„Ich bin selbst überrascht, dass mir das gelingt“ – Der Blog „Humans of Prague“ trifft mitten ins Herz

Die Menschen mit anderen Augen sehen: In seinem Web-Blog „Humans of Prague“ veröffentlicht der Prager Tomáš Princ Fotos und Erzählungen von Passanten, die ihm in der tschechischen Hauptstadt über den Weg laufen. Wo er sie findet, wie er sie anspricht und wer sich überhaupt darauf einlässt – das verrät Tomáš Princ im Gespräch mit Radio Prag.

Tomáš Princ  (Foto: ČT24)
Worüber haben Sie kürzlich nachgedacht? Darauf spontan eine Antwort zu finden, ist gar nicht so leicht. Der Blogger Tomáš Princ stellt wildfremden Menschen Fragen dieser Art. In der 1,3 Millionen-Metropole pickt sich Tomáš Personen heraus, die ihm auf ihre Weise besonders erscheinen. Feine Damen, hippe Studenten, verliebte Pärchen oder die Herren, die am Wenzelsplatz Touristen in Casinos locken. Er stellt ihnen eine simple Frage, wie „Wofür brennst du?“ oder „Was war der Wendepunkt deines Lebens?“ Die Antworten der Prager sprechen für sich. Für Tomáš ist es keine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen ihre intimsten Geschichten so spontan mit ihm teilen.

„Es ist ganz eigenartig. Auf den Straßen gehen sich die Menschen ja eigentlich aus dem Weg. Ich bin nach diesen eineinhalb Jahren selbst überrascht, dass es mir gelingt, diese Geschichten von den Menschen zu bekommen. Immer klappt es nicht, viele der Begegnungen bewegen sich auch am Rande von Peinlichkeit oder Misstrauen. Aber dann gibt es wieder die Situationen, wo sich die Menschen wirklich öffnen und Vertrauen haben. Darüber bin ich sehr froh. Es ist ein eigenartiges Gefühl.“, erzählt Tomáš.

Schon mehr als 580 Geschichten sind in seinem Foto-Blog „Humans of Prague“ zu lesen, doppelt so viele Menschen hat der 29-jährige fotografiert. Blogs dieser Art sind nichts Neues mehr. Weltweit gehen Seiten, wie “Humans of Berlin” “Humans of Paris” oder “Humans of India” viral durchs Netz. Die Ursprungsidee stammt von dem Amerikaner Brandon Stanton, der mit seinem Blog „Humans of New York“ seit geraumer Zeit im Internet gefeiert wird. Mit einer Leserschaft von über 12 Millionen kann Tomáš Princ zwar nicht mithalten, aber mit über 50.000 Fans ist er auf dem guten Weg dahin. Für das Geschichten erzählen hatte er schon immer eine Leidenschaft, und auch für die Fotografie.

In Kenia  (Foto: Tomáš Princ)
„Bevor ich im Sommer 2013 anfing zu bloggen, habe ich Journalismus und Geisteswissenschaften studiert. Nach dem Studium bin ich dann für zwei Jahre ins Ausland gegangen. Ich habe an verschiedenen Freiwilligen-Projekten mitgewirkt, und das hat mir in gewisser Weise sicherlich eine breitere Sicht auf verschiedene Dinge verschafft. Ich war zum Beispiel in Kenia, wo ich die Basics von Film und Fotografie unterrichtet habe. Oder auch in Südkorea, wo ich Jugendlichen Englisch beigebracht habe. Aber tatsächlich habe ich mich schon seit meiner Kindheit für Fotografie, Film und das Erzählen von Geschichten interessiert. Und das hat mich dann zu diesem Blog geführt.“

Blog „Humans of Prague“
Der Leserschaft treffen die Erzählungen mitten ins Herz.„Ich bewundere dich“, lautet ein Kommentar unter dem Foto einer Frau, die ihrem Mann die Hand hielt, als er starb. Unter einem anderen Eintrag heißt es: „Vielen Dank, dass es unter uns noch ehrliche Menschen gibt.“ Auf dem Foto ist eine junge Frau zu sehen, die kürzlich ihren Job gekündigt hat. Weil er so hoch bezahlt war, konnte sie ihn nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren. Die veröffentlichten Bilder wirken unprätentiös und beiläufig, doch für den Blog loszuziehen und wildfremde Menschen anzusprechen, das fällt Tomáš nicht immer leicht:

