Von Prag aus auf die Weltbühne: Václav Havel in eigenen Worten

Václav Havel

Aus den Böhmischen Ländern, der Tschechoslowakei oder Tschechien kamen zahlreiche Persönlichkeiten, die internationalen Ruhm erlangt haben. Aber kein Tscheche hat wohl jemals weltweit so viel Respekt erhalten wie der gebürtige Prager Václav Havel – und zwar als Literat, Dissident und späterer Staatspräsident. Im Folgenden stellen wir Havel vor, und zwar vor allem anhand seiner eigenen Worte.

Václav Havel als Kind | Foto:  Tschechisches Fernsehen

Václav Havel kam am 5. Oktober 1936 in Prag zur Welt. Er entstammte einer vermögenden und intellektuellen Unternehmer-Familie, der unter anderem das Palais Lucerna im Zentrum der Goldenen Stadt gehörte. Zu kommunistischen Zeiten war Havels Herkunft eigentlich keine gute Voraussetzung für eine höhere Bildung. Dennoch studierte er in den 1960er Jahren in seiner Heimatstadt Theaterwissenschaften.

Zunächst arbeitete Havel als Bühnentechniker. Bald schon begann er aber, Regie zu führen, eigene Theaterstücke zu schreiben sowie Essays und Betrachtungen zu publizieren. Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 durfte Havel wegen seiner kritischen Haltung nicht mehr am Theater tätig sein. Finanziell hielt er sich mit Einnahmen aus dem Ausland über Wasser. Er wurde einer der Gründer der Bürgerrechtsbewegung „Charta 77“.

Jiří Kuběna,  Václav Havel und Ivan Havel in 1955 | Foto: Bibliothek von Václav Havel/Archiv von Ivan M. Havel

Wegen seiner regimekritischen Ansichten und seiner Tätigkeit als Dissident war er in den 1970er und 1980er Jahren mehrfach inhaftiert. Viel Zeit verbrachte er ansonsten in seinem Wochenendhaus in der Gemeinde Hrádeček / Silberstein im Vorland des Riesengebirges. Dennoch blieb Prag der wichtigste Ort seiner Aktivitäten, in der Stadt wohnte er in der Moldauuferstraße Rašinovo nábřeží.

Im Umbruchjahr 1989 wurde Václav Havel zunächst der Kopf der antikommunistischen Opposition, des Bürgerforums (OF). Am 29. Dezember wurde er als einziger Kandidat vom Föderalparlament zum neuen Präsidenten der damals immer noch kommunistischen Tschechoslowakei gewählt. In seiner politischen Funktion gelang es ihm, mit schonungsloser Ehrlichkeit viel Respekt zu erlangen. So sagte er in der Neujahrsansprache 1990:

Václav Havel in Hrádeček | Foto: Vladislava Wildová,  Tschechischer Rundfunk

„Vierzig Jahre lang haben Sie an diesem Tag aus den Mündern meiner Vorgänger in unterschiedlichen Abwandlungen dasselbe gehört: Wie unser Land blüht, wie viele weitere Billionen Tonnen Stahl wir produziert haben, wie wir alle glücklich sind, wie wir an unsere Regierung glauben und welche schönen Perspektiven sich vor uns auftun. Ich gehe davon aus, dass Sie mich nicht für dieses Amt vorgeschlagen haben, damit auch ich Sie anlüge. Unser Land blüht nicht. Das große schöpferische und geistige Potenzial unserer Völker wird nicht sinnvoll genutzt.“

Havel hatte auch versprochen, das Land zu den ersten freien Wahlen zu führen. Diese fanden im Sommer 1990 statt. Und das neue tschechoslowakische Föderalparlament bestätigte den Staatspräsidenten in seinem Amt. Zwei Jahre später aber trat er zurück, als Reaktion auf den sich abzeichnenden Zerfall des gemeinsamen Staates von Tschechen und Slowaken. In der neuen Tschechischen Republik wurde Havel aber wieder Präsident und dies für zwei Amtszeiten. Erst 2003 schied er aus der aktiven Politik aus.

