Erst beliebt, dann verboten: die Agrarier in der Tschechoslowakei

Logo der Agrarier (Foto: Juan de Vojníkov, Wikimedia CC BY-SA 3.0)

Die tschechoslowakische Gesellschaft war zwischen den Weltkriegen eher links orientiert. Die Staatspräsidenten Masaryk und Beneš wie auch die meisten einflussreichen Künstler neigten zu sozialistischen Ideen, auch die Kommunisten waren sehr populär damals. Es gab jedoch eine erfolgreiche und allgemein respektierte Rechtspartei: die Agrarier.

Logo der Agrarier  (Foto: Juan de Vojníkov,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Die Agrarier formierten sich zu Ende des 19. Jahrhunderts als Partei, damals vereinigten sich in Mähren zwei landwirtschaftliche Verbände. Am Anfang war das Programm ziemlich vage, es bestand aus Losungen wie „Bauer, wähle nur Bauern“ oder „Die Bauernschaft kann nur durch Bauern vertreten werden“. Die Wende kam 1909, da wählten die Agrarier Antonín Švehla an ihre Spitze. Der charismatische Parteivorsitzende konnte die Probleme der ländlichen Bevölkerung prägnant beschreiben. Selbst Gutsbesitzer in Hostivař bei Prag, war er in der Lage, alle sozialen Schichten auf dem Land anzusprechen. Darüber hinaus gehörte er zu der eher kleinen Zahl von Politikern, die schon vor dem Ersten Weltkrieg über die Selbständigkeit von Böhmen nachdachten. Švehla wurde dabei mit folgender Aussage bekannt:

„Warum Wien? Ich verstehe nicht, was unsere Leute dort hinzieht. Für die Gewährung unserer Rechte ist Prag, nicht Wien der beste Platz. Dort sind wir niemand, hier können wir alles sein.“

Antonín Švehla
Kein Wunder auch, dass Švehla im Umbruchjahr 1918 den revolutionären Nationalausschuss leitete. Nach der Gründung der Tschechoslowakei wurde er eine der bedeutendsten Politiker des neuen Staates: Zunächst leitete er zwei Jahre lang das Innenministerium, dann war er mehrmals Ministerpräsident. Zudem beteiligte er sich entscheidend an der Ausarbeitung der tschechoslowakischen Verfassung.

Anfang der 1920er Jahre wurde jedoch die Umsetzung der Bodenreform zu seiner größten Aufgabe. Nach dem Ersten Weltkrieg besaßen Großgrundbesitzer rund ein Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in der Tschechoslowakei, es waren vor allem deutsche und ungarische Adelige. Das neue Gesetz begrenzte damals die maximale landwirtschaftliche Fläche je Eigentümer auf 150 Hektar. Was darüber hinausging, wurde gegen Entschädigung enteignet und an Kleinbauern verteilt. Das Thema war zu der Zeit für die Öffentlichkeit von großer Bedeutung. Petr Koura ist Historiker an der Prager Karlsuniversität.

Ein Denkmal in Stěžov,  das an die Bodenreform erinnert  (Foto: ŠJů,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
„Antonín Švehla sah die Bodenreform als sein persönliches Anliegen an, es war ihm klar, dass er die Ansprüche der unvermögenden ländlichen Bevölkerung befriedigen musste. Diese Leute stellten mehr als 90 Prozent der Einwohner auf dem Land und wollten auf ihrem eigenen Grundstück wirtschaften, aber sie hatten nicht das Geld, um eigenes Land zu erwerben. Die Reform wurde letztlich nicht konsequent durchgeführt und manche Großgrundbesitzer konnten ihr Eigentum verteidigen, dennoch punktete die Agrar-Partei dabei stark. Die meisten Kleinbauern wurden gerade ihre Wähler.“

Und nicht nur die Kleinbauern: Auch in den Städten fanden die Agrarier und vor allem ihr Vorsitzender viele Anhänger. Aus allen Parlamentswahlen der Zwischenkriegszeit ging die Partei als Sieger mit der höchsten Stimmenzahl hervor, dreimal wurde Švehla Ministerpräsident. Er praktizierte eine unaufgeregte und sachliche Politik, schon bald erhielt er den Beinamen „Meister des Kompromisses“.

Regierung Švehla  (1925). Foto: Archiv der Tschechischen Post
Antonín Švehla war es, der die Idee hatte, dass sich die Vorsitzenden der fünf führenden Parteien regelmäßig bei Staatspräsident Masaryk besprechen sollten. Die sogenannte Pětka - also „die Fünf“ - prägte die politischen Entscheidungen in den 1920er Jahren, obwohl sie dafür häufig kritisiert wurde. Die Agrarier erwiesen sich als sehr flexibel, wenn es darum ging, Koalitionen einzugehen. Partner wurden sowohl die Sozialdemokraten sein, als auch die christliche Volkspartei oder die Nationalen Demokraten von Edvard Beneš sowie die deutschen demokratischen Parteien. Gerade Švehla war es zu verdanken, dass die deutsche Minderheit 1926 zum ersten Mal an der tschechoslowakischen Regierung beteiligt wurde. Petr Koura:

