Im Exil geschätzt, in der Heimat verfolgt – Sozialdemokrat Přemysl Janýr
Einige bedeutende Politiker weltweit hatten tschechische Wurzeln. Von den noch Lebenden lassen sich zum Beispiel die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright nennen, der mehrfache kanadische Minister Otto Jelinek oder der frühere Grünen-Abgeordnete im Bundestag Milan Horáček. Nicht weniger interessant war auch der Lebensweg von Přemysl Janýr, dem ehemaligen österreichischen Sozialdemokraten. Vor kurzen wäre Janýr 90 Jahre alt geworden.
Beim Parteitag im Jahre 1947 wurde der Zentrist Bohumil Laušman zum Vorsitzenden gewählt. In der Folge verlor der linke Flügel vorübergehend an Einfluss. Janýr wurde von seinem Posten im Parteivorstand abberufen. Im Februar 1948 kam es zum politischen Umsturz im Land, die Kommunisten ergriffen die Macht. Bald danach fusionierten die Sozialdemokratische und die Kommunistische Partei. Janýr begrüßte diese Entwicklung und glaubte an eine große Karriere. Er sollte bei den Parlamentswahlen kandidieren, zum Urnengang waren nur die gegenüber den Kommunisten loyalen Parteien der sogenannten Nationalen Front zugelassen. Doch die Dinge liefen anders, sagt der Publizist Pavel Hlavatý.
„Aus Janýrs Kandidatur wurde letztlich nichts, stattdessen wurde er 1949 zum ersten Mal festgenommen. Die kommunistische Staatspolizei warf ihm vor, er habe einen Agenten der amerikanischen Militärabwehrdienst CIC versteckt gehalten. Laut den bestehenden Dokumenten war das aber Unsinn. Janýr wurde auch tatsächlich freigelassen, doch schon im März 1950 verhaftete man ihn erneut. Er wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Zugleich wurde gegen ihn eine weitere Anklage erhoben, diesmal wagen Hochverrats und staatsfeindlicher Agitation. Das Regime hielt wahrscheinlich für strafbar, dass Janýr weiter Kontakte pflegte zu jenen Sozialdemokraten, die aus ihrer Partei ausgeschlossen worden oder enttäuscht waren.“„Neigt dazu, auf eigene Faust zu handeln“
Der junge Mann bekam zehn Jahre Haft, obwohl er die kommunistische Politik unterstützte. Was die wahren Gründe gewesen sein könnten, deutet die Kaderakte an, die Janýrs Vorgesetzte vor der ersten Festnahme angelegt hatten. Dort stand: „Janýr ist zwar ein begabter und reifer Genosse, er neigt jedoch dazu, auf eigene Faust zu handeln und seine persönlichen Interessen vorzuziehen“.Die kommunistische Partei entschied sich also, ihn loszuwerden. Er kam als Zwangsarbeiter in die Uranbergwerke im nordböhmischen Jáchymov / Joachimsthal. Nach fünf Jahren wurde er unter Auflagen freigelassen, von einem freien Leben konnte er aber weiterhin nur träumen. Zunächst durfte er nur manuelle Arbeiten ausüben, später erlaubte man ihm, auch einige Zeitschriftenartikel zu schreiben. Erst 1965 wurde Janýr juristisch rehabilitiert und konnte als Beamter im Tschechoslowakischen Fernsehen arbeiten. Zur Zeit des sogenannten „Prager Frühlings“ versuchte er, in den Medien die Erneuerung der Sozialdemokratischen Partei anzuregen. Es war jedoch vergeblich. Später schrieb er darüber in seinem schmalen Buch „Das unbekannte Kapitel 1968“. Frei übersetzt lautete die Passage:
„Obwohl überall über die Pressefreiheit gesprochen wurde, sah die Praxis ganz anders aus. Die Zeitungen berichteten nur darüber, was im Kurs stand, aber die Erneuerung der Sozialdemokratie gehörte nicht dazu. Den einzigen Erfolg hatte ich bei den ‚Literarischen Blättern‘ mit einer Glosse zum Jubiläum des Gründungsparteitags der Sozialdemokratischen Partei im April 1878. Ich erwähnte unter anderem, dass dieses Jubiläum in eine Zeit falle, in der die in den 1950er Jahren verurteilten Sozialdemokraten rehabilitiert würden. Der Oberste Gerichtshof stellte damals fest, dass die Sozialdemokraten nicht nur unschuldig gewesen seien, sondern dass sie auch die Entwicklung des Sozialismus nicht behindert hätten. Sie hätten nur jenen im Weg gestanden, die im Namen des Sozialismus die Menschen um ihre Freiheit gebracht hatten. Außer meiner kleinen Notiz war aber die Sozialdemokratie in der damaligen Presse praktisch tabu.“Dennoch begann Janýr mit weiteren Kollegen, an der Erneuerung der Partei zu arbeiten. Auf eine Unterstützung durch die Reformkommunisten konnten sie aber nicht hoffen. Im Gegenteil: Diese wollten ihre Partei geschlossen halten und waren nicht bereit, auf die in der tschechoslowakischen Verfassung verankerte Führungsrolle der KPTsch zu verzichten. Sie fürchteten, dass auch ehemalige Mitglieder oder Anhänger anderer Parteien aktiv werden könnten.
