Ehemalige deutsche Orte im Böhmerwald – eine fotografische Spurensuche

Ausstellung „Verblichen, aber nicht verschwunden“

„Verblichen, aber nicht verschwunden“ – heißt die Ausstellung, die am Dienstag in der Bayerischen Repräsentanz eröffnet wurde. Sie zeigt Fotografien von alten Friedhöfen und Kirchen sowie Resten verschwundener oder von der Natur zurückeroberter Orte im Böhmerwald. Ergänzt sind die Fotos durch Texte. Die Werke basieren auf einer Exkursion, die 2019 vom Kulturreferat für die böhmischen Länder des Adalbert Stifter-Vereins für Studierende aus Böhmen und Bayern organisiert wurde. Martina Schneibergová sprach nach der Vernissage mit den beiden Leitern der Exkursion, dem Kulturreferenten für die böhmischen Länder im Adalbert Stifter Verein, Wolfgang Schwarz, und mit Mikuláš Zvánovec von der Karlsuniversität.

Wolfgang Schwarz | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Herr Schwarz, wie ist diese Ausstellung zustande gekommen und diese Spurensuche im Böhmerwald?

„Die Ausstellung ist im Rahmen eines Forschungsverbundes zustande gekommen, an dem die Universitäten Regensburg, Passau, Ústí nad Labem und Prag beteiligt waren und eben das Kulturreferat für böhmische Länder im Adalbert-Stifter-Verein. Im Rahmen dieses Forschungsverbundes haben wir eine Exkursion im Böhmerwald veranstaltet, die den Spuren der deutschen Bevölkerung nachgehen sollte. Das betraf Kirchen, aufgelöste Truppenübungsplätze, Friedhöfe und Orte, die verschwunden sind. Es war eine spannende Spurensuche mit Studenten dieser Universitäten, die anschließend eben Fotografien ausgesucht haben, die sie während der Exkursion gemacht haben, und dazu Texte schrieben.“

Wie wurden die Orte ausgewählt? Es sind darunter ja sowohl kaum bekannte Ort wie Wunderbach oder St. Thomas, aber auch Krumau…

Josef-Seidel-Archiv in Český Krumlov | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Uns war wichtig, dass wir einen bestimmten Mix dieser Orte anbieten, eben Beispiele zeigen, bei denen die Kultur nur noch wenig sichtbar ist, wie etwa in Wunderbach (Bystrá, Anm. d. Red.). Dies ist ein untergegangener Ort, an dem noch Ruinen stehen, und teilweise noch alte Töpfe zu finden sind. Auf der anderen Seite wollten wir eben auch Beispiele anführen wie das Josef-Seidel-Archiv in Krumau, wo eben aktive kulturelle Erinnerung betrieben wird. So werden dort Fotografien von Josef und Franz Seidel gezeigt und auch die Art und Weise, wie diese dann verarbeitet wurden. Uns war wichtig, den Studenten eine Auswahl an Orten zu bieten, um sie dann möglichst auch zu vielen unterschiedlichen Texten inspirieren zu können.“

Sind Sie auch mit den heutigen Bewohnern dieser Orte zusammengetroffen? Denn beispielsweise in Gutwasser leben noch heute ein paar Menschen...

Zvonková | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Ja, wir sind vor allen Dingen in Zvonková (Glöckelberg, Anm. d. Red.) mit Emma Marx zusammengekommen, der Vorsitzenden der Deutschen im Böhmerwald. Sie gehört also der verbliebenen Minderheit an und hat uns ihre bewegende Lebensgeschichte erzählt, die natürlich auch von Diskriminierungen und nicht besonders schönen Lebenserfahrungen geprägt war. Ebenso haben wir mit Ivan Slavík vom Regionalmuseum in Krumau länger gesprochen, und zwar über die Stadt und ihre Geschichte. Es gab also diese Kontakte. Ansonsten haben wir uns vorrangig auf die Bauwerke und die Spuren konzentriert, um den Studenten die Möglichkeit zu geben, unabhängig von anderen Schilderungen ihre eigenen Eindrücke in Worte zu fassen.“

Es gibt hier ein Foto aus der Synagoge in Hartmanice / Hartmanitz. Diese wurde aber nach der Wende neu erbaut. Haben Sie sich auch für das Schicksal dieser Stadt interessiert? Denn vor zehn Jahren kamen die Nachkommen des Unternehmers Bloch, der in der Nähe der Stadt eine Fabrik hatte, aus Großbritannien, um die Synagoge zu besuchen. Im Ausland leben vermutlich noch mehrere Nachkommen der jüdischen Bewohner dieser Orte.

Synagoge in Hartmanice | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wir haben uns in der Synagoge mit der Geschichte der jüdischen Bevölkerung bekannt gemacht. Diese hatte ein trauriges Schicksal. Was mich besonders beeindruckte in Hartmanitz, war diese deutsch-tschechisch-jüdische Gedenkstätte. Also der drei Nationalitäten, Glaubensrichtungen, die auch im Böhmerwald zusammengelebt haben. In der Gegend gab es eine zahlreiche jüdische Bevölkerung. Uns hat auf der einen Seite imponiert, dass das Erbe der deutschsprachigen Bevölkerung in einer solchen Begegnungsstätte gezeigt wird, und auf der anderen Seite eben auch die jüdische Bevölkerung nicht in Vergessenheit gerät. Denn sie kommt bei den bilateralen deutsch-tschechischen Aktionen häufig zu kurz. Jüdische Bewohner des Böhmerwaldes waren ja in beiden Sprachgruppen zu finden, mehrheitlich aber in der deutschen.“

Was hat Sie und die Studierenden am stärksten beeindruckt während dieser Wanderungen?

