:
„Ich denke, dass ein Drittel der Million Unternehmer, vielleicht auch etwas mehr, wirklich ein Gewerbe betreibt. Damit meine ich Handwerker wie Elektriker oder Schlosser, aber auch Fuhrunternehmer und andere Unternehmer. Ein weiteres Drittel der Million übt einen Beruf aus, dem eine selbstständige Tätigkeit zugrunde liegt. Das sind zum Beispiel Ärzte. Und die übrige Gruppe setzt sich aus Leuten zusammen, die alles Mögliche machen.“
Einer Trickserei aber, die besonders Handwerker vornehmen, steht Danda sehr kritisch gegenüber. Sie wird ausgeübt bei der Abrechnung der Einnahmen, die oft nicht lückenlos ist. Nicht selten würde nämlich ein Auftrag auch mündlich ausgehandelt und nach getaner Arbeit dann bar bezahlt, ohne einen Zahlungsbeleg. Aufgrund dieser Praxis entgehen dem Staat und den Versicherungen natürlich weitere Einnahmen, beklagt Danda:
„Das ist im Grunde genommen eine Schweinerei. Aber wenn es das System ermöglicht, dass der Preisunterschied für eine Dienstleistung sehr groß ist – ohne einen Beleg zahlt man beispielsweise 500 Kronen, mit Beleg aber 1000 Kronen -, dann wird der Kunde immer die Leistung für den halben Preis nehmen. Das ist ein Problem. Solche Gewerbetreibende zahlen zumeist sehr niedrige Steuern, weil sie in ihrer Steuererklärung nur kleine Erträge beziehungsweise Gewinne zur Versteuerung angeben. Aber das ist nicht das Problem. Das Hauptproblem bei diesen Gewerbetreibenden besteht darin, dass sie dem Gesundheits- und Sozialsystem auf der Tasche liegen.“Und so ist es eigentlich fast wie immer: Die neue Rekordzahl an Gewerbescheinen und Unternehmern in Tschechien ist Segen und Fluch zugleich.
Dieser Beitrag wurde am 19. Januar 2011 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.