Josef Pekař und die Suche nach dem Sinn der tschechischen Geschichte
Er galt als größter tschechischer Historiker des 20. Jahrhunderts. In der Zwischenkriegszeit wurde er geehrt, in kommunistischer Zeit hingegen verachtet und in den 1990er Jahren wieder ans Licht gebracht. Die Rede ist von Josef Pekař, seit seiner Geburt sind vor kurzem 145 Jahre vergangen.
„Schon längere Zeit streben die kleinen Völker nach ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Emanzipation. Sie glauben, dadurch auch ihre politische Bedeutung zu stärken. Die Tschechen haben bereits vieles in der Industrie, im Handel und im Geldwesen geleistet, trotzdem bleibt für sie noch viel zu tun, um die Deutschen einzuholen. Auch wenn der umfassende Wettkampf unserer Nationen den Anschein eines Zusammenbruchs unseres Reiches haben könnte, handelt es sich um einen unverzichtbaren Antrieb zum Fortschritt für beide Völker. Wird dieser Wettkampf friedlich verlaufen, dann wird die nationale Vielfalt unseres Reiches eine dauerhafte Grundlage für seine Weiterentwicklung bilden.“
Den Zerfall der Monarchie und die Entstehung der Tschechoslowakei 1918 nahm Pekař ohne größere Emotionen zur Kenntnis. Masaryks Interpretation der Geschichte wurde beinahe zur offiziellen Staatsdoktrin, das Hussitentum galt ab da in der tschechischen Gesellschaft als bedeutendste geschichtliche Epoche. Anlässlich des Jan-Hus-Jubiläums 1925 ließ Masaryk sogar auf der Prager Burg die hussitische Fahne hissen. Pekař widersprach, die hussitische Bewegung sei von Kriegen und Plünderungen geprägt gewesen und habe zu einer Katastrophe geführt, die die böhmischen Länder um Jahrzehnte zurückgeworfen habe. Jan Hus selbst war jedoch in Pekařs Augen ein bedeutender religiöser Reformator seiner Zeit, betont Doubravka Olšáková:„Pekař legte Wert darauf, sich immer in die entsprechende Geschichtsepoche hineinzuversetzen und aus ihrer Sicht die Ereignisse zu interpretieren. Hus galt ihm also als eifriger Katholik, der die Kirche reformieren wollte. Was nach seiner Verbrennung 1415 kam, vor allem der bewaffnete Kampf der Hussiten gegen die Kirche, das hatte laut Pekař kaum mehr etwas mit Hus´ Zielen gemein. Wie Pekař in seinem vierbändigen Werk ‚Jan Žižka und seine Zeit‘ schreibt, seien die radikalen Versuche, in den hussitischen Städten die Demokratie durchzusetzen, mit der damaligen Mentalität nicht vereinbar gewesen, deswegen hätten sie auch scheitern müssen. Trotzdem bedeutete das Hussitentum laut Pekař einen großen Umbruch, der die Gesellschaft tief verändert hat. Er zieht da eine Parallele zur Französische Revolution.“
Mit dem Hussitentum beschäftigte sich Pekař vor allem in der Zwischenkriegszeit, offensichtlich als Reaktion auf die allgemeine Betonung dieses Themas. Man sagt, er habe sich dadurch auch mit der Entstehung der Tschechoslowakei abgefunden.Trotz der wissenschaftlichen Kontroversen zeitigten sich Josef Pekař und Staatspräsident Masaryk großen Respekt. Sie trafen sich zu verschiedenen Gelegenheiten und gingen nie zu persönlichen Attacken über. Als Masaryk 1935 seinen 85. Geburtstag feierte, hielt sogar Pekař eine festliche Rede, in der er die kulturellen und staatlichen Verdienste des Präsidenten hervorhob. Im selben Jahr hätte Pekař sogar gegen Edvard Beneš zum Staatsoberhaupt kandidieren können. Damit ist eine Legende verbunden.
„Einmal soll Pekař in einen Hörsaal der Prager Karlsuniversität getreten sein, von dem sich ein herrlicher Blick auf den Hradschin eröffnete. Er soll sich gesetzt, eine Pfeife angezündet und mit ausgestrecktem Arm in Richtung Prager Burg gezeigt haben: ‚Man fordert mich also auf, dorthin zu kandidieren.‘ Pekař hat wahrscheinlich das Angebot ernstlich in Erwägung gezogen, schließlich lehnte er es aber ab – erstens, weil das Angebot von Rechtsparteien gekommen war, und zweitens, weil er gegen Masaryks Kandidat hätte antreten müssen. Darüber hinaus fühlte er sich nicht mehr genügend fit dafür. Er lehnte also das Angebot ab.“Im Januar 1937 stirbt Josef Pekař. Masaryk lässt einen Kranz anfertigen und darauf schreiben: „Sie waren ein guter Mensch“. Ein paar Monate danach ist auch der berühmteste Opponent des Historikers tot. Doch in kommunistischer Zeit werden beide Männer auf die sogenannte „schwarze Liste“ gesetzt. Die kommunistischen Historiker erfinden sogar den Begriff „Pekařismus“, um die prominente Persönlichkeit der demokratischen Ära zu diskreditieren. Unter anderem heißt es, Pekař sei ein Rechtsausleger gewesen, ein Bewunderer der Zeit der Finsternis, wie die Barockzeit bezeichnet wird. Sein Name verschwindet aus allen Lehrbüchern, seine Bücher werden weggeschlossen. Erst nach der Samtenen Revolution von 1989 findet Josef Pekař wieder die Würdigung, die ihm gerecht ist.