Keine Angst! Fußgängertunnel zwischen Prager Stadtteilen Žižkov und Karlín besteht seit 70 Jahren

Die Tunneleinfahrt auf der Karlín-Seite im Dezember 2023

Wer viel zu Fuß in Prag unterwegs ist, hat ihn sicher auch schon genutzt. Am Dienstag ist es genau 70 Jahre her, dass der Fußgängertunnel zwischen den Stadtteilen Žižkov und Karlín fertiggestellt wurde.

Martin Karlík vor dem Tunneleingang auf der Karlín-Seite | Foto: Anaïs Raimbault,  Radio Prague International

Er ist gut 300 Meter lang und macht am Ende eine sanfte Kurve nach links: Seit Dezember 1953 verbindet ein Fußgängertunnel die Prager Stadtteile Žižkov und Karlín. Für Radfahrer ist die Fahrt nach Karlín wohl leichter als umgekehrt, da das Gefälle der Unterführung acht Prozent beträgt. Über dem Tunnel erhebt sich wiederum der 271 Meter hohe Vítkov-Hügel. Die Idee, den langen Weg um den Hügel herum mit einem Durchbruch zu verkürzen, habe es schon zu Zeiten der Ersten Tschechoslowakischen Republik gegeben, berichtet Stadtführer Martin Karlík im Gespräch mit Radio Prag International. Zunächst hätten dann aber andere Bauarbeiten stattgefunden:

„Im Zweiten Weltkrieg entstand hier ein Bunker. Dieser war noch nicht für einen Atomangriff gedacht, wie manchmal falsch angenommen wird, denn damals gab es noch keine Kernwaffen. Es war also ein Luftschutzbunker. Diese entstanden in großer Zahl in Prag.“

Der Luftschutzbunker unter dem Vítkov-Hügel | Foto: YouTube

Nach Kriegsende wurde im Rahmen des Wiederaufbaus auch die Frage der Verkehrsführung in Prag aktuell. Und so sei erneut die Idee eines Fußgängertunnels aufgegriffen worden, sagt Karlík:

„An der Wende von den 1940er zu den 1950er Jahren wurden in Prag zwei Tunnel gebaut – dieser Fußgängertunnel und der Letná-Tunnel für den Autoverkehr. Da beide aus der gleichen Zeit stammen, haben sie auch gut sichtbar die gleiche Architektur, also die Kachelverkleidung im Inneren. Ebenso ist die Form der S-Kurve gleich.“

Der Žižkov-Tunnel | Foto: Anaïs Raimbault,  Radio Prague International

Der Žižkov-Tunnel, wie er seit 2014 offiziell heißt, wurde bereits am 21. April 1951 feierlich eingeweiht. Seine Fertigstellung aber wird zweieinhalb Jahre später datiert. Seit einigen Jahren ziert den Eingang von Karlíner Seite aus die Aufschrift „Neboj“ (Hab keine Angst). Sie verweist auf den finsteren Eindruck, den der Tunnel lange gemacht hat. Dies wüssten auch Filmemacher zu schätzen, schildert Karlík und verweist auf zahlreiche Krimiserien oder Verbrecherfilme, die vor Ort schon gedreht wurden:

Der Žižkov-Tunnel auf der Karlín-Seite anlässlich des Nachbarschaftsfests Zažít město jinak im September 2023. | Foto: Persönliches Archiv von Zane Perkone

„Ein Mord kann in der Realität überall passieren. Aber im Film wird er oft in einer Unterführung verübt, damit es keine Zeugen gibt. Das ist vielleicht ein Grund dafür, warum manche Angst vor solchen Orten haben. Ein Tunnel ruft klaustrophobe Gefühle hervor. Filmemacher nutzen dies, indem sie Verbrechen in solchen Räumen stattfinden lassen. Das fördert wieder unsere Angst, was Regisseure noch mehr ausreizen, und so entsteht ein hübscher Teufelskreis.“

An die Zeiten, als man wirklich noch Angst haben konnte, den Tunnel zu durchqueren, erinnert sich David Chvátil…

David Chvátil vor der Tür des Mikrotron-Labors im Žižkov-Tunnel | Foto: Persönliches Archiv von Zane Perkone

„Die Aufschrift ‚Neboj‘ entstand durch eine Kunstaktion und war eher für Kinder gedacht. Seit aus Karlín ein Businessviertel geworden ist und es hier viele Bürohäuser gibt, ist der Verkehr im Tunnel sehr rege. Als ich hier zu studieren anfing, war Karlín noch ein Fabrikviertel, das war ein paar Jahre nach der Samtenen Revolution. Damals brannte im Tunnel keine einzige Lampe. Wenn ich von der Uni kam und durch die S-Kurve ging, gab es drinnen keinerlei Licht.“

Heute leitet Chvátil das Mikrotron-Labor, das im ehemaligen Luftschutzbunker eingerichtet ist. Darin wird seit 1981 von der tschechischen Akademie der Wissenschaften ein kleiner Elektronenbeschleuniger für Experimente betrieben. Stadtführer Karlík erläutert die zeitlichen Veränderungen bei der Nutzung der Räume:

„In jedem Bunker war zusätzlich ein Leichenraum vorgesehen. Denn man rechnete damit, dass bei einem Angriff auch jemand sterben könnte. In diesem Falle war es der Raum, in dem sich jetzt das Institut für Kernforschung befindet. Wo also heute physikalische Versuche stattfinden, sollten früher Leichen gelagert werden.“

Im Mikrotronlabor des Instituts für Kernphysik der Akademie der Wissenschaften | Foto: Persönliches Archiv von Zane Perkone

Um den Eingang zum Labor würden sich bis heute viele Legenden ranken, fügt der Stadtführer hinzu. Denn die Metalltür mitten im Tunnel ist nicht beschriftet. Darum würden einige Menschen glauben, sie sei der Eingang in eine andere Galaxie, sagt Karlík mit einem Lächeln.

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Autoren: Daniela Honigmann , Anaïs Raimbault
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