Aufschriften sowjetischer Soldaten | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wir hatten heute bei der Eröffnung hier in der Bayerischen Repräsentanz in Prag eine Diskussion mit den Studenten. Da kam die Meinung auf, dass vor allem die Kirchen beeindruckend waren, wenn sie alleine auf weiter Flur stehen und die übrigen Reste des Dorfes fast nicht mehr zu erkennen sind. Ein Beispiel dafür ist die Nikolauskirche in Poletitz, die auf einem Truppenübungsplatz steht. Sie ist zum einen wunderschön rekonstruiert worden, finanziert auch durch die ehemaligen deutschen Bewohner, zum anderen finden sich dort Aufschriften sowjetischer Soldaten, die diese Kirche unter anderem dazu genutzt haben, Eishockey zu spielen.“

Mittlerweile finden dort auch Konzerte statt…

Nikolauskirche in Poletitz | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Die Kirche ist wieder mit Leben erfüllt. Wie uns Lenka Augustýnová vom Verein ,Radost pro všechny‘ erzählte, finden dort Konzerte und kulturelle Veranstaltungen statt. Für einen regelmäßigen Gottesdienstbetrieb ist aber nicht mehr genügend Bevölkerung da.“

Wird die Ausstellung noch weiterwandern?

„Die Ausstellung wird als Nächstes nach Düsseldorf, ins Gerhart-Hauptmann-Haus wandern, anschließend nach Schönsee, ins Centrum Bavaria Bohemia. Andere Orte sind Ústí nad Labem (Aussig) und Regensburg. Und bislang wurde sie außer hier in der Bayerischen Repräsentanz noch im Geschichtspark Bärnau -Tachov gezeigt.“


Mikuláš Zvánovec | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Herr Zvánovec, Sie haben damals auch an den Wanderungen auf den Spuren der verschwundenen Dörfer im Böhmerwald teilgenommen. Was hat Sie am meisten beeindruckt?

„Das Bild, vor dem wir hier stehen, zeigt den verschwundenen Ort Wunderbach. Den haben wir auch im Rahmen der Exkursion besucht, und ich habe das Foto im Rahmen der Ausstellung veröffentlicht. Dieser Ort hat auf mich unheimlich stark gewirkt. Wir kannten ihn gar nicht, wir sind über ein Video von Emil Kintzl aufmerksam gemacht worden. Eigentlich sollte uns ein Mann vom Nationalpark Böhmerwald zu dem Ort führen. Der Mann sagte jedoch kurzfristig ab, und wir mussten den sehr abgelegenen und schwer zugänglichen Ort selbst finden. Wir sind da über verschiedene Umwege hingegangen, die eigentlichen Wege existieren ja nicht mehr. Als wir dann im Tal des Wunderbaches die Ruinen des verschwundenen Ortes sahen, war das ein besonderer Moment. Wir haben dort zudem verschiedene mysteriöse Geschichten erzählt und die Studierenden raten lassen, welche wahr ist. Der Weg zurück war ebenfalls abenteuerlich. Ich weiß nicht, ob die Studierenden bemerkt haben, dass wir uns als Organisatoren dort nicht so gut auskannten. Der Weg ist auf keiner Karte zu finden. Uns ist es aber gelungen, die Studenten zurück zum Auto zu führen. Es ist ein magischer Ort, tief eingeschnitten in den Bergen. Ich habe sogar irgendwo gelesen, in Wunderbach habe nur zwei Monate im Jahr Sonne geschienen, sonst sei die Gemeinde immer im Schatten der umliegenden Berge gelegen.“

Was ist von Wunderbach übriggeblieben? Auf dem Foto sind Fragmente eines Gebäudes zu sehen…

Dobrá Voda | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Interessant ist, dass dort verhältnismäßig viel erhalten geblieben ist – im Vergleich zu den Dörfern in der Umgebung. Denn es geht hier um den aufgelösten Truppenübungsplatz Dobrá Voda. Das Militär hat dort praktisch alle Häuser dem Erdboden gleichgemacht. Wunderbach ist deswegen eine Ausnahme, weil es schwer zugänglich ist. Der Ort wurde einfach seinem Schicksal überlassen. Deswegen fanden wir die Ruinen der Häuser und der Mühle und konnten sie uns ansehen. Zudem sind wir dort auf Teilen von Gegenständen gestoßen.“

Sie haben vorhin eine interessante Geschichte erwähnt, die mit Wunderbach zusammenhängt…

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wunderbach hat uns auch aus dem Grund interessiert, weil wir die Geschichte von einer gewissen Frau Missy oder Mizzi gehört haben. Sie war ein kleines Mädchen, als die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg erzwungen ausgesiedelt wurde. Sie begrub damals ihre Puppe im Boden. Nach der Wende von 1989 kehrte sie schon als ältere Dame in ihre Heimat zurück und fand diese Puppe wieder. Das hat uns sehr beeindruckt. Dann begrub sie die Puppe noch einmal dort, das heißt, sie ist nach wie vor dort. Aber sie ist versteckt, und man sollte nicht nach ihr suchen. Es ist eine Erinnerung, die im Boden bleibt.“

Die Ausstellung ist in der Bayerischen Repräsentanz in Prag ist noch bis 10. November zu sehen.

schlüsselwort: