J. E. Kypta: Pastoralmesse

Die kirchliche Weihnachtsmusik hat in Tschechien eine lange Tradition. Unzählige Werke von vielen Kantoren, unbekannten Musikern und berühmten Komponisten bilden bis heute das ständige Repertoir mancher Chöre und Orchester. Kaum jemand kann sich böhmische Weihnachten ohne die Pastoralmesse von Jakub Jan Ryba vorstellen. Doch es gibt auch andere, nicht so oft gespielte Stücke, die der Kenner zu schätzen weiss. Die sogenannte mährische Pastoralmesse in A Jan Evangelista Kyptas gehört dazu. Mehr im Beitrag von Ladislav Kylar.

Ohne Kyptas Pastoralmesse wäre Weihnachten in Telc überhaupt nicht Weihnachten, sagen manche in der südmährischen Region. Doch die Popularität dieses alten Werkes reicht nicht weiter als bis zum nächsten Dorf. Höchstens in den Städten, in denen der Komponist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte, errinert man sich noch heute, dass man in Tschechien auch etwas anderes als Rybas berühmte Weihnachtsmesse spielt. Die Ursache ist klar. Die rasch verbreitete Messe Rybas bildete Kypta gegenüber eine zu starke Konkurrenz. Vielleicht liegt es an dessen unglücklichen Schicksal. Im Vergleich zu Ryba führte Kypta ein ruhiges, ordentliches Leben, was niemanden zu interessieren scheint. In Telc, einem damals kleinen Städtchen am südlichen Ende Mährens, war Kypta wohl zu weit von traditionellen Kulturzentren, wie zum Beispiel Prag oder Wien, entfernt. Dennoch ist er nicht gänzlich in Vergessenheit geraten. Zumindest in Telè und Umgebung schätzt man ihn bis heute.

Die grosse monumentale Epoche des Barok ist längst vorüber. Die Romantik löst den Klassizismus ab. Doch im Böhmen auf dem Lande bleibt alles immer noch fest an die Vergangenheit gebunden. Man schreibt den Anfang des 19. Jahrhunderts, genauer das Jahr 1813. Österreich liegt gerade im Krieg mit Napoleon, aber im Lande herrschte relative Ruhe. Am letzten Novembertag dieses Jahres wurde Jan Evangelista Kypta im südbohmischen Dorf Borotín geboren. Er stammte aus einer grossen Familie - insgesamt hatte er 8 Geschwister. Kyptas Eltern gehörten zum damaligen normalen Bauernvolk - sein Vater Jan Krtitel war Weber, was aber wichtiger ist: Als grosser Musikliebhaber und guter Dudelsackspieler ließ er seine Kinder früh das Singen lernen. Jeden Nachmittag in der Schule wurde eine Singstunde gehalten. Viele Jahre danach erinnert sich Kypta in seinem Tagebuch:

Der Borotiner Herr Lehrer, Sebastian Glückselig, war ein ausgezeichneter Organist und hat sehr viel auf Musik gehalten, deswegen musste jeder seiner Helfer auch Knaben im Singen und in der Musik unterrichten. Auch ich selbst habe den Herrn Lehrer gebeten, ebenfalls lernen zu dürfen. Nach dem Gebet hat er mich in der Schule auf einen Stuhl gestellt und befahl, dass ich ihm ein Lied vorsinge, das ich kenne. Davon kannte ich eine Menge. Ich sang brav und als ich zum Ende kam, hat er mich gelobt, indem er sagte: du wirst lernen. Ich wurde also einer seiner Schüler und von ihm im Singen unterrichtet. Es ging mir alles leicht von der Hand und es hat nicht lange gedauert, bis ich angefangen habe, Geige zu spielen. Später brachte mich der Herr Lehrer zum Klavierspielen und ich übte jeden Morgen bevor die Schule anfing. Kurz danach hatte der Herr Lehrer keine Klavierstücke mehr, die ich hätte spielen können, deswegen lies er mich Kirchenlieder und Praeludien spielen, bis endlich auch Messen an die Reihe kamen. Ich kann überhapt nicht begreifen, wie es möglich war, dass ich so bald Orgel spielen konnte und auch mein Vater weinte, wenn man ihm, dem Kranken, erzählte, wie ich Orgel spielen kann.

Beeinflusst durch seine Kindheit, hatte der junge Jan Evangelista Kypta nur einen einzigen Wunsch - Lehrer zu werden und musikalisch tätig zu sein. Doch der Weg zum erträumten Beruf war schwer. Seine Familie konnte dem Kind einen solchen Luxus gar nicht ermöglichen, deswegen musste er anfangen als Bauer zu arbeiten. Dann kam aber der Durchbruch. Der neue Borotíner Pfarrer, Pater Bernard Christlbauer, erkannte Kyptas Begabung. Nach einigem Tauziehen mit seinem Bruder, der so etwas überhaupt nicht hören wollte, besorgte ihm Pater Christlbauer eine Stelle als Hilfslehrer und -Organist in Kumžak. Hier verbringt Kypta einige Zeit, bis ihn es eines Tages die Nachricht erreicht, dass die Organistenschule in Prag 4 freie Stipendien anbietet. Sofort begab sich der junge Lehrer auf den Weg. In Prag fand Kypta gute Lehrer. Sowohl Jan Vitásek, Kapellmeister des Prager Erzbischofs, als auch der bekannte Komponist Robert Führer haben eine lange Reihe von später berühmten Schülern gehabt. Außer Orgelspielen lernte Kypta hier auch komponieren. Damit hatte er gleich nach seiner Rückkehr nach Südböhmen angefangen.

