Geschichte der Mariensäule auf dem Altstädter Ring

Unser heutiger Spaziergang führt uns in den Mittelpunkt der Prager Altstadt, auf den Altstädter Ring. Mit seiner Mischung aus Romanik, Gothik und Barock gehört der Altstädter Ring zu einem der schönsten und ältesten Plätze Mitteleuropas. Doch hat er in diesem Jahrhundert sein Aussehen mehr geändert als irgenein anderer Ort in der Prager Altstadt, die ja Gottseidank grösstenteils in ihrer ursprünglichen Form erhalten blieb? Das mächtige Altstädter Rathaus fiel den Kämpfen des Prager Aufstandes im Mai 1945 zu Opfer, ein weiteres Wahrzeichen des Platzes wurde zu Ende des Ersten Weltkrieges zerstört: Die Prager Mariensäule. Willkommen zum Spaziergang durch Prag, der heute der Geschichte und auch ein bisschen der Zukunft der Mariensäule gewidmet ist. Am Mikrofon begrüssen Sie Danilo Höpfner und Alexandra Klausmann.

Jahrhundertelang bildete die Mariensäule auf dem Prager Altädter Ring das Wahrzeichen dieses Platzes. Errichtet wurde die barocke, 16 Meter hohe Sandsteinskulptur im Jahre 1650 von Bildhauer Jiri Bendl, nach dem Vorbild der Wiener Mariensäule. Nach München und Wien war die Prager Säule die drittälteste Mitteleuropas und das erste barocke Monument in Böhmen und Mähren. Aus Dankbarkeit wurde sie gebaut, für das Ende des 30jährigen Krieges, der in Böhmen wie nirgendwo anders wütete und ganz konkret für die Rettung Prags vor schwedischen Truppen, die noch kurz vor dem westfälischen Frieden 1648 das andere Moldauufer, das heisst den Hradschin und die Kleinseite besetzt hielten, bevor sie auf der Karlsbrücke, hauptsächlich von Jesuitenschülern aus dem Klementinum, in die Flucht geschlagen werden konnten.

Jan Bradna, der Vorsitzende der Gesellschaft für die Erneuerung der Mariensäule, legt uns diese Geschichte weiter aus:

"Die Mariensäule wurde erbaut im Jahre 1650 als Erinnerung dafür, als Prag sich vor der Belagerung durch die Schweden rettete. Die Belagerung war sehr grausam, weil in Prag nur sehr wenige Soldaten waren und die Schweden sich in einer überwältigenden Überzahl befanden und auch professioneller waren. Die Schweden hatten es auch eilig, diese reiche Stadt zu erobern, um dann ihre Schätze plündern zu können. Auf der Karlsbrücke wurden sie dann aber zurückgeschlagen. Das war im Jahre 1648."

Im Sockel der Mariensäule war ein gothisches Bildnis der Jungfrau Maria angebracht. Dies hatte die italienische Familie Miseroni, die zur Zeit Rudolfs II., also im 16. Jahrhundert, der kulturellen und künstlerischen Anziehungskraft des damaligen Prags erlegen waren und sich am Altstädter Ring angesiedelt hatten, für die Säule zur Verfügung gestellt hatten. Gläubige Katholiken kamen von überall her, um an diesem Bildnis zu beten. Die Mariensäule hatte aber auch, und das war eher dem Zufall und der Geographie des Altstädter Rings zuzuschreiben, eine ganz sekuläre Funktion. Der 4. Längengrad läuft durch den Altstädter Ring, was dort auch in seinem Pflasterstein verzeichnet ist. Die Mariensäule stand in so einem Winkel zum Längengrad, dass ihr Schatten eine Sonnenuhr bildete, die zugegebenermassen am besten vom Turm des Altstädter Rathauses gesehen werden konnte.

Während der Zeit der tschechischen nationalen Wiedergeburt wurde die Säule immer mehr zu einem Symbol der Unterdrückung der tschechischen Nation durch die Habsburger, das hochaufragend an die Niederlage der böhmischen Intelligenz und des Adels bei der Schlacht am Weissenberg im Jahre 1620 erinnerte. Vielleicht störten sich tschechische Nationalisten auch daran, dass die Mutter Gottes, dieses typische Bildnis des Katholizismus hoch gegenüber dem Teil des Altstädter Rings ragte, auf dem nach der Schlacht vom Weissenberg 27 böhmische, mährische und slowakische Adlige für ihre Aufständigkeit gegenüber der Habsburger Krone brutal hingerichtet wurden. Denn damit begann, was in der tschechischen Geschichtsschreibung als Temno bezeichnet wird, die Zeit der Finsternis, in der Böhmen und Mähren vollständig unter die Herrschaft der Habsburger fielen. Doch auch die währte nicht ewig, das Reich der Habsburger hatte sich als unreformierbar erwiesen und zerfiel nach dem Ersten Weltkrieg in seine ethnischen Einzelteile. Fünf Tage nach der offiziellen Gründung der Tschechoslowakei, am 3. November 1918 richtete sich des Volkes Zorn, besser gesagt das Bedürfnis tschechischer Anarchisten, mit der Vergangenheit abzurechnen gegen die Mariensäule. In was als eine spontane Kundgebung aussehen sollte, aber von langer Hand geplant war, wurde die Mariensäule mit Hilfe der Feuerwehr erstürmt und zerstört. Jan Bradna erzählt uns, wie das geschah:

