„Grenze ist nur ein Wort“ – Ausstellung zu tschechisch-deutschen Begegnungen während Corona

Dreiländereck Trojzemí DE-CZ-PL

Zum Arbeiten, Einkaufen oder Tanken über die Grenze fahren, Familienbesuch im Nachbarland oder Kultur und Natur genießen. Eigentlich ist das selbstverständlich für alle Menschen, die im Gebiet zwischen Tschechien und Deutschland leben. Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Grenzschließungen trafen sie deshalb besonders hart. Mit der Aktion „Samstage für Nachbarschaft“ versuchten einige von ihnen, die Begegnungen aufrechtzuerhalten. Die Ausstellung „Hranice je jen slovo“ (deutsch: Grenze ist nur ein Wort) dokumentiert die Treffen.

Treffen zwischen den Dörfern Oelsen und Krásný Les | Foto: Roland Lubiger,  Marionetten- und Zirkusmuseum in Prachatice

Der 12. März 2020 änderte schlagartig das Leben von vielen Menschen, die im gemeinsamen Grenzgebiet von Tschechien und Deutschland leben. An diesem Tag verkündete die Regierung in Prag, dass zur Eindämmung des Corona-Virus die Binnengrenzen des Landes geschlossen werden. Ab da war es für Ausländer nicht mehr möglich einzureisen und für die Einheimischen eine Straftat, die Republik zu verlassen. Um die persönliche Begegnung mit den Nachbarn trotzdem aufrecht zu erhalten, riefen Jan Kvapil und Stephan Messner die Facebook-Gruppe „Samstage für Nachbarschaft“ ins Leben. Das war der Start für Grenzbegegnungen an 18 Orten im Mai vergangenen Jahres. Die Ausstellung „Grenze ist nur ein Wort“ präsentiert im tschechischen Marionetten- und Zirkusmuseum (Muzeum české loutky a cirkusu) in Prachatice / Prachtitz Fotos und Exponate, die die Nachbarschaftstreffen zeigen. Lenka Šaldová hat die Schau organisiert:

„Wir erzählen die Geschichte der geschlossenen Grenze vom vergangenen Jahr. Es war für viele Menschen unnormal, dass sie nicht ins Nachbarland konnten. Die Leute, die an der Grenze leben, sind Nachbarn. Sie unterscheiden nicht zwischen Nationalitäten und nehmen die Grenze nicht wahr.“

Lausitzer Gebirge | Foto: Gregor Illguth,  Marionetten- und Zirkusmuseum in Prachatice

Seit dem Eintritt Tschechiens ins Schengen-Abkommen im Jahr 2007 waren die Grenzen offen. Umso ungewöhnlicher war es für die Menschen, an der Fahrt ins Nachbarland gehindert zu werden. Die Facebookgruppe fand immer größeren Anklang, und die Treffen weiteten sich von Woche zu Woche aus.

„Hunderte von Menschen haben sich an unterschiedlichen Orten getroffen. Ins Lausitzer Gebirge kamen bis zu 200 Personen. Ich war oft bei den Treffen am Göhrener Tor dabei. Das liegt zwischen Litvínov und Neuhausen. Dort sind jedes Mal 30 bis 40 Menschen zusammengekommen, die gemeinsam gezeigt haben, dass sie Normalität zurückwollen.“

Eschlkam  (Všeruby) | Foto: Václav Bernard,  Marionetten- und Zirkusmuseum in Prachatice

Diese historische Verbindung zwischen Deutschland und Tschechien im Erzgebirge, eigentlich ein Wildgatter, war einer der Orte, an dem die Menschen sich trafen. Auch an der Grenze zu Bayern, Österreich oder Polen fanden Begegnungen statt. Die Menschen sind gemeinsam spaziert, haben gepicknickt und gesungen. Fahnen und Transparente mit Aufschriften wie „Wir vermissen euch“ schmückten die Umgebung. Für Lenka Šaldová waren es ganz besondere Stunden:

„Als ich am 16. Mai 2020 zum ersten Mal zu einem der Treffen kam, hatte ich das Gefühl, dass die Welt doch in Ordnung ist. Wenn wir uns in dieser Form treffen und positive Zeichen in die Welt senden, lässt sich auch daran glauben, dass alles gut wird.“

Belastung für Familien und Pendler

Göhrener Tor  (Klínská brána) | Foto: Mario Ulbrich,  Marionetten- und Zirkusmuseum in Prachatice

Die Treffen sollten jedoch nicht nur die freundschaftlichen Beziehungen pflegen, sondern waren auch als Protest gedacht gegen die Grenzschließungen. Gerade die Trennung von Familien und das Aussperren der Pendler wurde von den Teilnehmern kritisiert.

Briefe, die Teilnehmer für die Ausstellung geschrieben haben, berichten vom Verlust des Arbeitsplatzes oder persönlichen Schicksalen. Kristina Kautská hatte gerade erst zusammen mit ihrem Lebenspartner auf der deutschen Seite ein Haus gekauft – nur 200 Meter von der Grenze entfernt. Nachdem bekannt geworden war, dass die Grenze geschlossen wird, packten sie die nötigsten Sachen zusammen und fuhren in dieses Haus – ohne Warmwasser, Waschmaschine oder Herd.

