Holzschiff der Wünsche in Prag – Martin Steinerts „Wooden Cloud“
Wer in diesen Wochen am Prager Smetana-Kai entlangspaziert, dem wird ein ungewöhnliches Holz-Konstrukt ins Auge stechen. Es hat die Form eines Schiffes. Bei der Skulptur handelt es sich um ein Projekt des Künstlers Martin Steinert: die sogenannte Wooden Cloud. Seit dem 17. August wird am Moldau-Ufer Holzlatte an Holzlatte geschraubt.
Nach Saarbrücken, Berlin, Paris, St. Petersburg und Ramallah ist die Wolke jetzt nach Prag gezogen. Martin Steinert baut in der tschechischen Hauptstadt zum sechsten Mal eine große Installation aus zahlreichen Holzlatten. Doch es bleibt nicht bei den 1500 bis 2000 Metern nacktem Holz.
„Die Wooden Cloud ist eine Projektreihe, die ich vor sechs Jahren ins Leben gerufen habe. Ich ziehe damit durch viele Städte Europas. Und an öffentlichen Plätzen baue ich große, raumgreifende Installationen aus ganz profanen Holzlatten. Es ist eine partizipative Aktion. Die Bevölkerung ist aufgerufen, ihre Gedanken, Wünsche, Ängste und Hoffnungen zu formulieren und auf die Holzlatten zu schreiben. So wird die Wooden Cloud zu einer Momentaufnahme der gesellschaftlichen Befindlichkeit eines speziellen Ortes“, erzählt Martin Steinert in einem Café während des ersten Regengusses in Prag seit vielen Tagen.
Gebaut wird in Prag insgesamt drei Wochen lang, also noch bis Anfang September. Und ansehen kann man sich die Skulptur noch bis mindestens Ende September – falls sie nicht noch länger bleiben darf. Die Wooden Cloud ist Teil des Sculpture-Line-Festivals, das aktuell in Prag stattfindet. Und der Künstler betont, dass die Goldene Stadt nicht zufällig zum neuen Standort für sein Projekt geworden sei:
„Prag habe ich mir tatsächlich selbst ausgesucht. Fast alle anderen Standorte sind zufällig entstanden. Aber Prag habe ich mir selbst ausgesucht. Ich war vor zwei Jahren zum ersten Mal hier. Die Stadt ist fantastisch, genau für diese Zwecke. Es gibt tolle Plätze und eine schöne Atmosphäre. Das hat mich gereizt.“
Eigentlich sollte die Wooden Cloud auf der Schützeninsel entstehen. Das hat leider nicht geklappt. Die Skulptur wächst jetzt aber ganz in der Nähe heran: am Smetana-Kai, nahe der Straßenbahnhaltestelle Nationaltheater. Und Steinert ist auch mit dem alternativen Standort sehr glücklich.
„Meine erste Wahl war die Schützeninsel. So ist auch die Idee des Boots entstanden. Das hat leider, unter anderem aus rechtlichen Gründen, nicht geklappt. Deswegen hat man mir dann diesen Platz angeboten. Der ist zwar ein bisschen weg von der Moldau. Trotzdem ist als Form das Boot geblieben. Ich bin ganz froh, dass es ein so urbaner und zentraler Platz ist. Die Holzinstallation wirkt hier erst einmal wie ein Fremdkörper. Deswegen wird sie aber auch umso mehr wahrgenommen“, so Steinert.