"Am 3. November 1918, es war ein Sonntag, war eine Kundgebung auf dem Weissen Berg, an der Zehntausende teilnahmen. Nach der Kundgebung dirigierten einige Provokateure die Masse geschickt durch die Kleinseite und über die Karlsbrücke auf den Altstädter Ring. Dort, am Jan Hus Monument gegenüber der Mariensäule, das drei Jahre zuvor errichtet worden war, wartete schon die Feuerwehr aus dem Prager Stadtteil Zizkov mit Leitern, Seilen und Hammern. Damit machte sich die Masse an der Säule zu schaffen. Beim ersten Versuch riss das Seil, die Säule blieb unbeschädigt. Aber nach einigen Versuchen fiel sie dann. Wer gegen die Zerstörung protestierte, wurde von der Menge harsch abgewiesen, als ein Vertreter der provisorischen tschechoslowakischen Regierung versuchte die Menge im Namen des Volkes dazu zu bewegen, von der Säule abzulassen, wurde ihm nur entgegnet: Wir sind das Volk."

Eine Frau soll sich aus Protest auf den Altstädter Ring geworfen haben, in der Hoffnung, mit ihrem Körper die Zerstörung der Säule zu verhindern. Nur knapp entging sie dem fallenden Koloss.

Nur wenige derer, die die Zerstörung der Säule planten und in die Tat umsetzten, ist bekannt. Gemunkelt wird, dass auch der Schriftsteller Jaroslav Hasek unter ihnen war, sicher ist, das Haseks Freund, der Prager Anarchist Frantisek "Franta" Sauer, bei der Aktion massgebend war. Im Roman Cafe Slavia von Ota Filip gerät der Held Graf Nikolaus Belecredos zufällig in die Unruhen um die Säule herum, kann ihre Zerstörung aber auch nicht verhindern:

"Ich kam gerade in der Minute auf den Platz, als die Prager Anarchisten, angeführt von Franta Sauer, sich daran machten, die Mariensäule niederzureissen. "Franta, das ist ein Fehler," sagte ich ruhig und bescheiden. "Was für ein Fehler?" "Es lohnt sich gar nicht, darüber zu sprechen, Franta," sagte ich mit einer Gleichgültigkeit, die mich überraschte. "Diese Mariensäule wurde nicht als Denkmal für den Sieg über die tschechischen Aufständischen auf dem Weissen Berg. Sie steht hier aus Dank für die Errettung der Stadt vor den Schweden, vor Plünderung und Pest. Du solltest die historischen Tatsachen respektieren, weil...´ Von hinten traf mich ein starker Hieb".

Hätte Ota Filip seinen Graf Belecredos ausreden lassen, dann hätte dieser Franta Sauer vielleicht nach München geschickt. Die Münchener Mariensäule wurde nämlich tatsächlich zu Erinnerung an die Schlacht vom Weissen Berg und die Niederlage des tschechischen Adels errichtet.

Der Kopf der Marienstatue, die die Säule krönte, ist im Prager Nationalmuseum untergebracht. Was mit den weiteren Resten der Säule geschah bleibt bis heute ein Rätsel. Die Gesellschaft für die Erneuerung der Mariensäule versucht seit 1990 eine Nachbildung der barocken Kolumne auf ihrem Platz auf dem Alstädter Ring zu errichten. In der tschechischen Gesellschaft stossen sie damit meist auf Unverständnis, der Mythos der Mariensäule als Siegessäule für die Schlacht vom Weissen Berg hat sie hartnäckig überlebt. Wenn Sie, liebe Freunde, sich das nächste Mal auf dem Alstädter Ring befinden, schauen Sie mal in seinen südöstlichen Teil, gegenüber dem Altstädter Rathaus und dem Jan Hus Monument auf den Boden. Dort hat die Gesellschaft für die Erneuerung der Mariensäule im Jahre 1994 einen Grundstein für die neue Säule gelegt, der gleichzeitig auch an das Original erinnern soll. "Hier stand einst die Prager Mariensäule und hier wird sie wieder stehen", lautete der Originaltext der Erinnerungsplaque. Nur, dass der dem Prager Magistrat so gar nicht gefiel, den Satz "hier wird sie wieder stehen" liess das Magistrat entfernen. Dennoch glaubt die Gesellschaft fest daran, dass die Mariensäule eines Tages wieder auf dem Altstädter Ring ragen wird. Sie hat schon ein Muster anfertigen lassen, das im Altstädter Rathaus ausgestellt ist, bei ihrem nächsten Pragbesuch können Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, dies vielleicht auch besichtigen.

Autoren: Alexandra Klausmann , Danilo Höpfner
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