Spaziergang durch die tschechische Fotografiegeschichte

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1.200 Ausstellungsstücke, 423 Künstler und mehrere Museumsräume: Das ist, in Zahlen gefasst, ein Überblick über 100 Jahre tschechische Fotografie, wie er zurzeit in Prag zu sehen ist. An drei Orten wurde eine Ausstellungsreihe der tschechischen Fotografie des 20. Jahrhunderts eröffnet. Im folgenden Kultursalon lädt Sie Bára Procházková dorthin ein.

Ein historisches Mosaik aus der tschechischen Fotografiegeschichte ist in den Sommermonaten in Prag zu sehen. Neben berühmten Namen wie Drtikol oder Sudek werden auch Werke von weniger bekannten Fotografen ausgestellt, sogar ganz vergessene Autoren kommen zu Wort. Die tschechische Fotografie ist sehr reich und hat viele Facetten, die Ausstellung gibt den Besuchern dafür einen Beweis. Der Kurator der Ausstellung, Jan Mlcoch, nennt die bekanntesten Namen:

"Die tschechische Fotografie ist in der Welt mit einigen Namen und mit dem Werk von einigen Persönlichkeiten bekannt. Angefangen mit Frantisek Drtikol, der bereits in den 20er Jahren als ein allgemein bedeutender Fotograf seiner Zeit anerkannt wurde. Des Weiteren müssen wir an die Künstler der Zwischenkriegszeit denken, wie Funke, Sudek oder Rössler, deren Fotografien heute auch in Deutschland gezeigt werden. Wenn ich gegenwärtige Namen nennen sollte, dann denke ich an Josef Koudelka sowie Jan Saudek, der vor allem durch seine Aktbilder weltbekannt geworden ist."

Für Besucher bietet die Ausstellung einen Überblick in chronologischer Reihenfolge. Der erste Teil der Ausstellung, der im Museum für angewandte Kunst in Prag gezeigt wird, dokumentiert die Fotografie der 20er Jahre, die Anfänge der Abstraktion sowie den Jugendstil. Die ältesten Fotografien zeigen das Werk von Alfons Mucha, der für seine Kompositionen fotografische Studien benutzt hat. Die Fortsetzung der Ausstellung im Haus zur Steinernen Glocke auf dem Altstädter Ring stellt Werke der Avantgarde vom Konstruktivismus und Funktionalismus bis zum Surrealismus vor und endet mit der Kriegsfotografie. Und schließlich präsentiert der dritte und letzte Teil der Ausstellung den sozialistischen Realismus sowie informelle Strömungen der Kunst bis zum Jahr 2000. Die tschechische Fotografie tritt am Ende des 20. Jahrhunderts in Interaktion mit anderen modernen künstlerischen Genres. In den 90er Jahren dominierte die Künstlergruppe Kamera Skura, die neue Formen der Kunst darstellt. Mehr dazu von Jan Mlcoch:

"Eine grandiose Arbeit sind zum Beispiel zwei Videos von Michal Pechoucek. Diese führen die Fotografie auch in andere Richtungen. Damit meine ich einen Mix aus Video, Computer und Fotografie. Diese Mischung wird in einer sehr schönen spielerischen Form gemacht."

Dennoch ist die Aufzählung nicht komplett, in der Ausstellungsreihe fehlen die wissenschaftliche und die Theaterfotografie. So eine Menge war einfach nicht zu bewältigen, erklären dies die Kuratoren. Dennoch werden die Besucher nichts vermissen - die berühmtesten Autoren und die wichtigsten Tendenzen der tschechischen Fotografie fehlen in der Ausstellung nicht, sagt Jan Mlcoch:

"Sehr beliebt ist die Kunstfotografie, aber in den letzten Jahrzehnten zeichnete sich ein großes Interesse für die Dokumentarfotografie ab. Weltberühmt ist deshalb auch Josef Koudelka geworden, weil die Situation der Menschen in der Welt uns alle betrifft. Und gerade die deutsche Fotografie, angefangen mit den 20er Jahren, hatte ein enormes Interesse für die Rolle des Menschen in der Welt. In Deutschland war bereits seit den 20er Jahren die soziale Fotografie sehr markant. Deshalb stößt dieser Trend gerade in Deutschland auf großes Verständnis."

Hundert Jahre Fotografiegeschichte, dahinter verbergen sich unzählige Künstler und viele Stilrichtungen. Dennoch ist in der tschechischen Fotografie eine gewisse Kontinuität zu beobachten, sagt der Kurator der Ausstellung Jan Mlcoch:

"Ich glaube, es ist langfristig ein gewisser Lyrismus und eine Betonung der Intimität in der tschechischen Fotografie zu spüren. Und das schon seit der Zeit von Frantisek Drtikol. Drtikol war einer der ersten Fotografen, die die Intimität entdeckt haben. Er war zum Beispiel einer der ersten Fotografen, die Akte aufgenommen haben."

