Karel Hynek Macha: Dichter der Liebe. Dichter der Nation?

K. H. Macha

Der Mai gehört zum Frühling, zum Frühling gehört die Liebe und der Liebe ist der "Mai" gewidmet. Das romantische Gedicht "Mai" von Karel Hynek Macha symbolisiert das größte aller Gefühle, und der Autor wird hierzulande als der Liebesdichter schlechthin verehrt. Vor allem der erste Tag des Monats ist dank Macha sehr romantisch aufgeladen: Der erste Mai wird in Tschechien seit Jahrzehnten nicht nur als Tag der Arbeit, sondern - weitaus länger schon - als Tag der Liebe begangen. Vor allem der Abend dieses Tages weckt bei vielen den Gedanken an Liebe, Tod und Verbrechen. Es sind aber nicht nur die romantischen Verse, die den Mythos Macha gründeten, sondern noch viele andere Gesichtspunkte, die aus Macha einen Dichter machten, der in den letzten anderthalb Jahrhunderten bei historischen Kulminationspunkten wiederholt im Mittelpunkt stand. Und gerade dieser Vielschichtigkeit des Mythos Macha möchten wir uns im heutigen Sonderprogramm widmen.



"Spätabend war´s - der erste Mai,

Ein Abendmai - der Liebe Zeit.

Zur Liebe lud des Täubchens Schrei,

Wo Kiefernhain die Düfte streut."

Prag statt, und zwar am Berg Petrin - dem Laurenziberg, in der Nähe von Machas Geburtshaus. Dorthin, an die Stelle, wo heute sein Denkmal steht, kommen jedes Jahr Leute, um sein berühmtes Gedicht zu rezitieren. Aber nicht nur Lyrikliebhaber erinnern sich immer wieder an Macha: Sein Denkmal suchen auch Liebespaare auf, um sich - inmitten des blühenden Park des Laurenziberges - zu küssen. Nach einer alten tschechischen Tradition muss nämlich jedes Jahr am 1. Mai jede junge Frau unter einem blühenden Baum geküsst werden. Sonst würde sie vertrocknen, heißt es. Machas Denkmal selbst weist bereits auf diese Symbolik hin: Die Statue hält einen blühenden Fliederzweig in der Hand.

Macha symbolisierte aber nicht nur Liebe und Inspiration für alle Generationen tschechischer Dichter. Seine Persönlichkeit und sein Werk wurden zum Spiegel für die Bildung und Entstehung der tschechischen Sprachkultur und auch der tschechischen Nation. Viele Male in der tschechischen Geschichte sahen die Tschechen in Macha einen Hoffnungsträger oder ein Symbol des Widerstandes gegen fremde Unterdrückung. Im 19. Jahrhundert stellte er für viele das Musterbeispiel eines Patrioten dar, im 20. Jahrhundert vereinte er Tschechen im Prostest gegen die Nationalsozialisten, später gegen die Kommunisten. Machas nationale Zugehörigkeit war jedoch komplexer als oft angenommen.

Dazu erzählte uns die Literaturwissenschaftlerin Libuse Heczkova einige biographische Hintergründe:

"Er wurde - wie eine Reihe anderer Tschechen - im deutschen Umfeld erzogen. Seine Familie war deutschsprachig, weil es zu dieser Zeit in den bürgerlichen Kreisen nicht üblich war, Tschechisch zu sprechen. Seine ersten Gedichte, die er als "Versuche des Ignatz Macha" bezeichnete, schrieb er noch auf Deutsch. Später wurde er aber vom tschechischen Nationaldenker Josef Jungmann beeinflusst und entschied sich, ein tschechischer Dichter zu werden. Aber das deutsche Umfeld prägte ihn natürlich sehr. Seine Studien und Interessen wurden durch die deutsche Lektüre geformt, das Tschechische kam erst viel später hinzu, eigentlich erst während seines Jura-Studiums in Prag."

Macha las unter anderem auch deutsche Schriftsteller. Neben Goethe und Schiller übte Novalis - einer der bedeutendsten deutschen Romantiker - großen Einfluss auf ihn aus. Und die deutsche Sprache und Literatur hinterließen auch ihre Spuren in Machas lyrischem Werk. Dazu Libuse Heczkova:

"Manche Dehnungen bei Macha sind ein Ergebnis des deutschen Umfelds. Macha benutzte im "Mai" auch ganz neue Intonationslinien und einen neuen Rhythmus, d.h. dass er die tschechische Sprache sozusagen auflockerte, so dass die Verse freier und nicht mehr so starr waren. Das wird dadurch erklärt, dass er nicht so stark mit dem tschechischen Milieu verbunden war, so dass ihn die Streitigkeiten ums richtige tschechische Dichten nicht so sehr angingen."