Petr Koura  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Švehla verhandelte bereits 1918 mit den Deutschen, als sie in den Grenzgebieten den Aufstand probten. Als Innenminister wollte er sie davon überzeugen, sich in die neu entstandene Tschechoslowakei zu integrieren. Erst als die Verhandlungen scheiterten, schickte er Soldaten gegen die Aufständischen. Aber auch später war er der Meinung, dass die Deutschen die Möglichkeit erhalten sollten, sich an der Staatsverwaltung zu beteiligen. 1926 war seine Mühe von Erfolg gekrönt. Er nahm auch zwei deutsche Parteien in seine Regierung auf: den Bund der Landwirte und die Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei.“

Tomáš G. Masaryk und Antonín Švehla  (Foto: Archiv der Tschechischen Post)
Sicher erwähnenswert ist das Verhältnis zwischen Švehla und dem ersten tschechoslowakischen Staatspräsidenten Tomáš G. Masaryk. Beides waren zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die nicht immer einer Meinung waren. Švehla sagte zum Beispiel, dass die Gesellschaft erst erwachsen sein müsste für die Demokratie, ansonsten sei eine gute Diktatur die bessere Wahl. So etwas hätte der überzeugte Demokrat Masaryk niemals unterschrieben. Aber auch ihrer Herkunft nach unterschieden sie sich. Masaryk war Intellektueller und Universitätsprofessor, Švehla hingegen ein Bauersohn fast ohne Schulbildung, dies kompensierte er durch fleißiges Selbststudium und politisches Talent. Trotzdem respektierten sich beide Männer. Masaryk schlug Švehla sogar vor, 1927 zum Staatspräsidenten zu kandidieren, der Agrarier lehnte dies aber ab. Dabei spielten vor allem gesundheitliche Gründe eine Rolle, Švehla litt an einem Herzfehler, der ihn immer mehr belastete. Zu Beginn des Jahres 1929 musste er deswegen sein Amt als Regierungschef niederlegen. Seine Freunde verbreiteten damals folgenden Witz:

Beerdigung von Antonín Švehla  (Foto: Archiv der Tschechischen Post)
„Der Tod kommt zu Švehla und setzt sich an den Rande seines Bettes. ‚Warte einen Augenblick, lieber Freund‘, sagt der Kranke ruhig, seine Brille putzend. ‚Wir besprechen diese Dinge zunächst.‘ Švehla redet und redet, bis sich der Tod langweilt und weggehen will. ‚Oh nein, mein Freund, so geht das nicht‘, ruft Švehla. ‚Von mir ist noch keiner weggegangen, ohne dass ich mit ihm vorher einen Kompromiss ausgehandelt habe!‘“

Antonín Švehla starb 1933 im Alter von 60 Jahren. Danach blieb das Amt des Vorsitzenden seiner Partei für zwei Jahre verwaist. Dies sei aus Pietät geschehen, wurde damals gesagt. Der Kult um Švehla war aber so groß, dass die Agrarier auch ohne ihn 1935 ihr bestes Wahlergebnis errangen. Mit 14,3 Prozent der Stimmen gelangten sie zwar hinter der Sudetendeutschen Partei nur auf den zweiten Platz. Aber das Umrechnungssystem der Stimmen auf Mandate begünstigte tschechische Parteien, deswegen hatten letztlich die Agrarier mehr Abgeordnete als die Sudetendeutsche Partei. In demselben Jahr wurde Rudolf Beran zum neuen Parteichef gewählt – und er machte gleich auf sich aufmerksam. Nach dem Rücktritt von Tomáš Masaryk kam es zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen. Als Favorit galt Edvard Beneš, aber Beran stellte mit dem Botaniker Bohumil Němec einen Gegenkandidat auf. Němec war zwar erfolglos, aber Beran hatte sich damit politisch in Gefahr gebracht, betont der Publizist und Schriftsteller Pavel Hlavatý.

Rudolf Beran  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Edvard Beneš war bekannt als Mensch, der nichts vergaß, er konnte seinen Gegnern auch viele Jahre später noch Dinge vorhalten. Konkret lehnte es Beneš ab, Beran mit der Zusammenstellung der Regierung zu beauftragen, obwohl dieser Vorsitzender der stärksten Partei war. Die Aversion war aber gegenseitig, Beran hatte Beneš schon früher kritisiert, als dieser Außenminister war.“

Kurz nach dem Münchner Abkommen wird Emil Hácha anstatt Beneš zum Staatspräsidenten gewählt. Erst in dieser tragischen Lage für die Tschechoslowakei wird Rudolf Beran beauftragt, die Regierung zu leiten. Wenig später, am 15. März 1939, marschiert die Wehrmacht in Prag ein. Deutschland besetzt die „restliche“ Tschechoslowakei und errichtet das Protektorat Böhmen und Mähren. Beran dankt ab, wird kurz danach verhaftet und bleibt bis zum Ende des Krieges unter Hausarrest. Wenige Tage nach Ende des Krieges wird Beran erneut verhaftet und vor Gericht gestellt. Die Anklage lautet auf Hochverrat. Der Agrarier wird zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.

Wie ihr Vorsitzender hatte auch die Agrarpartei als Ganzes ein tragisches Schicksal. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie verboten, ihren Vertretern wurde vorgeworfen, sie hätten mit den Nazis kollaboriert. Ganz allgemein herrschte die Vorstellung, dass Rechtsparteien in der „neuen“ Republik keinen Platz mehr haben sollten. Hier kündigte sich bereits die politische Intoleranz des herannahenden kommunistischen Regimes an.