Karel mechte etwas trellern

Karikatur des Böhmakelns (Foto: Public Domain)
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Böhmakeln ist eine Mischsprache, die heute fast ganz verschwunden ist. Tschechische Emigranten in Österreich sprachen es zum Beispiel, dieses stark böhmisch – oder eben ‚behmisch‘ – angehauchte Deutsch. Richtig bekannt aber wurde es durch die Parodien von Wiener Schauspielern und Humoristen.

„Powidltatschkerl aus der scheenen Tschechoslovakei
Schmecken noch viel besser als die feinste Bäckerei.
Denn so ein Tatschkerl, so ein powidales,
das ist doch wirklich etwas Pyramidonales.
Und immer denk ich, wenn ich Božena erblick,
Powidltatschkerl-tatschkerl ist das allerhekste Glik.“

Hermann Leopoldi
Es nennt sich Böhmakeln, manchmal auch Kuchldeutsch oder sogar powidaln – dieses ganz spezielle Deutsch mit tschechischem Akzent, hier in einer Aufnahme des Wiener Coupletsängers Hermann Leopoldi von 1937.

„Das war eine Sprache, die man nicht in der Schule lernte, sondern nur im Alltag“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Veronika Opletalová von der Universität Olomouc / Olmütz. Gemeinsam mit einem bilingualen Forscherteam hat sie das Böhmakeln eingehend untersucht:

„Uns ging es auch um die Aussprache und Phonetik. Die Hörquellen und Audioquellen, die uns zur Verfügung standen, waren meist stilisierte Belege aus Theater, Operette und Film. Doch im Grunde genommen hören wir dabei, wie der Schauspieler das Böhmakeln nachahmte.“

Einer der bekanntesten Böhmakel-Parodisten: der Entertainer Peter Alexander.

„Guten Tag, meine liebm Damen und Herren, oder bittschen, gutn Abmnd, ganzs wie’s gefällig ist, hier spricht der Petritschku, also der Petritschku Aleksandritschek. Und mecht ich Ihnen bitteschän prosim a Klanichkeit erklären. Schaun’s, a Ästerreicher, wenn’s den a bisserl fesch anschaun, dann fallt der gleich auf mehrere Teile, und zwar a großer gewichtiger Teiln von ihm stammt bitteschän aus … aus Bähmen, und andärär Teil wieder von Österraichär stammt kérem szépen [bitte sehr] aus Ungarn.“

Veronika Opletalová  (Foto: Archiv der Palacký-Universität Olomouc)
Ganz unwissenschaftlich erklärt Peter Alexander in einer Fernsehsendung von 1967 die Ursprünge des Böhmakelns: Es resultierte aus den Sprachkontakten im vielsprachigen Habsburgerreich. Während Deutsch im Königreich Böhmen noch die Amtssprache war, blühte in der tschechischen Bevölkerung das „Kuchldeutsch“. Veronika Opletalová:

„So wurde der Sprachgebrauch von Köchinnen in der Küche bezeichnet. Dieser Ausdruck erfuhr allerdings eine Bedeutungserweiterung.“

Heute wird er oft synonym mit dem Böhmakeln verwendet – so nannten wiederum die Wiener das Deutsch der zugewanderten Tschechen. Und hier wird die Sprachgeschichte zur Migrationsgeschichte: Laut Volkszählung lebten 1900 100.000 Tschechen in Wien, tatsächlich waren es wohl noch weitaus mehr. Ein Zusammenleben, das nicht immer einfach war – und natürlich auch satirisch verarbeitet wurde. Eine Aufnahme von Richard Waldemar von 1910:

Richard Waldemar  (Foto: Ludwig Gutmann,  Public Domain)
„Geehrte Versammlung, die tschechische Nation ist in Gefahr. Die Daitschen wolln uns unterdruckn. Wir solln die tschechischn Schulen sperren. Wir werden uns aber von die Daitschen nicht am Kopf machen lassen, sondern wir machens Maul auf. Hab‘ ich Recht? Natierlich. Wir kennen heute ruhig sagen, dass Wien eine tschechische Stadt ist. Bitte, Wien ist heite nur mehr eine Vorstadt von Prag.“

Deutschlernen im Alltag

Die Tondokumente, die das Forscherteam zusammengetragen hat, verdeutlichen auch den Rückgang des Böhmakelns: In älteren Aufnahmen zeigen sich noch Besonderheiten in Flexion, Wortbildung und Satzbau, in den jüngeren ist es nur noch die Aussprache.

„Gibt es irgendein Lied, Karel, was du vielleicht heite hier in inserem erlauchten Kreise gerne trellern mechtest?

So begrüßte Peter Alexander in einer Sendung von 1970 seinen Gast Karel Gott. Heute gilt das Böhmakeln quasi als ausgestorben, denn wer heute Deutsch lernt, lernt es normalerweise in Wort und Schrift. Böhmakeln entstand nicht im Goethe-Institut, sondern im Alltag.