Göhrener Tor  (Klínská brána) | Foto: Lars Helbig,  Marionetten- und Zirkusmuseum in Prachatice

Ein anderer Fall ist der von Stefan Köcher. Er konnte nicht zu seiner schwangeren Frau nach Böhmen fahren. Immerhin war die Grenze wieder geöffnet, als dann ihr Sohn in Dresden zur Welt kam. Neben den Briefen, die solche Erlebnisse dokumentieren, lebt die Ausstellung in Prachatice auch von Fotos.

„Ich habe von mehr als 50 Teilnehmern über 1500 Fotos von allen Orten für die Ausstellung bekommen. Natürlich kann man nicht alle Bilder zeigen. Ich habe rund 300 ausgewählt. Die Besucher können dadurch die Atmosphäre der Treffen spüren. Außerdem zeigen wir authentische Gegenstände, die die Menschen mitgebracht haben. Das sind zum Beispiel Transparente mit der Aufschrift ‚Wir sind Nachbarn‘ oder ‚Wir vermissen euch‘. Aber auch jeder bemalte Stein mit einem Gruß hat für uns eine Bedeutung.“

Für die Autorin der Ausstellung war es eine besondere Situation, sich des Themas anzunehmen:

Göhrener Tor  (Klínská brána) | Foto: Edvard D. Benes,  Marionetten- und Zirkusmuseum in Prachatice

„Für mich war es eine ganz persönliche Herausforderung. Ich bin auf der einen Seite die Autorin, die die Ausstellung organisiert. Es ist aber nicht normal, dass man das auch selbst miterlebt hat. Da ist es schwierig, den nötigen Abstand zu wahren. Aber es macht natürlich auch viel Spaß.“

Im Übrigen haben auch Politiker die Treffen genutzt, um sich über das weitere Vorgehen während der Corona-Beschränkungen zu beraten. Václav Bernard Piraten und Bürgermeister von Všeruby bei Plzeň / Pilsen, setzte sich besonders für die Pendler ein. Im Dreiländereck zwischen Mittelhammer und Trojmezí im Ascher Ländchen weihten Jürgen Schnabel, Christoph Stölzel und Pavel Klepácek eine Handschüttelwippe ein. Sie symbolisiert die Verbundenheit zwischen den Ländern. Das Čojč-Theaternetzwerk veranstaltete am Grenzübergang Aš / Asch einen Open-Air-Workshop mit Sprachspielen, Liedern und Tänzen.

Die Ausstellung ist noch bis Ende November in Prachatice zu sehen. Danach zieht sie an andere Orte weiter.

Eulenthor  (Soví brána),  Grenzübergang zum Schneeberg | Foto: Petra Morvay,  Marionetten- und Zirkusmuseum in Prachatice

„Es war schon von Anfang an klar, dass die Ausstellung von Prachatice nach Jablonec nad Nisou ins Haus der deutsch-tschechischen Verständigung wandert. Zudem hat mich das Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee kontaktiert, weil es sich ebenfalls für die Ausstellung interessiert. Wir hoffen, dass die Ausstellung weitergeht.“

Menschen verbinden

Die Ausstellung erzählt auch die Geschichte des Klubs Tschechisch-Deutsche Partnerschaft. Dieser wurde 2018 gegründet und half im Frühjahr vergangenen Jahres, die Treffen zu organisieren. Die Mitglieder pflegen die Städtepartnerschaft zwischen Litvínov / Leutensdorf und Olbernhau und veranstalten Sprachkurse, Reisen und Stadtführungen. Obwohl die Treffen an den Grenzübergängen nicht mehr stattfinden, führt der Klub weiterhin die Menschen zusammen und lässt die nachbarschaftlichen Beziehungen aufleben. Lenka Šaldová ist Mitglied im Klub.

Lenka Šaldová | Foto: Olga Tlapáková

„Der Klub hatte vor der Corona-Pandemie eine Facebook-Gruppe mit etwa 700 Abonnenten. Jetzt sind es 3000. Wir haben inzwischen eine Interessengemeinschaft gegründet. Es sind immer weitere Leute dazugekommen. Wir machen in regelmäßigen Abständen gemeinsame Ausflüge und wollen eine Plattform sein für alle, die sich für die Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze interessieren. Unser Motto lautet: ‚Wir verbinden Menschen‘.“

Lenka Šaldová hofft, dass die Grenze zwischen Tschechien und Deutschland in Zukunft nicht wieder geschlossen wird.

„Ich habe Angst, dass viele Menschen die Grenze nur als Linie sehen, die sie überschreiten, wenn sie in den Urlaub fahren. Aber für jemanden im Grenzgebiet endet das Leben nicht einfach an der Landesgrenze. Und wenn die Grenze geschlossen wird, ist das normale Leben aber zerstört. Wir wollen dieses Thema in die Öffentlichkeit bringen. Die Menschen sollen verstehen, wie wichtig es ist, dass die Grenze offen bleibt.“

Die Ausstellung „Hranice je jen slovo“ ist im „Muzeum české loutky a cirkusu“ in Prachatice zu sehen. Sie ist von Dienstag bis Sonntag jeweils von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 65 Kronen (2,50 Euro).

Autor: Lisa Gerth
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