Karlín – die älteste Prager Vorstadt

Karlín - Königstraße (heute Sokolská Str.)

Noch am Ende des 19. Jahrhunderts war der Unterschied zwischen dem historischen Prag und seinen Vorstädten recht groß. Dies gilt auch für die älteste Prager Vorstadt Karlín. Im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg die Bedeutung von Karlín nicht nur aufgrund der wachsenden Einwohnerzahl, sondern auch dank der neuen Industrieunternehmen und dem neu angelegten Flusshafen. Karlín im Wandel der Zeit ist das Thema einer Ausstellung, die zurzeit im Prager Stadtmuseum zu sehen ist.

Karlín - Königstraße  (heute Sokolská Str.)
Der Stadtteil Karlín – zu Deutsch Karolinenthal – liegt aus heutiger Sicht fast im Zentrum der tschechischen Metropole. Bis 1920 aber war es eine selbständige Vorstadt. Die Anfänge gehen bis in das Jahr 1817 zurück, als sie durch einen Erlass auf dem Gebiet südlich des Spitaltors gegründet wurde. Zuvor habe man dieses Gebiet Špitálsko genannt, erzählt Zdeněk Míka. Er ist Kurator der neuen Ausstellung über Karlín, die im Museum der Hauptstadt Prag zu sehen ist.



Karlíner Spital
„Das so genannte ´Špitálsko´ oder Spitalfeld gehörte dem Ritterorden der Kreuzherren mit dem roten Stern. Die Hauptaufgabe der Ordensmitglieder war die Krankenpflege. Der Name Špitálsko entstand schon im 13. Jahrhundert, als die Kreuzherren das Gebiet rund um das damalige St.-Peter-Viertel vom böhmischen König erhielten und dort ein Spital gründeten. Die Bezeichnung Špitálsko wurde bis in das 19. Jahrhundert benutzt.“

Eine Vorstellung davon, wie es vor der Gründung von Karlín hinter dem Spitaltor aussah, kann man sich anhand der historischen Bilder machen, die im Museum zu sehen sind. Der Kurator:

St.-Kyrill-und-Method-Kirche in Karlín  (1868)
„Auf diesem Gebiet gab es nur ein paar Anwesen. Hinter dem Spitaltor erstreckten sich vorwiegend Gärten, Felder und Wiesen und am Fuße des Žižka-Bergs wurde Wein und Hopfen angebaut. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden dort auch erste Ausflugsrestaurants errichtet.“

Die neu entstandene Gemeinde Karlín wurde anfangs vom Kreuzherrenorden verwaltet. 1848 begann sich die Gemeinde unabhängig von der Obrigkeit zu entwickeln. Wie kam das einstige Špitálsko zum Namen „Karlín“? Zdeněk Míka:

Ronza-Mühle in Karlín
„Die Gemeinde wurde mit einer Erlaubnis des Kaisers errichtet. Darum wurde sie zu Ehren der Ehefrau von Kaiser Franz I., die Karoline Augusta hieß, in Karolinenthal getauft. Die tschechische Übersetzung des Namens war schwierig. Zuerst hieß es wortwörtlich übersetzt ´Karolínino údolí´. Dann versuchte man es Karlínov zu nennen, und seine Bewohner nannte man ´Karolinčani´. Alle diese Bezeichnungen klingen heute fast lächerlich. Mit der Zeit setzte sich der kurze Name ´Karlín´ durch, der viel praktischer ist.“

Zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Karlín gehört das Barockareal „Invalidovna“. Das Gebäude wurde in den 1730er Jahren erbaut und sollte Kriegsinvaliden sowie ehemaligen Soldaten Unterkunft bieten, erzählt Zdeněk Míka und macht auf einige alte Bilder der Invalidovna aufmerksam:

„Die Militärbehörde kaufte damals einen Teil des Grundstücks vom Kreuzherrenorden, um dort eine große Einrichtung für die Kriegsveteranen zu bauen. Die Pläne waren sehr ehrgeizig. Entworfen wurde das Areal von Josef Emanuel Fischer von Erlach, mit dem Bau wurde Kilian Ignaz Dientzenhofer beauftragt. Verwirklicht wurde aber nur ein Neuntel des Projekts, denn den Auftraggebern mangelte es bald am Geld.“

Heute ist im Gebäude der Invalidovna das Zentralarchiv der Armee untergebracht. Das Gebäude wurde während der Hochwasserkatastrophe im Jahre 2002 ähnlich wie der ganze Stadtteil stark beschädigt. Den Namen Invalidovna trägt auch die dortige Metrostation.

Karlín entwickelte sich, genauso wie beispielsweise Smíchov im 19. Jahrhundert, zu einer Industrievorstadt von Prag. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschte die Textilindustrie vor, in der zweiten Hälfte entstanden auch einige Maschinenbaubetriebe. 1822 wurde dann, laut dem Kurator, der Hafen an der Moldau in Karlín errichtet:

Karlíner Hafen
„Es war ein Jahr nach der Verabschiedung der so genannten ´Elbe-Akte´. Das Dokument garantierte eine freie Schifffahrt auf der Elbe bis nach Hamburg. Den Hafen in Karlín gründeten Prager Bankiers und Großhändler, um Waren aus Deutschland und aus Nordböhmen einzuführen. Nach Deutschland exportiert wurden wiederum landwirtschaftliche Produkte – wie Hopfen oder Malz.“

Diesen Hafen gibt es heutzutage nicht mehr, er wurde 1926 geschlossen und durch die Häfen in den Stadtteilen Libeň und in Holešovice ersetzt.

Karlín ist schon längst nicht mehr nur ein Arbeiterstadtteil, es hat sich auch Kulturangesiedelt. Auf der Theaterbühne in Karlín werden mittlerweile vor allem Musicals und Operetten aufgeführt, anfangs war es aber ein Varieté. Im Winter gastierten dort Zirkusse, für die ein riesiger Stall für fast 600 Pferde errichtet wurde.

Haus „Zur Stadt Hamburg“ in Karlín
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Karlín zwar eine Plattenbausiedlung erbaut, in die Modernisierung des Stadtteils kam jedoch erst durch die Hochwasserkatastrophe von 2002 Bewegung. Einige Gebäude mussten abgerissen werden und einige der älteren Industriebauten wurden in Galerien umgewandelt.

Eine technische Sehenswürdigkeit von europäischer Bedeutung ist das Negrelli-Viadukt. Dieses ist auch auf einem Bild von 1837 zu sehen, auf dem die Bahnstrecke, die über das Viadukt führt, noch nicht von Häusern gesäumt wird. Die Ausstellung über die älteste Prager Vorstadt Karlín ist im Stadtmuseum bis zum 6. November dieses Jahres zu sehen. Das Museum ist täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Lassen Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen, mehr über die Geschichte von Karlín erfahren zu können.