Zu Havels Amtszeit hat der Tschechische Rundfunk mehrere Hundert Interviews mit ihm geführt. In diesen kommentierte der Dichter-Präsident meist das aktuelle politische Geschehen und die gesellschaftliche Entwicklung. Erst in den Gesprächen ab 2003 konnte sich Václav Havel auch als Privatperson freier äußern. Deswegen sind sie mit zeitlichem Abstand interessanter als die vorherigen Interviews. So beschrieb das ehemalige Staatsoberhaupt zum Beispiel seine Beziehung zu den Medien:

„Ich habe, ehrlich gesagt, die Zeitungen abbestellt. Früher war ich es gewohnt, jeden Morgen mehrere Tageszeitungen zu lesen, das hat aber viel Zeit in Anspruch genommen. Mittlerweile schaue ich nur noch die Fernsehnachrichten oder höre über den Tag hinweg sechs Stunden lang Radio. Ich kann mir nicht erlauben, das aktuelle Geschehen außer Acht zu lassen, auch weil ich mein kleines Büro habe, das alles verfolgt und mich darauf aufmerksam macht, wenn es etwas gibt, zu dem ich mich äußern sollte. Es fragt mich auch permanent, wie es auf die Post an mich antworten, auf Einladungen und weitere Dinge reagieren solle, die von mir verlangt werden. Ab und zu habe ich aber auch selbst das Bedürfnis, mich zu melden. Doch ist immer fraglich, ob das jemand irgendwann druckt oder sendet. Denn viel lieber wird etwas gesendet oder publiziert, das aus meiner Sicht nicht so wichtig ist, von dem die Medien aber das Gefühl haben, dass es die Leser unterhalten werde. So haben die Journalisten des Boulevard-Blattes ‚Blesk‘ drei Tage im Wald unseres Grundstücks campiert, um uns dann in Badehosen zu erwischen. Das ist ärmlich.“

Václav Havel und Olga Havlová | Foto: Ondřej Němec,  Výbor dobré vůle,  CC BY 4.0 DEED

Havel wurde während seiner Zeit als Politiker von einigen Kritikern vorgeworfen, zu nachsichtig mit den Kommunisten umgegangen zu sein. Nachdem er aus dem Amt ausgeschieden war, wies er aber in einem Gespräch etwa auf die Schäden hin, die das frühere Regime an Baudenkmälern und allgemein im öffentlichen Raum angerichtet hatte…

„Mir scheint, dass es für die Gesamtstimmung in der Gesellschaft sehr gut wäre, wenn auf solche Fälle hingewiesen würde. Und vielleicht könnten einige Fälle auch strafrechtlich verfolgt werden, falls dies die Paragraphen des Strafgesetzbuches zulassen. Denn damit würde klar gemacht, dass es uns nicht völlig egal ist und dass die Identität des Volkes, über die ständig gesprochen wird, nicht denkbar ist ohne eine gewisse Kontinuität. Also ohne ein Bewusstsein dafür, was man früher war, vorgestern gemacht hat, und wo man lebt. Wenn unser gemeinsames Erbe übergangen, zerstört oder verachtet wird, ist das zugleich ein Angriff auf unsere gegenwärtige Identität. Aber das ist nichts, das nur mit der Ära des Kommunismus verbunden ist – obwohl es in dieser besonders markant war, in welcher Weise mit Denkmälern, alten Gebäuden und überhaupt mit dem Urbanismus und der Struktur von Städten umgegangen wurde“, so Václav Havel.