„Hier zeigt sich die Rückseite des Prager Frühlings. Die Pressefreiheit war nicht so grenzenlos, wie überliefert wird, das System blieb in seinen Grundrissen bestehen. Das Ziel war ja ein Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Die KPTsch ließ keine politische Konkurrenz zu, nicht nur weil sie ihre Führungsrolle nicht verlieren wollte, aber auch aus außenpolitischen Gründen. In der Sowjetunion hätte man das keinesfalls akzeptiert“, so Pavel Hlavatý.
Die Kommunisten hatten ihn schon auf der Liste
Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei am 21. August 1968 erlebte Janýr eine aus heutiger Sicht komische Geschichte, die für ihn jedoch Folgen hatte. Im oben zitierten Buch schilderte er, dass er einer schwedischen Zeitung ein Interview gegeben und die Journalisten ihn grob desinterpretiert hatten. Janýr wurde dort beinahe als Führer einer illegalen Widerstandsorganisation präsentiert. Janýr forderte von der Redaktion eine Richtigstellung, die Kommunisten hatten ihn jedoch bereits auf ihrer Liste. Als er kurz danach von einem Studienaufenthalt aus Wien zurückkehrte, kam es zu einer seltsamen Begebenheit. Frei übersetzt steht im Buch „Das unbekannte Kapitel 1968“:„Am 22. April 1969 erschien über mich und andere Sozialdemokraten in der Tschechoslowakei ein Zeitungsartikel, in dem behauptet wurde, dass unsere Gruppe versucht hätte, die politische Macht zu ergreifen. Nachdem unser Versuch gescheitert wäre, wäre Janýr nach Österreich emigriert, stand dort wortwörtlich. Sofort lief ich in die Redaktion und wollte mit dem Chefredakteur sprechen. ‚Sie schreiben, dass ich emigriert sei, ich bin aber hier, wie sie sehen. Ich fordere, dass sie eine entsprechende Richtigstellung inklusive einer Entschuldigung veröffentlichen´, sagte ich zu ihm. Nach einem komplizierten Gespräch, bei dem auch viele Parteipotentaten waren, erschienen die Richtigstellung und die Entschuldigung auch wirklich. Ich hielt dies für einen kleinen Sieg über das beginnende neostalinistische Regime.“ Ab da stand Janýr jedoch noch mehr im Visier der Staatssicherheit und wurde mehrmals verhört. Bald danach entschloss er sich wirklich zur Emigration nach Wien. Sein Sohn blieb in der Tschechoslowakei und bekam ebenfalls Probleme mit dem Regime, unter anderem durfte er nicht das Abitur machen. Der junge Janýr war dann als Dissident aktiv, er unterschrieb die sogenannte Charta 77, in der das Regime zum Dialog mit der Öffentlichkeit aufgefordert wurde. In der Folge wurde er ausgebürgert und folgte seinem Vater nach Wien.Pressearbeit für Bundeskanzler Kreisky
Janýr Senior war jedoch auch in der Emigration ständig umgeben von Agenten der STB, also der tschechoslowakischen Staatspolizei. Pavel Hlavatý.„Die STB hat ihn sicher für einen gefährlichen Feind gehalten. Janýr war ein sehr engagierter Mensch und knüpfte viele Kontakte zu einflussreichen Politikern in Österreich und Deutschland. Übrigens arbeitete er im Parteiapparat der SPÖ und schließlich auch in der Presseabteilung von Bundeskanzler Bruno Kreisky. Janýr engagierte sich auch für Emigranten, vielen besorgte er nach ihrer Ankunft Unterbringung und Arbeit. Er gab zudem die Zeitschrift „Korrespondenz“ heraus, die in die Tschechoslowakei geschmuggelt wurde, und er gründete und leitete den tschechischen Kulturklub in Wien. Janýr war wirklich während seiner Eimigration immer aktiv.“
Nach der Wende 1989 kehrte Přemysl Janýr in die Tschechoslowakei zurück, er wollte wieder für die erneuerte Sozialdemokratie Partei arbeiten. Dort herrschten jedoch viele Streitigkeiten, und der ehemalige Emigrant fand keinen Platz in der Politik. Letztlich wurde Janýr dann als unabhängiger Journalist tätig. Er starb 1998, ein Jahr später erhielt er vom damaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel die Staatsauszeichnung in Memoriam.