Die Stifte liegen bereit
Alle Prager und natürlich auch die Besucher der Stadt sind jetzt eingeladen, ihre Gedanken auf den Holzlatten aus Tanne oder Fichte zu verewigen. So bekommt die Skulptur dann ihre besondere, in diesem Fall die Prager Note. Beschriftet werden kann bevor oder nachdem der Akkuschrauber angesetzt wird:
„Geplant war vor sechs Jahren, als wir in Saarbrücken angefangen haben, dass die Holzlatten, die ich mit meinen Mitarbeitern verarbeite, vorher beschriftet werden. Das hat dann aber bei der zweiten Station in St. Petersburg nicht mehr funktioniert. Die Installation stand dort schon in der Bauphase in einem unbewachten Park. Die Leute sind also bereits abends und nachts dort hingekommen und haben sie vollgeschrieben. Seitdem haben wir in Kauf genommen, dass sowohl auf die bereitliegenden Holzlatten, als auch auf die Skulptur geschrieben wird.“
Martin Steinert, der selbst aus Saarbrücken kommt, ist bei seinem Projekt ergebnisoffen. Er habe keine bestimmte Vorstellung davon, was die Prager an Ideen, Ängsten oder Wünschen festhalten würden, sagt der 61-Jährige. Die Erfahrung habe ihn aber gelehrt, dass die Menschen im Grunde überall die gleichen elementaren Hoffnungen hätten.
„Ich habe tatsächlich nie bestimmte Erwartungen und lasse mich überraschen. Bevor ich das Projekt vor sechs Jahren angefangen habe, war meine erste Idee, dass die Wünsche der Leute gleich sind, egal wo man hinkommt. Das hat sich zum größten Teil auch bewahrheitet. Egal wo, ob in St. Petersburg oder Ramallah: In erster Linie wünschen sich die Menschen Frieden, Gesundheit für sich und die Familie sowie Liebe“, sagt Steinert.
Doch neben diesen fundamentalen Wünschen kristallisieren sich hier und da natürlich auch lokale Besonderheiten heraus. Und so findet die Wooden Cloud noch eine neue Ebene: Sie regt die Menschen dazu an, miteinander zu reden:
„Es gibt auch immer wieder spezifische Dinge. In Berlin auf dem Richardplatz in Neukölln war zum Beispiel die Gentrifizierung ein großes Thema. Da auch dieser Berliner Bezirk unter der Entwicklung leidet. Das wurde dann nicht nur an die Skulptur geschrieben, sondern auch an Ort und Stelle diskutiert. Die Skulptur ist selbst für diese Themen also ein Kommunikationsort geworden.“
Einheimische treffen in Prag
Doch zurück nach Prag: Wie nimmt der Künstler die tschechische Hauptstadt zu Corona-Zeiten wahr?
„Man sieht kaum Masken und kriegt nicht mit, dass Leute Bedenken haben oder zurückhaltend sind. Das ist angenehm und sympathisch. Es ist uns aber direkt aufgefallen, dass natürlich viel weniger los ist. Ich war vor zwei Jahren zu Anfang März hier. Da gab es schon viel mehr Tourismus. Das kommt unserem Projekt aber entgegen. So haben wir die Gelegenheit, mehr Einheimische aus Prag zu treffen“, erzählt er.
Das Kunstprojekt Wooden Cloud wird von drei Künstlern getragen. Außer Steinert selbst ist noch der Fotograf André Mailänder mit in Prag. Er fokussiert sich in seiner Dokumentation aber nicht nur auf die Skulptur. Viel mehr portraitiert er die ganze tschechische Hauptstadt und seine Bewohner. Zum Ende des Projekts entsteht dann ein Buch mit den Fotografien und auch den Eindrücken Steinerts. Normalerweise werden beide noch von Mathilde Nodenot begleitet. Sie ist Filmkünstlerin, kann aber aus Zeitgründen nicht nach Prag kommen.
Eigentlich sollte das Projekt nur fünf Mal stattfinden. Das Interesse ist aber so groß, dass es weiter geht. Die nächste Wolke von Martin Steinert zieht in der albanischen Hauptstadt Tirana auf. Und der Regen, der uns auch in diesem Interview begleitet hat, kann der Skulptur übrigens nichts anhaben. Ganz so wie es sich für eine Wolke gehört.
Martin Steinert ist mit der Wooden Cloud über das Goethe-Institut in Prag, und zwar als „Artist in Residence“. Die Skulptur wird im Rahmen des Festivals „Sculpture Line“ gezeigt, das noch bis Ende September läuft. Mehr Informationen dazu unter www.sculptureline.cz/en.