Auf den Spuren der Familie Buquoy und das Kriegsende als Thema: Böhmerwaldseminar in Nové Hrady
Das sogenannte Böhmerwaldseminar wird seit mehr als 20 Jahren vom Münchner Adalbert-Stifter-Verein veranstaltet. Am vergangenen Wochenende fand es im südböhmischen Nové Hrady / Gratzen statt. Martina Schneibergová hat mit Wolfgang Schwarz gesprochen, der das Treffen organisierte.
Herr Schwarz, am Wochenende fand das Böhmerwaldseminar statt. Im Lauf der Jahre ist das Seminar zu einem Forum für aktuelle Themen und Projekte in den deutsch-tschechischen Beziehungen geworden. Was stand diesmal im Fokus?
„In diesem Jahr waren wir auf Schloss Gratzen in Nové Hrady zu Gast und haben uns vor allen Dingen dem Thema Kriegsende vor knapp 80 Jahren gewidmet. Mit dabei war zum Beispiel Tereza Frodlová vom Nationalen Filmarchiv, die verschiedene Szenen aus Wochenschauen, aber auch Amateuraufnahmen zeigte. Es ging dabei um die Befreiung vom Nationalsozialismus, aber auch um die Gewalt an Deutschböhmen, unter anderem in Wallern oder in Schüttenhofen. Zum Zweiten war Tomáš Trantina von Paměť národa unser Gast, der über seine zahlreichen Projekte mit Schülern aus beiden Ländern zur Kriegsgeschichte oder auch zur Problematik der verschwundenen Ortschaften im Böhmerwald referierte. Zudem stellte er die Villa Kende in Budweis, die die Stadt vor kurzem erworben hat, in den Mittelpunkt seines Vortrags. Diese Villa hat eine interessante Geschichte. Fast alle Mitglieder der Eigentümer, einer jüdischen Familie, fielen dem Holocaust zum Opfer. Und diese Villa eignet sich deshalb vor allen Dingen für das Gedenken an die Opfer der NS-Ideologie.“
Es war nicht das erste Mal, dass ein Vertreter von Paměť národa (Memory of Nation) beim Böhmerwald-Seminar dabei war. Arbeiten Sie mit dem Verein Post Bellum und Paměť národa enger zusammen?
„Wir haben in der Tat in diesem Jahr ein bisschen enger zusammengearbeitet, vor allem im Rahmen des Projekts ,Zaniklá Šumava‘, also ,Untergegangener Böhmerwald‘. Da ging es darum, mit Schülern in Kvilda über die Geschehnisse des 20. Jahrhunderts zu sprechen – über Tragödien, traurige Epochen unserer gemeinsamen Beziehungen, aber eben auch über Ansätze der Verständigung. Im Hinblick auf die verschwundenen Ortschaften ging es darum, sich auf die Spuren dieser Ortschaften im Böhmerwald zu machen.“
Mit dabei war auch der Verleger Jürgen Tschirner. Ebenso sollte der tschechische Schriftsteller und Verleger Jiří Padevět nach Nové Hrady kommen. Sind sie dort beide zusammengetroffen?
„Jürgen Tschirner war da. Jiří Padevět musste sich kurzfristig entschuldigen, ließ jedoch einen Text verlesen. Jürgen Tschirner hat das Buch ,Blutiger Sommer‘ (,Krvavé léto‘) von Padevět in deutscher Sprache herausgegeben. Tschirners Verlag beschäftigt sich zudem mit dem Bereich der Kochkultur oder der Volkskultur. Und weitere Publikationen seines Verlags, den er gemeinsam mit seiner tschechischen Frau betreibt, verkaufen sich ebenfalls gut.“
Wo hat der Verlag seinen Sitz?
„Der Verlag ist in Leipzig beheimatet, aber alle Publikationen sind gut vernetzt, auch in Buchhandlungen.“
Während des Böhmerwald-Seminars wird in der Regel immer die Aufmerksamkeit auf den Ort gelenkt, in dem das Seminar stattfindet. War das in Nové Hrady auch der Fall?
„Ja. Wir haben auch das Adelsgeschlecht der Buquoy thematisiert. Besonders gefreut hat uns, dass Margarete Gräfin von Buquoy an der Tagung teilgenommen hat. Leider ist ja vor kurzem das Familienoberhaupt Michael von Buquoy verstorben. Das hat der Gratzener Bürgermeister Vladimír Hokr zum Anlass genommen, bei seinem sehr schönen Grußwort auch eine Schweigeminute für Michael von Buquoy zu halten. Dem sind wir natürlich gerne nachgekommen. Wir haben zudem die Familiengrabkapelle auf dem Friedhof besichtigt, die von Josef Schulz entworfen wurde. Dieser Architekt hat ebenfalls das Prager Nationalmuseum und das Nationaltheater projektiert. Wir hatten also dieses Mal einen besonders engen Bezug zum Ort Gratzen, vor allen Dingen zu dem dort eben bis 1945 ansässigen Adelsgeschlecht der Buquoy.“
Wie groß war das Interesse m Seminar?
