Schlacht am Weißen Berg – Historiker bewerten „nationale Tragödie“ neu

Schlacht am Weißen Berg

Die sogenannte Schlacht am Weißen Berg gilt seit Jahrhunderten als folgenschweres Ereignis. Der Waffengang am 8. November 1620 bildete den tragischen Höhepunkt des Ständeaufstands in Böhmen. Auch heute noch findet das Thema Resonanz in der tschechischen Gesellschaft. Denn erst seit der politischen Wende vor 25 Jahren hat sich die Sichtweise auf die Schlacht zu ändern begonnen. In der tschechischen Historiografie musste dabei eine Menge ideologischen Ballasts entfernt werden. Im Folgenden ein Rückblick auf das Ereignis und seine Rezeptionsgeschichte mit Meinungen renommierter Historiker.

Schlacht am Weißen Berg
Die Schlacht, die sich am 8. November 1620 auf dem Höhenzug mit dem Namen „Weißer Berg“ unweit von Prag abspielte, dauerte nicht lange. Nach zwei Stunden erlitten dort die von protestantischen Ständen aufgestellten Truppen Böhmens, Mährens, Schlesiens und Niederösterreichs eine herbe Niederlage. Den Sieg errangen die Streitkräfte von Kaiser Ferdinand II. und der katholischen Liga. Die militärische Auseinandersetzung hatte allerdings eine dramatische Vorgeschichte. Im Mai 1618 warfen Teilnehmer des verbotenen Protestantentages zwei kaiserliche Statthalter in den Hradschiner Burggraben. Der sogenannte Prager Fenstersturz wurde zum Startschuss im europäischen Staatenkonflikt, der als Dreißigjähriger Krieg in die Geschichte eingehen sollte. Das sprichwörtliche Öl ins Feuer gossen die böhmischen Stände 1619, indem sie den damaligen Kaiser Ferdinand II. als böhmischen König absetzten und den protestantisch gesinnten Kurfürsten, Friedrich V. von der Pfalz, als Nachfolger wählten. Der Historiker Jiří Mikulec:

Majestätsbrief  (Foto: Martina Bílá)
„Die Schlacht spielte sich im Rahmen eines Konfliktes ab, der einen ausgeprägt religiösen Rahmen hatte. Es ist jedoch bekannt, dass auf beiden Seiten - der katholischen und der evangelischen - auch Soldaten und Söldner der jeweiligen Gegenseite kämpften. Von diesem Punkt aus gesehen war es also kein lediglich zwischen den Religionen geführtes Gefecht. Die Schlacht wurde allerdings zur Initialzündung eines langen und folgenschweren Konflikts, der auf dem Boden der Böhmischen Kronländer zwischen dem katholischen Herrscher auf der einen und den überwiegend nichtkatholischen Ständen auf der anderen Seite ausgetragen wurde. Zu seiner Radikalisierung kam es übrigens schon Anfang des 17. Jahrhunderts. Mit der Herausgabe des so genannten Majestätsbriefes durch Kaiser Rudolf II. im Jahr 1609, der dem Land die Religionsfreiheit gewährte, konnte die evangelische Seite einen Teilerfolg feiern. Den Schlusspunkt setzte aber die Schlacht am Weißen Berg.“

Die Entwicklung vor 1620, die auf die Schlacht am Weißen Berg unaufhaltsam hinsteuerte, beschreibt mit Jaroslav Pánek ein weiterer Fachmann:

„Es war eine Zeit, in der die Konfessionalisierung der Politik ihren Höhepunkt erreichte. Im Zeitraum zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert wurde bei weitem nicht nur die Politik Böhmens, sondern auch insgesamt die europäische Politik von den einzelnen Religionen geprägt, in welche die westliche Christengemeinschaft zerfiel. Dies hatte in Böhmen mit der Hussitenbewegung begonnen und dem, wie es in der historischen Literatur bezeichnet wird, Königreich zweier Völker - der hussitisch orientierten Mehrheit und der katholischen Minderheit. Im 16. Jahrhundert kam die europäische Reformation hinzu, die durch das Luthertum und den Calvinismus die Entwicklung in Böhmen stark beeinflusste. Europa war in konfessionelle Lager gespalten. Die einzelnen Landesherrscher bekannten sich in der Regel zu einer der Konfessionen, die sie allerdings oft mit machtpolitischen Mitteln verteidigten. Ihr Vorgehen wurde rückwirkend durch die jeweiligen Kirchen legitimiert.“

Jiří Mikulec  (Foto: Marián Vojtek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Schlacht am Weißen Berg symbolisiert aber längst nicht nur die Niederlage des böhmischen Ständeaufstands. Auch in weiterer Hinsicht war sie ein bedeutender Wendepunkt. Jiří Mikulec:

„Die sogenannte ´ímperia mixta´ geht damit zu Ende. Diese gemeinsame Machtausübung des obersten Landesherrschers und der Stände wird durch eine neue Herrschaftsform abgelöst: der Ausfüllung des Herrscheramtes auf Lebenszeit durch den König. Damit beginnt die Ära des Absolutismus. Die Niederlage am Weißen Berg hatte Konsequenzen auch für die staatsrechtliche Entwicklung der Böhmischen Länder. Sieben Jahre später wurden sie mit der Einführung der sogenannten ‚Verneuerten Landesordnung‘ im Verwaltungsmodell der Habsburger Monarchie fest verankert. Es kommt zur Rekatholisierung, der Monokonfessionalisierung der Gesellschaft also, die viele Andersgesinnte ins Exil treibt. In der Folge des Dreißigjährigen Krieges stagniert die Wirtschaft, weil man neue Handelswege erschließen musste. Auf dem Lande kommt es zur Festigung des Untertanentums. Das dortige Alltagsleben hingegen veränderte sich nicht sonderlich stark. Der Lebensstandard war vor und nach der Schlacht auf demselben Niveau.“

