Kommentare zur letzten Neujahrsansprache von Präsident Vaclav Havel / Martin Mejstrik: Vom engagierten Journalisten zum Politiker
Herzlich willkommen nun, meine Damen und Herren, bei Radio Prag zur ersten Ausgabe des Medienspiegels im Jahr 2003. Wir beschäftigen uns in dieser Sendung zunächst mit Reaktionen der tschechischen Presse auf die letzte Neujahrsansprache von Präsident Vaclav Havel, der Anfang Februar nach 13 Jahren aus dem Amt scheidet. Im zweiten Teil der Sendung werfen wir dann gemeinsam mit Martin Mejstrik, einem der maßgeblichen Akteure der Samtenen Revolution von 1989, und heutigen Parlamentsabgeordneten, einen Blick auf den Beginn von Havels Amtszeit, und sprechen über das veränderte Verhältnis Mejstriks zur Politik. Am Mikrophon begrüßen Sie dazu recht herzlich Robert Schuster und Silja Schultheis.
"Es ist nicht an Havel, sein eigenes Wirken an der Spitze der Tschechischen Republik zu bewerten. Es wird nicht zuletzt Aufgabe der ganzen Gesellschaft sein, sich zu überlegen, ob ein solcher Typ von Präsident ihr zusagt oder nicht. Bislang können wir Havel mit niemandem vergleichen, mit Ausnahme der heute bereits halb mythischen Präsidenten T. G. Masaryk und Edvard Benes."
Damit erinnern Hospodarske noviny, dass Vaclav Havel seit der politischen Wende von 1989 bislang der einzige tschechische Präsident war. Weiter merkt das Blatt an, dass der Nachfolger Havels unabhängig von seiner Person bereits eine andere Stellung als Präsident haben wird:
"Gerade in diesen Tagen haben sich die Vorsitzenden der beiden stärksten politischen Parteien Tschechiens darauf geeinigt, dass die Kompetenzen des Präsidenten eingeschränkt werden müssen. Jetzt gilt es aufzupassen, welche Veränderungen sich positiv auf die Funktion des Präsidenten auswirken und welche lediglich den Präsidenten aus dem Spiel der politischen Parteien beseitigen sollen."
"Aus dem Präsidenten Havel ist der Bürger Havel geworden, kommentiert die Zeitung Lidove noviny und führt aus:
"In Havels Abschiedsansprache zum Neuen Jahr fehlte der klare politische Appell, mit dem der Präsident alljährlich seine politischen Konkurrenten empört hat. Seine Worte waren diesmal die eines Bürgers und weniger die eines Präsidenten. Als ob sich - wie Vaclav Havel gern zu sagen pflegt - der Präsident definitiv von der Burg auf die Straßen begeben hat. Havel wird nun den Dienst an der Gemeinschaft aus umgekehrter Perspektive wahrnehmen. Wenn ihm ein wenig der Scharfsinn eines Theatermenschen bleibt, wird dies ein interessanter und inspirierender Blickwinkel sein. Im umgekehrten Fall können wir uns wenigstens damit trösten, dass wir auf den Kongressbühnen dieser Welt unseren eigenen Bill Clinton haben werden."
Die Zeitung Pravo ist der Meinung, dass sich Vaclav Havel in seiner letzten Neujahrsansprache ruhig einen etwas persönlicheren Rückblick auf seine langjährige Amtszeit hätte erlauben können. In diesem Zusammenhang erinnert sich der Kommentator an Havels erste Neujahrsrede vor 13 Jahren:
"Uns, die wir bis dahin an die Beschwörungen Präsident Husaks über unser blühendes Land gewöhnt waren, sagte Havel damals ohne Umschweife, dass das Land leider nicht blüht. Und dass wir, wenn wir wollen, dass es blüht, etwas investieren müssen. Nach dreizehn Jahren hätte der Präsident am diesjährigen Neujahrstag Grund für eine freudvolle Bilanzierung seines politischen Wirkens gehabt."
Bleiben wir noch ein wenig bei den Anfängen von Vaclav Havels Amtszeit: Wesentliche Impulse für die 'Samtene Revolution', in deren Folge Havel zum Präsidenten gewählt wurde, gingen von den Studenten aus. Einer ihrer maßgeblichen Akteure war damals Martin Mejstrik, der sich bereits vor 1989, u.a. durch Artikel in dem oppositionellen Blatt Cesky denik für mehr Freiheiten einsetzte. In den 90er Jahren war Mejstrik mehrere Jahre als Journalist tätig, schrieb weiter für den Cesky denik und gab das Kulturmagazin "Kavarna Affa" heraus, zog sich dann bewusst aus dem öffentlichen Leben zurück, und forderte zehn Jahre nach der 'Samtenen Revolution' als Mitautor des Manifestes "Danke, ihr könnt gehen" die führenden Politiker aus Regierung und Opposition öffentlich zum Rücktritt auf.
Im Gespräch mit Radio Prag erinnerte sich Martin Mejstrik ein Stück weit desillusioniert an die Euphorie während des Umbruchs von 1989, und die Bedeutung, die - nicht nur für ihn - die Person Vaclav Havels hatte:
"Wir dachten, dass wir es besser machen können als der Westen. Dass wir es schaffen, uns vor der Kommerzialisierung zu schützen und andere Werte zu verteidigen. Weil wir uns über die nicht vorhandene Freiheit mehr Gedanken machen mussten, waren wir ein Stück weit naiv, vielleicht auch hochmütig. Ich dachte, wir haben Vaclav Havel zum Präsidenten, und in seiner Umgebung sind Menschen, denen ich sehr vertraue und die ich schätze, und das ist entscheidend."
Im vergangenen Herbst kandidierte Mejstrik erfolgreich für einen Sitz in der oberen Parlamentskammer und kann somit die in knapp zwei Wochen bevorstehende Wahl des neuen Präsidenten durch seine Stimme mit beeinflussen.
Wie kommt es, dass ausgerechnet Mejstrik nun in die Politik geht, der von jeher ein starker Verfechter der Bürgergesellschaft war und - wie er im Gespräch mit Radio Prag verriet - auch Vaclav Havel in den vergangenen Jahren eher dort als integrative Kraft gesehen hätte denn als Präsident auf der Prager Burg? Und zwar aus der Überzeugung heraus, dass wichtiger als das positive Image im Ausland, welches die Tschechische Republik zu großen Teilen Havel zu verdanken hat, die Veränderung von unten im eigenen Land ist. Warum ist Mejstrik dann aber letztlich selbst in die Politik gegangen?
"Ich bin der Typ eines Menschen, der - obwohl er kein Politiker war - doch das ganze Leben Politik machte. Schon seit meiner Schulzeit wollte ich die Welt verbessern, zunächst wollte ich Pfarrer werden, dann über das Theater die Menschen verändern. Die ganze Zeit über habe ich mich dafür eingesetzt, dass die Bürger sich nicht zu sehr auf die Politiker verlassen, sondern selber Initiative ergreifen. Am Ende habe ich gemerkt, dass die Bürgergesellschaft, von der so viel geredet wurde, kein gleichwertiger Partner für die Politik ist. Dass die Politik so schlecht ist, dass ich nicht einmal mehr hingucken möchte. Aber dann habe ich mir gesagt, wenn ich in diesem Land leben möchte, muss ich selber in die Politik gehen und sie von innen heraus verändern."
Zu den Plänen des Politikers Mejstrik für die nächste Zukunft zählt u.a. die Gründung einer Internet-Zeitung, über die wir Sie, verehrte Zuhörer, im Medienspiegel informieren, sobald es soweit ist.