Vor diesem Hintergrund schuf Macha ein einzigartiges Werk, auf das sich zahlreiche tschechische, aber auch tschechisch-deutsche Dichter - zum Beispiel Rainer Maria Rilke - bezogen. Der Mai wurde zum ersten Mal 1844 ins Deutsche übersetzt. Hier ein Ausschnitt aus dieser alten Übersetzung:



"Grüßt mir die Länder all´ auf eurem Wallen!

Zumeist das schöne, heißgeliebte Land,

Das Wiege einst, und heute Grab mir ist,

Dies einzige Land - mein Vaterland!

Zur schönen Erde, ach, geliebt und vielgegrüßt,

Die Mutter ihm und Wieg´ und Grab nun ist.

Und sie, sein Heimathgrund, empfängt nun ihn,

Und über sie, die ihm die Mutterarm´ erschließt,

Des Sohnes heißes Blut fließt über sie dahin!" Es waren vor allem diese Verse, die nach Machas Tod den Dichter als einen echten tschechischen Patrioten erscheinen ließen. Nationalkämpfe, die sich im 19. Jahrhundert zwischen Tschechen und Deutschen abspielten, wären aber aus den vorher genannten Gründen wahrscheinlich gar nicht in Machas Sinn gewesen. An seinem Grab, das sich im nordböhmischen Leitmeritz befand, trugen sich auch die nationalen Streitigkeiten aus. Dazu Pavel Vasak, Autor einer umfangreichen Studie über Macha:

"In den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts verschärften sich am Grab deutlich die nationalen und politischen Probleme der Region. Der Schneiderlehrling Zeithammel, später ein bekannter Publizist, legte auf dem Grab einen Kranz nieder, der aus Visitenkarten mit der Aufschrift "Sprechen Sie Tschechisch!" zusammengesetzt war. Es entstand eine Affäre, die sich in persönliche und politische Konflikte der Studenten des Leitmeritzer Priesterseminars ausweitete. Auf Machas Grab hat man gespuckt und sogar uriniert. Man vernichtete dort auch Blumen, insbesondere in den nationalistischen Stürmen der Neunzigerjahre."

Die tschechische Dichtergeneration schätzte an Macha aber etwas ganz anderes als die breite Bevölkerung. Dazu die Literaturwissenschaftlerin Libuse Heczkova:

"In den Neunzigerjahren formiert sich die moderne tschechische Nation, für die Patriotismus nicht nur eine Parole ist. Nichts darf ihm ganz untergeordnet werden. Für diese Künstlergeneration ist die "künstlerische Geste" oder die Schönheit des Wortes viel wichtiger als ein nationales Konzept - das interessierte sie im Prinzip gar nicht. Im Gegenteil: Viele von ihnen revoltierten scheinbar gegen die nationalen Interessen. Das resultierte aber daraus, dass sie durch ihre Weltoffenheit eine starke Nationalkultur schaffen wollten, die sich mit den europäischen Kulturen messen könnte."

Zu einer Wiederentdeckung Machas als Nationaldichter kam es erst 1938, kurz nach der Unterzeichnung des Münchener Abkommens, die zur Besetzung des Sudetenlandes - und somit auch von Leitmeritz, wo sich Machas Ruhestätte befand - durch die deutschen Truppen führte. Dazu der Macha-Forscher Pavel Vasak:

"In dieser Atmosphäre gab im Ministerrat der Gouverneur der Staatsbank Karel Englis den Impuls dazu, dass Machas sterbliche Überreste nicht im besetzten Leitmeritz bleiben sollen. Man entschied sich für eine Überführung nach Prag."

In Prag fand dann - im Mai 1939, also zwei Monate nach dem Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei - Machas zweite Beerdigung statt. Auf dem Sarg lag die tschechische Fahne, den Zug begleiteten junge Frauen in weißen Kleidern und eine Vielzahl von Studenten. Die letzten Meter vor dem Grab wurde der Sarg von den bedeutendsten tschechischen Dichtern der Zeit getragen. So ist Macha zum Symbol der nationalen Einheit geworden und zum Hoffnungsträger im Widerstand gegen die Okkupanten.

Nach dem Krieg setzte sich diese Art der Macha-Verehrung fort. Dazu Pavel Vasak:

"Ich kann mich erinnern, dass wir im Jahre 1962, zu den Zeiten der sogenannten Kuba-Krise, als ich Student war und wir den Ausbruch des nächsten Krieges erwarteten, zu Machas Denkmal gingen. Dieses Symbol benutzten wir zum Protest gegen den damaligen Zustand der Welt. Wir wissen auch, dass Machas Symbol 1989 wieder verwendet wurde, als einige Studenten - auch unzufrieden mit der damaligen Gesellschaft - zuerst zum Machas Grab im Prager Stadtteil Vysehrad gingen."

Karel Hynek Macha hinterließ also ein vielfaches Erbe: In den politisch schwierigsten Zeiten vereinigt er Verzweifelte und gibt ihnen Hoffnung. Den Dichtern und Künstlern gibt er Inspiration und den Liebenden vermittelt er Romantik. Zumindest einmal im Jahr: am Spätabend des 1.Mai.