Wie alle Lehrer dieser Zeit, ist auch Kypta nicht lange an einem Ort geblieben. Kurz nach seiner Rückkehr wurde ihm eine Stelle in Jindøichùv Hradec angeboten. Hier sind seine ersten Stücke entstanden. Wohl aus langer Weile - außer kirchlichen Diensten hatte er hier fast nichts anderes zu tun. Am Anfang veröffentlichte er seine Werke - vor allem Arien und Messen - unter anderen Namen, wie Kauer oder Borsický. Doch der dortige Kantor Ikavec erkannte bald, um wen es sich dabei wirklich handelte. Ein erster Erfolg war da. Es kamen Bestellungen. Kypta wurde berühmt und schließlich kam das Angebot in Telè eine frei gewordene Lehrerstelle zu übernehmen. Hier blieb Kypta Zeit seines Lebens und hier entstanden auch seine schönsten Werke, unter anderen auch die heutige Mährische Pastoralmesse in A. Und obwohl diese Messe auf die interessierte Öffentlichkeit scheinbar großen Eindruck machte, der Autor selbst hat in seinen Erinnerungen davon kaum ein Wort erwähnt.

Im November habe ich die Pastoralmesse in A mit tschechischem Text komponiert, die Worte dazu habe ich selbst ersonnen. Diese Messe wurde wahrscheinlich während des Morgengottesdienstes aufgeführt und in der Bevölkerung löste sie Begeisterung aus, jeder kehrte erfreut aus der Kirche heim. Später schickte ich sie nach Jindrichuv Hradec, wo sie auch mit Lob jedes Jahr gespielt wurde und vielleicht immer noch gespielt wird.

Kyptas Musik entspricht den üblichen Werken, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem böhmischen Lande komponiert wurden. Die Orchesterbesetzung ist relativ gering und ihr Klang hat den starken Charakter der figuralen Musik aus der Zeit des Barocks. Streicher, Trompeten, Pauken und Orgel, das alles ist eine uralte Instrumentation, die mehr als 200 Hundert Jahre benutzt wurde. Ein Beweis, dass große Musik auch mit einem kleinen Orchester gemacht werden kann. Gesungen wurde in einem 4-stimmigen Chor mit Solostimmen. Einfache Disposition, trotzdem schöne Musik, sagt man über Kypta heute.

In seinen Werken sind drei verschiedene Formen in einer zusammengestellt. Kypta hat seine Wurzeln zwar immer noch in barocker Harmonisierung, doch sein Werk ist von klassizistischer Schlichtheit und Einfachkeit geprägt. Auf dieser Basis aber wendet er eine romantische Melodik an. Das alles bildet eine reizende und fast geniale Mischung, die nur während der Periode am Anfang des 19. Jahrhunderts enstehen konnte. Dazu kommt noch der tschechische Text der Pastoralmesse - ein Zeichen der Nationalen Wiedergeburt. Sein Inhalt stammt zwar aus neutestamentlichen Weihnachtsperiskopen, doch Kypta hält nicht an den traditionellen lateinischen Liturgieformen fest. Er hat diese Messe als eine Erzählung komponiert, eine Geschichte über die Hirten, die nach Betlehem gehen wollen, um das Jesulein begrüßen zu dürfen. Das musste bei den Telèer Bauern und Bürgern mit Sicherheit ein entsprechendes Echo finden. Es ist keine Musik für riesige Konzerthallen, doch für die Kirche auf dem böhmischen und mährischen Lande findet man kaum eine andere, die in dieses Milieu passend würde.

Trotz all diesen günstigen Umständen gelang es Kypta nicht, mit dieser Weihnachtsmesse den gleichen Ruhm wie zum Beispiel sein Zeitgenosse Ryba, zu erreichen. Er starb mit 55 Jahren in Telc, und sein Werk wurde für lange Zeit nicht gespielt. Erst in den letzten Jahrzehnten endeckt man wieder seine Qualität und fängt an, den südmährischen Lehrer zu ehren. Sein Werk - obwohl oft als zu süß und kitschig betrachtet - bedeutet auf jeden Fall eine Aussage über eine Zeit, die schon längst vergegangen ist. Kypta steht in gleicher Reihe mit vielen anderen Lehrer und Kantoren, die während des 19. Jahrhunderts auf dem böhmischen und mährischen Lande wirkten und einen großen Beitrag zur Nationalen Wiedergeburt leisteten. Und wenn nicht wegen seiner Musik, dann zumindest wegen dieser Tätigkeit wäre es schade, seine Werke ganz zu vergessen. Denn sie haben im wahrsten Sinne des Wortes das Sprichwort bestätigt, das besagt, dass jeder Böhme ein Musiker ist.

Autor: Ladislav Kylar
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