Frantisek Drtikols Fotografien im Kunstgewerbemuseum
Nach vier Jahren kehrt das Kunstgewerbemuseum in Prag mit einer repräsentativen Fotoausstellung zum Erbe des genialen tschechischen Künstlers Frantisek Drtikol zurück. Um dessen Person geht es im heutigen Kultursalon, es begrüßt sie dazu Lucie Drahonovska.
"Ich heiße Drtikol, was auf deutsch etwa mit 'Reifen zermalmen' zu übersetzten wäre. Also habe ich Reifen zermalmt, die mich eingeengt haben. Ich bin Fotograf. Ich habe mit Licht fotografiert. Ich habe mit dem Licht der Erkenntnis in die Seelen der Menschen geschrieben."
Mit diesen Worten beginnt ein Film-Mosaik des Regisseurs Jiri Holna, das anhand von Drtikols authentischen Notizen und Tagebucheintragungen dessen Werk in weit reichende geistige und künstlerische Zusammenhänge bringt. Diese eindrucksvolle zwanzigminütige Dokumentation ist mit englischen Untertiteln versehen und wird in einem kleinen Kino vorgeführt, das direkt im Ausstellungssaal steht, umgeben von Drtikols Fotografien.
Es ist kein Zufall, dass die Ausstellung mit dem Titel "Frantisek Drtikol: Fotografien von 1918 bis 1935" gerade das Kunstgewerbemuseum veranstaltet hat. Den Grund erläutert der Kurator der Ausstellung, Jan Mlcoch:
"Unser Kunstgewerbemuseum war nämlich der Empfänger des künstlerischen Nachlasses von Frantisek Drtikol. Dieser umfasst an die 55 000 Fotografien, Handschriften sowie eine große Menge an weiterem authentischem Material. Wir haben dieses großzügige Erbe 1942 von Drtikol persönlich erhalten, nachdem er sich schon von der Fotografie abgewandt hatte. Diese Sammlung stellt für uns - neben dem Werk von Josef Sudek - die überhaupt umfangreichste und bedeutendste Autorensammlung dar."
Mlcoch ist es gelungen, aus einem so umfassenden fotografischen Nachlass eine Auswahl zu treffen, die anhand von 130 Fotografien den Art-Deco-Stil von Drtikol repräsentativ charakterisiert:
"Die Ausstellung fängt etwa in den Jahren 1918/1919 an, als Drtikol aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt ist. Zu diesem Zeitpunkt ist er schon ein erstklassiger Prager Fotograf, der in der Vodickova-Straße ein eigenes, äußerst prosperierendes Fotoatelier betreibt. Sein Atelier wird zahlreich nicht nur von den Pragern aufgesucht, sondern - und vor allem - von der tschechoslowakischen Elite - allen voran von Tomas Garrigue Masaryk. Drtikol lichtet auch berühmte Persönlichkeiten aus dem Ausland ab - wie Heinrich Mann, Paul Valéry oder Rabíndranáth Thákur. Doch im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Künstlern klammert sich Dritkol nicht an seinen Erfolg, sondern er unterzieht sein eigenes Werk einer erfrischenden Veränderung."
Unter der "erfrischenden Veränderung" sind in erster Reihe Drtikols stilisierte Tanz-Szenen vom Anfang der 20er Jahre zu verstehen. Der Künstler fotografiert darin häufig seine erste Frau, die Tänzerin Ervina Kupfer. Von hier leitet sich Drtikols ganz persönliche Auffassung vom weiblichen Akt ab, den er einem geheimnisvollen Wechselspiel von Licht und Schatten unterzieht.
Obwohl Drtikol mit seinem Werk die graziösen Linien des weiblichen Körpers dermaßen prunkvoll anhimmelt - sein persönliches Urteil über das andere Geschlecht und dessen Gleichberechtigung präsentiert sich weniger aufgeschlossen, wie aus seinem Tagebuch ersichtlich ist. Zitat:
"In einem Mann ist ein halber Gott und ein halbes Tier. Eine Frau ist gänzlich ein Tier, denn eine Frau kann nie eine selbständige, originelle und großartige Tat zustande bringen. Sie kann nicht gestalten. Alles bei ihr ist eine Kopie, eine erlernte Pose, eine gedankenlose Maschine ... Nur in der Liebe kann eine Frau groß sein. Nur im Bett kann eine Frau originell sein."
Es sind gerade die Frauenakte, die Drtikol noch zu Lebzeiten Weltruhm verschafften. Im Jahre 1922 erhielt der tschechische Fotograf auf der Internationalen Ausstellung für dekorative Kunst in Paris den Grand Prix. Die gleiche Anerkennung folgte drei Jahre später noch mal, und zwar auf dem Internationalen Fotosalon in Turin. Große Erfolge feiern Drtikols Akte seit den 20er Jahren auch in Übersee - in Amerika, Kanada, China und Japan.
Trotz dieses positiven Echos wendet sich Drtikol allmählich vom realen Frauenmodell ab und arbeitet stattdessen mit 30 Zentimeter großen zweidimensionalen Figuren aus Pappe und Sperrholz. Auf diese Weise entstehen seine eigenartigen Imaginationen, die er selbst "Fotopurismus" nennt, eine abstrakte Art der Fotografie. Und gerade darin sieht Jan Mlcoch einen ganz speziellen Beitrag Drtikols innerhalb der weltweiten Entwicklung der Fotografie:
"Um das Jahr 1930 schwächt sich Drtikols Interesse am realen Frauenmodell ab. Mit Hilfe der kleinen Silhouetten-Figuren und einer sehr erfinderischen Licht-Regie beginnt er eine absolut authentische und persönliche fotografische Realität zu gestalten. Meiner Meinung nach geht es dabei um einen weltweit durchaus einzigartigen Arbeitsprozess."
Eine weitere Phase im Leben von Frantisek Drtikol charakterisiert eine starke Hinwendung zur fernöstlichen Philosophie. Er verkauft sein Atelier und zieht sich in eine gemietete Prager Villa zurück. Aus dem Deutschen übersetzt er geistliche Bücher der tibetischen, indischen, chinesischen und japanischen Religionen, beschäftigt sich mit Yoga, fängt zu malen an. Doch seine Bilder verkaufen sich sehr schlecht, und so ist er bis zu seinem Lebensende von steten finanziellen Sorgen geplagt. Als Fotograf gerät er rasch in Vergessenheit. Als Frantisek Drtikol am 13. Januar 1961 stirbt, ahnen nur die Wenigsten, dass in ihm der erste tschechische Fotograf von Weltrang verschieden ist.
"Versucht baldigst meine Form zu vergessen. Aber vergesst nicht, was ich euch gelehrt habe: Worte, die ich sprach, sollen in euch lebendig werden. Sucht mich nicht - ich bin überall, also auch in euch."
Die Zitate von Frantisek Drtikol wurden dem Dokumentarfilm Jiri Holnas entnommen. Die Ausstellung "Frantisek Drtikol: Fotografien von 1918-1935" ist im Kunstgewerbemuseum in Prag noch bis 6. Juni 2004 geöffnet, und zwar täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Für die Besucher steht auch ein interaktives Begleitprogramm zur Verfügung.