Foto: Tomáš Princ
„Es ist nicht einfach. Ich würde sagen, dass die Leute stehen bleiben, die dazu aufgelegt sind. Es gibt diejenigen, die interessiert sind und auch fragen, warum ich so etwas mache. Die anderen, die ohnehin kein Interesse haben oder nicht auf der Straße angesprochen werden wollen, lehnen es ab. Ich versuche erst gar nicht, die Leute auf irgendeine Weise zu überzeugen. Es bleiben einfach die bei mir stehen, die schon die Voraussetzungen mitbringen.“

Seit 2013, also fast 2 Jahren, streift Tomáš durch die Gassen Prags, um seiner internationalen Fangemeinde täglich neue Stories zu liefern. Mit wie vielen Menschen er täglich zu tun hat, kommt ganz auf seine Wochenplanung an. Tomáš Princ:

Illustrationsfoto: Kristýna Maková
„Das ist unterschiedlich. In manchen Wochen habe ich noch verschiedene andere Jobs. Manchmal habe ich also mehr, dann wieder weniger Zeit. Manchmal weiß ich schon im Voraus, dass ich Geschichten für einige Tage brauche. Dann gehe ich den ganzen Nachmittag raus uns spreche mit 10 oder 15 Menschen. Ein anderes Mal weiß ich wieder, dass ich nur eine Geschichte für diesen Tag brauche, und gehe nur für eine Stunde in die Gegend, in der ich wohne.“

Nicht jeder, der von Tomáš angesprochen wird, lässt sich auf die Begegnung ein. Es kann passieren, dass der Fotograf zwei Stunden umherläuft und niemanden ablichtet. Wenn ihm jemand auffällt, der ihm interessant erscheint, ist es von verschiedenen Faktoren abhängig, ob er ihn anspricht oder nicht.

Foto: Tomáš Princ
„Ich achte vor allem darauf, dass die Auswahl ganz zufällig zustande kommt. Es kann sein, dass mir jemand aus einer Seitenstraße entgegenkommt. Ich sehe ihn aus der Entfernung, weiß noch nicht, wer das ist, aber ich weiß bereits, dass ich ihn ansprechen werde. Dann gehe ich wieder durch eine geschäftige Straße, und es ist einfach die Kleidung oder das Gesicht, das mich anspricht. Aber ich kann gar nicht genau beschreiben, was es genau ist. Es kann ein Gesichtsausdruck sein, oder dass der Mensch etwas Ungewöhnliches macht, und sich dadurch ein wenig vom Straßentreiben abhebt. Oder einfach seine schöne Kleidung.“

Foto: Tomáš Princ
Ob ihm die Passanten so spontan vertrauen, kann und will er nicht beeinflussen. Dabei kann es durchaus mal passieren, dass die Passanten ihre Meinung wieder ändern, aber Tomáš weiß, dass das der Lauf der Dinge ist:

„Es ist wohl etwa die Hälfte der Leute – manchmal mehr, manchmal weniger – die gleich am Anfang mit Nein auf die Frage antworten, ob ich sie fotografieren darf. Und dann gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die ich fotografiere, mit denen ich mich unterhalte, die dann aber doch nicht wollen. Und dann gibt es die Gruppe, die ich tatsächlich auf dem Blog veröffentliche. Manche Leute zum Beispiel sprechen mit mir, das freut mich natürlich. Aber sie haben es wirklich eilig und müssen schnell weiter. Aus solchen Begegnungen lässt sich nicht immer ein Beitrag machen. Das heißt, diejenigen, die tatsächlich im Blog auftauchen; das ist etwa ein Viertel oder sogar nur ein Fünftel derjenigen, mit denen ich spreche.“

Platz Jiřího z Poděbrad  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Inzwischen hat der Fotograf für sich die besten Gegenden gefunden, wo er mit hoher Wahrscheinlichkeit Menschen vor die Kamera bekommt:

„Ich habe so ein paar Lieblingsstrecken. Gerade sind wir ja auf dem Platz Jiřího z Poděbrad, und hier in der Umgebung, in Vinohrady bin ich sehr oft unterwegs. Aber ich gehe auch oft in die Viertel Karlín, Žižkov, Dejvice oder Letná. Ich will eigentlich auch gerne ein bisschen weiter raus aus dem Zentrum. Aber dort passiert es mir manchmal, dass ich mehrere Stunden durch die Straßen laufe und auf gar niemanden treffe. Dann komme ich eben wieder in meine Lieblingsviertel zurück, von denen ich weiß, dass es hier Leute gibt, wo ich die Straßen kenne und wo auch die Lichtbedingungen gut sind.“

Tomáš will eines Tages eine gedruckte Sammlung mit all seinen Fotos und Geschichten in den Händen halten. Und, wer weiß? Vielleicht kommt bald ein junger Mann auf Sie zu und fragt: „Darf ich ein Foto von Ihnen machen?“

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