Jan Fuchs und die letzten Kriegstage: Das Leben ist nie schwarzweiß

Jan Fuchs
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Als während der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs auch in Prag noch tausende Menschen ihr Leben lassen mussten, war der Rundfunkregisseur Jan Fuchs gerade fünfzehn und wohnte in Pankrác, einem Stadtteil, in dem besonders erbitterte Kämpfe um die Befreiung Prags geführt wurden. Nun ist Jan Fuchs zu Gast bei Gerald Schubert, in einer neuen Ausgabe der Sendereihe "Heute am Mikrophon".

 Regisseur Jan Fuchs  (links) beim Einstudieren des "Schutzengels"
Vielleicht haben einige unserer Hörerinnen und Hörer im Dezember 2003 ein Hörspiel verfolgt, das wir gemeinsam produziert haben. Das war "Der Schutzengel" von Václav Havel. Inszeniert hat es damals Jan Fuchs, und Jan Fuchs ist heute bei uns zu Gast.

Jan, wir wollen uns über deine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und vor allem an das Ende des Krieges unterhalten. Du warst damals fünfzehn Jahre alt. Aber vielleicht sollten wir vorher noch ein paar Jahre weiter zurückzugehen: Wie hast du den Krieg als junger Mann erlebt?

"Ich muss zuerst erzählen, wieso ich überhaupt deutsch sprechen kann - oder mag. Meine Mutter hat in Wien studiert, und sie war mehr deutsch orientiert als mein Vater. Der war ein Tscheche, aber er war als Opernsänger im Deutschen Theater in Prag engagiert, der jetzigen Staatsoper. Ich ging zuerst in eine deutsche Schule. Als die Deutschen 1939 einmarschiert sind, war damit Schluss. Sie haben festgestellt, dass mein Vater kein 'reiner Arier' war und dass da Juden in der Verwandtschaft sind. Daher wurde ich als Mischling in der zweiten Klasse aus der deutschen Schule rausgeschmissen und ging in eine tschechische Schule. Dort war ich aber auch nicht lange. Als Mischling durfte ich nämlich nicht länger als bis zu meinem 14. Lebensjahr zur Schule gehen. Danach wurde ich Hilfsarbeiter in einer Fabrik in Prag-Vysocany."

Dann kam das Jahr 1945. Wie hast du die letzten Kriegstage und den Umbruch im Mai 1945 erlebt?

"Ich weiß bis jetzt nicht, was ich darüber denken soll oder kann. Zuerst kam große Euphorie auf. Am Anfang der Revolution hat man von den Läden und von verschiedenen Tafeln die deutschen Aufschriften weggerissen. Es blieben nur die tschechischen, oder es wurden provisorisch tschechische geschrieben. Das war am Samstagnachmittag. Ich kam nach Hause, wir wohnten im Süden Prags. Die Nacht war mit viel Freude verbunden. Irgendwo haben wir einen Schnaps gefunden. Wir waren glücklich, dass wir wieder frei sind, dass der Krieg zu Ende ist. Aber Prag war noch nicht in tschechischen Händen. Dafür musste man noch etwas machen, dafür musste man noch kämpfen. Wir haben uns darauf verlassen, dass die Armee von General Wlassow kommt, die zuerst bei den Deutschen war, sich dann aber von den Deutschen isoliert hat, einen Schritt gemacht hat hin zu einer Welt ohne Nazis. Na ja, und wir guckten vom Fenster auf die Straße..."

Du hast gesagt, du hast im Süden Prags gewohnt?

"Ja, in Pankrác."

Dort in der Nähe gibt es eine U-Bahnstation, die heißt heute noch Prazského povstání, also die Station des Prager Aufstands. Das ist eine Gegend, die sehr stark mit den letzten Kriegstagen verbunden ist.

"Ja, das ist richtig. Die nächste Station heißt Pankrác, und dort wohnten wir. Am frühen morgen hat dann - ich glaube mein Vater - gesagt: 'Die Wlassow -Armee ist da!' Wir gingen alle zum Fenster. Die Mutter, die Großmutter, der Vater und ich. Da kam ein deutscher Militärverband mit Panzern."

Also nicht die Wlassow-Armee. Der Vater hat sich also geirrt?

 General Andrej Wlassow
"Na ja, wir wussten ja, dass die Wlassow-Armee noch die deutschen Uniformen trug! Als uns die Soldaten jedenfalls am Fenster gesehen haben, da dachten sie: Widerstand! Sie fingen an, zu schießen und zerschossen uns die Wohnung. Meine Mutter war schwer verletzt, ich leicht. Es war schlimm, ich musste irgendwo Hilfe suchen. Nur waren die meisten Leute in Kellerräumen versteckt. Wer nicht gerade auf den Barrikaden oder bewaffnet war, der musste sich verstecken. Und dort habe ich dann einen deutschen Arzt gefunden, der meiner Mutter geholfen hat."

War dieses Erlebnis für dich das Ende des Krieges?

"Nein. Das schrecklichste, das ich erlebt habe, kam nachher: Auf der anderen Seite unseres Hauses war ein Feld. Dort war ein Bauernhof. Und der Bauernhof war von unseren Leuten besetzt. Wir waren in der Klemme: Auf der einen Seite die SS, auf der anderen unsere Kämpfer. Auf dem Feld dazwischen lagen viele Tote und Verwundete. Da kam ein Panzer, der hat sich auf der Stelle gedreht, und mit seinen Ketten hat er dabei ein großes Loch in den Boden gebohrt. Danach haben Leute von der Armee die Toten und Verwundeten in das Loch gezogen. Anschließend kam wieder der Panzer, und mit den Ketten hat er das Loch mit der Erde wieder zugeschüttet. Niemand wusste das, nur wir, weil ich ja mit meiner verwundeten Mutter zu Hause bleiben musste. Ich habe es vom Fenster aus gesehen! Später dann, als Frieden war, als die Leute glücklich waren und jubelten, da habe ich gesagt: Achtung, dort sind Tote und vielleicht auch noch lebende Verwundete! Da kamen Männer mit Schaufeln, gruben den Boden wieder auf und fanden ungefähr 20 Leute, 20 Körper. An der Stelle steht jetzt ein kleines Denkmal."

Du hast mit den Deutschen Erfahrungen gesammelt, die nicht gerade gut waren. Hast du deshalb irgendwann einmal eine Abneigung dagegen empfunden, dass du überhaupt so gut deutsch sprichst? Hat es eine Zeit gegeben, in der du das lieber vergessen hättest? Oder hast du relativ schnell wieder angeknüpft an deine nicht so negativen Erfahrungen aus der Kindheit?

"Das Leben ist nie schwarzweiß. Man muss sich mit den Leuten treffen, und dann sieht man: Das ist ein guter Kerl, mit dem trinke ich ein Bier. Und der da soll schnell weggehen, sonst werde ich böse."