Europäische Kulturkontakte in der Vergangenheit und heute

Prag - Kulturstadt Europas des Jahres 2000. Sie kennen aus unseren Sendungen sicher schon sehr gut dieses Projekt, das die tschechische Hauptstadt in einen breiteren Rahmen in das europäische Kulturleben einordnet. Wir wollen uns heute zwei Veranstaltungen widmen, die im Rahmen dieses Projekts realisiert werden. Die "Internationale Woche der Teyn-Orgel" und die Ausstellung "Die Flügel des Ruhmes" sind unsere heutigen Themen. Sie zeigen gut, das die Kunst nie eine geschlossene, nationale Angelegenheit war, sondern immer ein Sparten übergreifendes, grenzüberschreitendes Unterfangen. Gute Unterhaltung wünscht Marketa Maurova.

Das Herbstfestival der Sakralmusik in Prag kann bereits auf eine neunjährige Tradition zurückgreifen. Die Eröffnung der St.-Wenzel-Festtage - so der Name der Festspiele - in diesem Jahr brachte aber ein außergewöhnliches Ereignis. Welches, davon sprach ich mit dem Festivaldirektor, Pavel Svoboda:

Die Orgel in der Teyn-Kirche wurde in den Jahren 1671-73 vom deutschen Orgelbauer Johann Heinrich Mundt aus Köln gebaut. Mit Ausnahme einiger Eingriffe aus dem 19. Jahrhundert ist die Orgel auch nach 300 Jahren im ursprünglichen Zustand geblieben. Anlässlich der Beendigung der zwei Jahre dauernden Rekonstruktion des Instruments fanden in Prag in dieser Woche nicht nur die erwähnte Konzertreihe, sondern auch ein internationales Symposium zum Thema "Mitteleuropäische Aspekte des Orgelbaus, der Orgel- und Sakralmusik in Prag und in den böhmischen Ländern" und ein Interpretationskurs statt. Die Orgelwoche wurde vom Institut für deutsche Musikkultur im östlichen Europa mitveranstaltet. Womit man sich dabei befasste, sehen Sie am Beispiel des Forschungsbeitrags des Vorsitzenden des Instituts, Professor Dr. Klaus Wolfgang Niemöller:

In die Galerie Rudolfinum führt Sie unsere folgende Einladung. Dort wurde vor kurzem eine Ausstellung eröffnet, die das größte Projekt in der Geschichte der Galerie in Bezug auf die Anzahl der ausgeliehen Werke, aber auch eine Ausnahme in deren Dramaturgie darstellt. "Die Flügel der Ruhmes" mit dem Untertitel "Hynais, tschechische Pariser und Frankreich" heißt die Ausstellung, die den Einfluss Frankreichs auf die tschechische bildende Kunst in den letzen drei Jahrzehnten des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt. Das Interesse der Künstler, die ihre Ambitionen und künstlerischen Träume mit Frankreich verbanden, orientierte sich damals vor allem am offiziellen, aus klassischer Tradition schöpfenden Schaffen, an Werken der französischen Akademiker. Bleiben wir aber noch bei dem Namen der Ausstellung, einer Erfindung des Galerie-Direktors, Petr Nedoma. Ist dieser Name für die heutige Zeit nicht etwas zu pathetisch ? Die Kuratorin der Ausstellung, Marie Mzykova meint keinesfalls:

"Ich finde den Namen sehr zutreffend. Er drückt den Trend der akademischen Kunst, der l'art pompieuse aus, die zum Triumphalismus, zu schwungvollen Ideen neigte. Dies funktionierte bei uns ebenso wie in Frankreich: Eine beflügelte Figur, Viktoria, diese sehen Sie auf den Säulen vor dem Rudolfinum, an öffentlichen Bauten bei uns, sowie wie in Frankreich. Zu jener Zeit handelte es sich dabei um ein bedeutendes Thema."

Das Zentralmotiv der Ausstellung ist die Gestalt des "Genies auf den Flügeln des Ruhmes", eine Alegorie die Vojtech Hynais, einer der führenden Repräsentanten der tschechischen Künstler in Paris, der sog. "tschechischen Pariser", auf dem Vorhang im Prager Nationaltheater darstellte. Nur wenige Leute wissen dabei, dass ihm die bekannte französische Malerin Suzanne Valadon als Modell für diese Alegorie stand. In Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirkten viele tschechische Künstler. Sie strömten in vier Wellen nach Paris. Mehr dazu sagte uns die Kuratorin der Ausstellung, Frau Dr. Marie Mzykova:

"Die erste Welle der tschechischen Pariser verließ die böhmischen Länder nach 1848. Es waren Leute, die als Studenten an Kämpfen des Jahres 1848 aktiv teilnahmen und die eine Strafe erwartete: Cermak, Pinkas und weitere. Die zweite Welle kam mit der Ankunft von Vaclav Brozik und Vojtech Hynais in Paris. Und die dritte Welle, das war die Gruppe um Alfons Mucha, Vaclav Sochor, Vojtech Bartonek. Diese sind nicht so bekannt, sie machten aber in Paris auf sich aufmerksam. Vaclav Sochor zum Beispiel war der einzige tschechische Künstler, der seine Werke im französischen Salon ausstellen konnte. Die vierte Welle war die erfolgreichste: Alfons Mucha selbst, Frantisek Kupka. Diese Generation spielte in Paris eine bedeutende Rolle, Alfons Mucha beteiligte sich an der Entstehung des Art nouveau, nach ihm bezeichnete man diesen Stil als "le style Mucha". Das war eigentlich der Höhepunkt des Erfolgs tschechischer Pariser, dann wurde die Tradition durch den 1. Weltkrieg unterbrochen."

"Flügel des Ruhmes" zeigt Werke der "tschechischen Pariser", aber auch Bilder der französischen Maler der anerkannten Kunstszene des 19. Jahrhunderts. Wir haben am Anfang gesagt, dass die Ausstellung eine Ausnahme in der Dramaturgie der Galerie Rudolfinum darstellt. Es wurde dabei nämlich zum ersten Mal die Grenze des Jahres 1900 überschritten. Die Galerie konzentriert sich hauptsächlich auf moderne und Gegenwartskunst. Warum also diesmal dieser Exkurs in die Geschichte? Der Galerie-Direktor, Petr Nedoma, führte unter mehreren Gründen auch den folgenden an:

"Ich habe mit meinen Kollegen diskutiert und wir sind zum folgenden Schluss gekommen: Wir haben während unserer Studien und danach von progressiven Strömungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wie Impressionismus, Pointilismus und späteren Richtungen erfahren, die in der Ablehnung der akademischen Malerei beruhten. Aber niemand hat sich mit der eigentlichen akademischen Malerei befasst. Sie wurde immer weggeschoben, der Akademismus wurde verdammt, nur wenige Leute wissen aber, wie er eigentlich aussah. Es ist auch sehr wichtig zu erfahren, woher die tschechischen Künstler ihre Informationen von dem zeitgenössischen künstlerischen Geschehen in unser provinzielles und muffiges Milieu brachten. Gerade diese Künstler, Hynais, Chitussi, Brozik, Zenisek und weitere, die in Paris lebten, bereiteten nämlich den Boden für neue Richtungen der tschechischen bildenden Kunst, die in die Moderne des 20. Jahrhunderts mündeten. Ohne diese Grundlagen, ohne den Akademismus, den sie aus Paris brachten, hätte sich das 20. Jahrhundert anders entwickelt."