Karel Gott und Peter Alexander  (Foto: YouTube)
„Denn da haben sie etwas anderes gehört, da gab es viele Assimilationen. In einem Beispiel heißt es, dass eine Hose als Reliquie genutzt werden kann, die ‚Wunde‘ bewirkt, wo es eigentlich ‚Wunder‘ heißen sollte. Ein heutiger tschechischer Schüler, der deutsch lernt, würde ‚Wundr‘ sagen, also so, wie er es sieht, und das ‚r‘ nicht reduzieren“, so Veronika Opletalová.

Neben den Tonaufnahmen haben die Sprachwissenschaftlerin und ihre Kollegen unzählige Schriftquellen nach dem authentischen Böhmakeln untersucht: Theaterstücke, Sketche oder Gerichtsprotokolle. Einfach war die Suche nicht. Veronika Opletalová:

„Das war das Paradoxe an dem Ganzen. Die Sprecher, die geböhmakelt haben, haben wenig geschrieben. Es waren darunter sicher auch Analphabeten – Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhundert. Generell waren es Leute, die wenig geschrieben haben, und wenn Sie geschrieben haben, dann nicht auf Deutsch.“

Fritz Muliar  (Foto: Wolfgang H. Wögerer,  CC BY-SA 3.0)
Weil keine Tonaufnahmen von echten Böhmaklern erhalten sind, bestimmen die simulierten Versionen die Wahrnehmung – und zugegebenermaßen auch diesen Beitrag. Einer der bekanntesten böhmakelnden Schauspieler und Humoristen war Fritz Muliar. In einer undatierten Aufnahme parodierte er einen Prager Stadtführer.

„Alstern [‚alsdann‘] bitte die Herrschaften, die was meiner langjährigen Fiehrung [‚Führung‘] teilhaftig werden wolln, bitte sich um mich zu versammeln. Wieviel sammer heute? Eins zwei drei – no aso da war `mer gestern bedeitend mehrfacher. No aso geh’mers an. Trättn’s also bitte da hinein und Schauen’S da heraus. Was sich hier vor Ihrm entzickten [‚entzückten‘] Blick verbreitet, ist Prag an der Moldau, zlata Praha, auf Daitsch: Das goldene Prag.“

Muliar verzerrt nicht nur die Umlaute – ‚entzickt‘ statt entzückt. Auch der Satzbau ist vom Tschechischen beeinflusst, wenn er zum Beispiel „Was“ – das tschechische „což“ – an den Satzbeginn stellt.

Böhmakeln bei Schwejk

Fast zwangsläufig schlüpfte Muliar auch in die Rolle des bekanntesten Böhmaklers überhaupt:

„Also jetzt ham sie uns den Ferdinand erschlagn!“

„Wos für an Ferdinand, Frau Miller? Ich – ich kenn zwei Ferdinandn. Der eine, der is Diener beim Drogisten Pruscha und hat einmal dort aus Versehen irgendeine Haartinktur ausgetrunken, und dann kenn ich noch den Ferdinand Kokoschka, der was den Hundedreck sammelt. Na – um beide is kein Schad.“

Von 1972 bis 1974 verkörperte Fritz Muliar den braven Soldaten Schwejk in der Fernsehserie von Wolfgang Liebeneiner. Dass Schwejk im deutschen Sprachraum böhmakelt, fußt auf der ersten Übersetzung von Grete Reiner aus dem Jahr 1926. Für tschechische Ohren ist das gewöhnungsbedürftig – im Original von Jaroslav Hašek spricht der Tscheche Švejk nämlich ganz anders. Veronika Opletalová:

„Es klingt auf jeden Fall lustig, weil er da so viele Germanismen ins Tschechische integriert, dass es übertrieben ist. Es ist auch lustig, aber das Böhmakeln in der Übersetzung ist eher eine Kompensationsstrategie.“

Heinz Rühmann als Schwejk
Obwohl 2014 eine neue Übersetzung erschienen ist, der typische Schwejk-Sound wird im deutschsprachigen Raum wohl noch länger vom Böhmakeln bestimmt. Darsteller Fritz Muliar soll 1960 übrigens sogar Unterricht im Böhmakeln erteilt haben – am Set der Schwejk-Verfilmung von Axel von Ambesser. Dem gebürtigen Essener Heinz Rühmann ging das Böhmakeln offensichtlich nicht ganz so leicht von der Zunge. Die Parodisten aus Wien hatten da unbestritten ihre Vorteile, ist das Böhmakeln doch untrennbar mit ihrer Stadt verbunden.

Den Hit „Wie Böhmen noch bei Österreich war“, der das Zusammenleben der Österreicher und Tschechen im Habsburgerreich recht einseitig verklärte, sang in den 1950ern Heinz Conrads, kurz darauf auch Peter Alexander. Beider Mütter stammten tatsächlich aus Böhmen. Sie waren aber keine Tschechinnen, sondern Deutschböhminnen.


Bettina Morcinek, Veronika Opletalová, Helmut Glück und Karsten Rinas: „Deutschlernen ‚von unten‘. Böhmakeln und Kuchldeutsch“, Harrassowitz Verlag.