Zdeněk Uhlíř  (Foto: Jana Šustová)
Um die Schlacht am Weißen Berg ranken sich seit jeher viele Mythen, diese wurden im Lauf der Geschichte zum Instrumentarium unterschiedlicher Ideologien. Der Historiker Zdeněk Uhlíř bezeichnet auch die rivalisierenden Religionen als Ideologien, unter deren Deckmantel es um machtpolitische Ziele gegangen sei:

„Die katholische und protestantische Ideologie gab es schon vorher, und man kann nur verfolgen, wie sie sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Schlacht am Weißen Berg veränderten. Im 19. Jahrhundert wurde die Schlacht dann in ein völlig neues Licht getaucht. Während der sogenannten nationalen Wiedergeburt entstand der Mythos einer schicksalhaften Tragödie der tschechischen Nation. Der Name ´Weißer Berg´ wurde zum Inbegriff für das nationale Desaster. Daran änderte sich nicht viel auch nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918.“

Weißer Berg - Denkmal von 1920  (Foto: Miaow Miaow,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Uhlíř spricht sogar von einem politischen Missbrauch. Bei der Durchsetzung der Bodenreform habe sich die tschechoslowakische Agrarpartei das Ziel gesetzt, die Folgen des Weißen Berges zu revidieren.

„Um sich der Landgüter zu bemächtigen, die sich bis dahin im Besitz des Adels und der Kirche befanden, brauchte man schlagkräftige Slogans. Das Bild des tragischen ´Weißen Bergs´ passte gut ins Konzept. Die Geschichte ging dann weiter, und die Kommunisten kamen an die Macht. Sie verstanden es, Palackýs und Masaryks Konzept der tschechischen Geschichte für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sie stellten auch die Hussitenbewegung in den Vordergrund, allerdings mit einer anderen Gewichtung. Die nationale Tragödie vom 8. November 1620 erhoben die Kommunisten sogar zu einer Zäsur in der tschechischen Zeitrechnung. Daraus wurde letztlich sogar das Klischee von der Zeit ‚vor dem Weißen Berg‘ und ‚nach dem Weißen Berg‘. Mir persönlich gefällt diese Unterteilung nicht. Sie erweckt den Eindruck einer Vorbestimmung, dass alles von vornherein auf den mit der Schlacht von 1620 verbundenen Konflikt hinsteuerte.“

Zdeněk Fierlinger
Bizarre Auffassungen wurden hierzulande schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geäußert. Im September 1945 fand eine Kundgebung auf dem Weißen Berg statt, die den Veranstaltern zufolge einen Schlussstrich unter das 325 Jahre alte Ereignis ziehen sollte.

Der Reporter des Tschechoslowakischen Rundfunks berichtete über die festlich geschmückte Tribüne mit der Aufschrift „Den Weißen Berg revidieren“. Und der erste Regierungschef der Nachkriegstschechoslowakei, Zdeněk Fierlinger, donnerte von der Tribüne:

„Der Weiße Berg hat dem Traum des tschechischen und slowakischen Volkes von Freiheit, Selbständigkeit und der wirklichen Volksdemokratie ein Ende gesetzt.“

Václav Majer
In welche Richtung sich die tschechoslowakische Geschichtsauffassung schon bald begeben sollte, deutete auch die Rede des sozialdemokratischen Politikers Václav Majer an:

„Hier am Weißen Berg hat unsere Nation eine herbe Niederlage erlitten. In einem ungleichen Kampf wurden die letzten Verteidiger der tschechischen Selbstständigkeit und der tschechischen Freiheit überwältigt und ausgemerzt. Nach dieser schrecklichen Niederlage kehrte die unglückliche Zeit unserer nationalen Geschichte ein: die Zeit der Finsternis, der Unterjochung und des Untertanentums.“

In den nachfolgenden Jahrzehnten schlug das Bild der nationalen Tragödie verbunden mit der „Epoche der Finsternis“ tiefe Wurzeln - in der kommunistischen Historiografie, in der Politik, in Schulbüchern und nicht zuletzt auch in den Köpfen vieler Bürger. Erst in den zurückliegenden 25 Jahren ließ sich die mit dem Schlagwort „Weißer Berg“ verknüpfte Geschichte sozusagen neu entdecken. Zdeněk Uhlíř fasst zusammen:

Schlacht am Weißen Berg
„Der Weiße Berg stellt nach wie vor eine Art Symbol dar. Allerdings nicht mehr ein Symbol der nationalen Tragödie, von der seit dem 19. Jahrhundert gesprochen wurde. Im damaligen Prozess der tschechischen Identitätsformung spielte diese Sichtweise natürlich eine Rolle, und ich möchte sie nicht verurteilen. Heute sehe ich das Geschehen aber eher als ein gesamteuropäisches Drama. In diesem Sinne war der Weiße Berg nicht nur ein Wendepunkt für Böhmen, sondern auch für andere Nationen in Europa.“

Mit der Schlacht wurde nämlich die endgültige Glaubensspaltung auf dem Kontinent besiegelt.