Eine Darstellung der Intimität zieht sich auch durch die tschechische Fotografie der 20er und 30er Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Intimität nicht nur zum Teil der künstlerischen aber auch der dokumentarischen Fotografie. Die Künstler haben persönliche Tagebücher in einer künstlerischen Form geschaffen. Einige Fotografen haben sich zu intimen Darstellungen unter dem Druck der gesellschaftspolitischen Ereignisse gewandt. Für alle ist der Fotograf Josef Sudek zu nennen, erklärt Jan Mlcoch:

"In den 30er Jahren war Sudek ein sachlicher Fotograf, er hat viel in der Werbung und für kommerzielle Zwecke gemacht. Seine Fotografien waren sehr sanft aber auch sehr rational. Und gerade während des Krieges, als nicht nur seine Existenz sondern auch die Existenz der ganzen Nation bedroht war, kam es bei ihm zu einer Umpolung zur Poetik, er begann plötzlich seine nächste und intimste Welt zu fotografieren."

Neben der Intimität, die bis in die heutige Fotografie reicht und zum Beispiel in den Werken von Jan Saudek zu sehen ist, haben die geschichtlichen Ereignisse einen bedeutenden Einfluss auf die tschechische Fotografie des 20. Jahrhunderts ausgeübt, und das nicht nur auf den Dokumentarbildern. Dazu bringt Jan Mlcoch, der selber als Fotograf tätig ist, ein Beispiel:

"Gerade in der Stadtbibliothek ist gleich am Anfang ein Bereich, der dem sozialistischen Realismus gewidmet ist. Gleichzeitig sehen Sie aber auch Fotografie von Leuten, die in derselben Zeit im Untergrund illegal gearbeitet haben. Dann denke ich zum Beispiel an Jiri Kolar oder Eva Fukova. Diese Arbeiten waren in den 50er Jahren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, nur für die Autoren selbst und für ihre Nächsten. Das ist eine versteckte, aber auch sehr starke Seite der Fotografie."

Unter den über 1200 ausgestellten Fotografien sind auch Werke von ausländischen Künstlern vertreten, denn viele waren tschechischer Herkunft oder hatten die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit. Dazu gehören auch deutsche sowie sudetendeutsche Fotografen oder Menschen, die in der Tschechoslowakei politisches Asyl gesucht haben. An dieser Stelle sind John Heartfield, Raoul Hausmann oder der Bauhaus-Absolvent Werner David Feist zu nennen. Feist hat neun Jahre in Prag gelebt und seine Werke werden bei der Ausstellung zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert, sagte der Fotografietheoretiker und Pädagoge Vladimir Birgus. Die sudetendeutschen Fotografen haben damals auch eigene Zeitschriften wie "Das Lichtbild" oder "Sudetendeutscher Fotograf" herausgegeben. Die Werke deutscher Fotografen sind aber nicht einheitlich, so Birgus:

"Hier müssen wir zwischen zwei Bereichen unterscheiden. Auf der einen Seite stehen sudetendeutsche Autoren, die eher konservativer gestimmt waren. Das waren eher Fotografie-Amateure, die sich mit der landschaftlichen, Heimatfotografie sowie mit der Folklorefotografie beschäftigt haben. Nur selten tauchten bei diesen Fotografen Reaktionen auf die so genannte Neue Sachlichkeit auf. Der zweite Bereich ist die deutsche Avantgarde, die vor Hitler in die Tschechoslowakei fliehen musste. Diese Fotografen haben dann hier mit ihren Kollagen fortgesetzt. Zum Beispiel John Heartfield hat seine berühmtesten Kollagen, in der zu der Zeit in Prag herausgegebenen Zeitschrift `Arbeiter illustrierte Zeitung` publiziert."

Ein Beispiel für die Dokumentation der deutsch-tschechischen Beziehungen finden die Besucher im zweiten Teil der Ausstellung. Dort wird eine Reihe mit Fotografien von Marie Stachova aus der Mitte der 30er Jahre gezeigt. Sie hat die Zeit der Unruhen zwischen den Tschechen und der deutschen Minderheit in Nordböhmen dokumentiert, ausgestellt sind ihre Fotografien der deutschen Arbeiter.

Vor Hundert Jahren wurde Fotografie ausschließlich als Dokumentationsmaterial gesammelt, erst später als ein eigenes künstlerisches Objekt. Das Prager Museum für angewandte Kunst hat in seinem Sammlungen im Moment über 36.000 Fotografien und weitere 30.000 Negative, für die Zwecke der Ausstellung haben die Kuratoren noch weitere Bilder aus anderen Museen und von den Autoren selbst angefragt, dazu die Direktorin des Museums Helena Königsmarkova:

"Diese Sammlung ist eigentlich ein eigenes Museum. Nach einem Jahrhundert der Existenz der Fotografie ist es nun selbstverständlich, dass Fotografie auch Kunst ist. Unser Ziel ist es, diese Sammlung als eine Zweigstelle des Museums in Prag zu zeigen und dazu auch ein eigenes Museum zu bauen."

Also ein weiterer Leckerbissen für die Liebhaber der Fotografie. Diese bis heute größte Zusammenstellung der tschechischen Fotografie hätte damit eine Aussicht darauf, dauerhaft dem Publikum zugänglich gemacht zu werden. Bis dahin gibt es nur die Internetseite www.ceskafotografie.com und bis Ende September die Ausstellung in Prag.