„In diesem Jahr war das Interesse ziemlich intensiv. Allerdings mussten einige Teilnehmer aufgrund der aktuellen Hochwasserlage absagen, beziehungsweise hatten ein bisschen Angst vor der Anreise. Man wusste nicht genau, in wieweit Südböhmen betroffen war. Zum Glück liegt Gratzen etwas höher, sodass der Ort selbst – im Gegensatz zu der einen oder anderen Gemeinde im Umland – eben nicht vom Hochwasser betroffen war. Die Tagung hat mit etwa 50 Teilnehmern stattgefunden.“
Wurden die Vorträge aufgezeichnet? Gibt es die Möglichkeit, sie sich anzuhören oder anzuschauen?
„Wir werden einen Vortrag wieder auf unseren Youtube-Kanal stellen, und zwar den von Tereza Frodlová mit den Dokumentarfilm-Ausschnitten, aber eben auch Amateuraufnahmen. Wir haben es in der Tradition immer so gehandhabt, dass wir den einen oder anderen Vortrag anschließend auf unseren Kanal gestellt haben.“
Wie werden die Orte ausgesucht, in denen die Seminare stattfinden? Denn im Böhmerwald gab es die Seminare schon fast in jeder Stadt…
„Es ist in der Tat sowohl, was den Ort betrifft als auch das Programm, eine recht spontane und impulsive Angelegenheit von meiner Seite. Gratzen hatte ich schon länger im Blick, und wir waren dort zuvor noch nicht. Es gibt im Böhmerwald aber nicht Dutzende Orte, die die entsprechende Infrastruktur aufweisen, um die Tagung dort abhalten zu können. Aber wir legen den Böhmerwald doch immer wieder ein bisschen breiter aus. Gratzen selbst ist ja eigentlich auch Gratzener Bergland und nur ein Ausläufer des Böhmerwalds. Insofern sind wir da liberal, und es gibt keine grundsätzliche Konzeption bei der Auswahl der Orte. Das ist einfach ein Produkt zufälliger Begegnungen oder eben vielleicht bestimmter Dienstreisen.“
Mit wem arbeitet der Adalbert-Stifter-Verein bei den Vorbereitungen auf tschechischer Seite zusammen?
„In diesem Jahr haben wir vor allem mit der in dem Schloss Gratzen ansässigen Akademie der Wissenschaften kooperiert, aber auch mit der Gemeinde Gratzen, die uns dann eben auch entsprechende Möglichkeiten gegeben hat, die Tagung auf einem Schloss abzuhalten. Wer träumt nicht davon, auf einem Schloss zu tagen und zu übernachten? Denn ebenso war die Übernachtung für die Teilnehmer dort möglich. Die Kooperationspartner sind in der Regel die Gemeindeämter, Stadtämter oder auch Privatleute und Bürgerinitiativen, die sich vor Ort mit entsprechenden Themen beschäftigen. Das wechselt einfach von Jahr zu Jahr, je nach Veranstaltungsort.“
Steht schon fest, wo das Seminar im kommenden Jahr stattfindet, oder ist es vorzeitig, danach zu fragen?
„Es ist tatsächlich noch nicht klar, wo es stattfinden wird, aber der Themenschwerpunkt steht weitgehend fest. Wir werden uns mit der jüdischen Kulturgeschichte der böhmischen Länder auseinandersetzen. Hierzu sammle ich jetzt gerade die entsprechenden Inspirationen. Es soll in ähnlichem Format wieder vier bis fünf Vorträge geben, einen Film, vielleicht eine Podiumsdiskussion und für die Besucher natürlich auch die Möglichkeit, dann die umliegende Region kennenzulernen. Ein Ort, den ich im Auge habe, ist Kvilda. Ein weiterer wäre Třeboň / Wittingau. Wie gesagt, ist es noch nicht entschieden.“
Wie wäre es mit Hartmanice? Dort gibt es eine Bergsynagoge, die vor fast 20 Jahren vollständig restauriert worden ist…
„Hartmanice ist in der Tat auch ein ganz heißer Kandidat. Das Problem liegt dort nur in der Hotelbestückung des Ortes, die relativ schwach ist. Man müsste also auch Busse organisieren, die dann vielleicht nach Sušice oder in andere Orte, die entsprechende Kapazitäten bieten, fahren würden. Aber natürlich ist völlig richtig, dass die Gedenkstätte Deutsch-Tschechisch-Jüdischen Zusammenlebens in der ehemaligen Synagoge von Hartmanice ein toller Ort für solch eine Tagung wäre.“
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