Václav Havel in seiner Wohnung am Rašín-Ufer in Prag  (1993) | Foto: Jaroslav Hejzlar,  ČTK

Flucht vor Stasi-Spitzeln durch den Wald

Der frühere Staatspräsident gab zudem Einblicke in die Phase, als zu kommunistischen Zeiten die tschechoslowakische Staatssicherheit StB sein Wochenendhaus in Hrádeček überwachte. Nicht nur einmal entzog er sich der Beobachtung der Spitzel durch eine Flucht durch den Wald, um zu einem Treffen mit anderen Oppositionellen zu gelangen.

„Ich habe mich aber in dem Wald nicht gut ausgekannt und daher ständig verlaufen. Sogar im Winter, als es schneite, bin ich durch den Wald entflohen. Damals war ich Sprecher der Charta 77, und wir hatten ein Treffen der drei Sprecher in Prag geplant, um einige Dokumente in Empfang zu nehmen. Ich glaube, zwei- oder dreimal musste ich auf diese dramatische Weise fliehen. Manchmal haben sie mich im Wald abgefangen, manchmal nicht. Aber ich glaube, dass ich es zu den wichtigsten Treffen immer geschafft habe“, schilderte Havel.

Gedenkstätte in Hrádeček bei Trutnov | Foto: Jaromír Marek,  Tschechischer Rundfunk

Dabei hatte er mit seinen Bewachern auch persönlichen Kontakt. So wird sich eine Begebenheit erzählt, dass diese ihn gebeten haben sollen, sie ins Kino zu begleiten. Damals lief angeblich „Der weiße Hai“ von Steven Spielberg. Dazu Havel:

„Einmal ist mir tatsächlich so etwas passiert. Allerdings wurde nicht ‚Der weiße Hai‘ gezeigt, sondern, wie ich meine, der Western ‚Zwei Banditen‘ im großen Sommerkino Na Bojišti in Trutnov. Und ja, die Agenten waren ständig an meiner Seite, sie hatten es nicht einfach in Hrádeček. Das Haus steht einsam, umgeben nur von der Natur, und die Überwachung war manchmal sehr schwierig. Nach und nach haben wir uns kennengelernt und auf eine gewisse korrekte Art miteinander kommuniziert, sodass ich nicht mehr so häufig durch den Wald geflohen bin. Aber ein paar Mal musste ich dies und bin ihnen auch entkommen. Viele Male haben sie mich jedoch eingefangen. Ich glaube, damals bin ich tatsächlich ihretwegen ins Kino gegangen.“

‚Wahrheit und Liebe müssen über Lügen und Hass siegen.‘  | Foto:  Tschechische Akademie der Wissenschaften

Schreibmüde in den Ruhestand

In einem der Interviews für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks nach 2003 vertraute Václav Havel den Reportern zudem an, dass er seine künstlerische Karriere fortsetzen werde:

„Ich habe schon ein Thema für ein Theaterstück. Genügend lange bin ich jetzt nicht mehr Präsident und daher nervös, dass ich das Stück noch nicht geschrieben habe. Auf der anderen Seite sage ich mir, dass es keine Pflicht dazu gebe und ich das Stück jetzt oder in zehn Jahren fertigstellen könne. Nichtsdestotrotz belastet es mich innerlich ein bisschen. Ein bestimmtes Thema zeichnet sich in meinem Kopf bereits ab, aber irgendwie fehlt mir die Konzentration. Ich habe eine Unzahl an Verpflichtungen und Aufgaben übernommen, und es gibt so viele vergnügliche Erlebnisse. Zudem fühle ich mich nach den vielen Jahren von den Erwartungen belästigt. Immer wieder fragt mich jemand, ob ich schon etwas geschrieben hätte und worum es gehe. Und das macht einem nicht gerade mehr Lust, sich hinzusetzen und zu schreiben. Ich denke wirklich, dass ich im Leben schon genügend geschrieben habe und nicht mehr dazu gezwungen bin. Außerdem bin ich des Schreibens auch etwas müde. Denn während meiner Präsidentschaft habe ich keine Pause gehabt, im Gegenteil: In dieser Zeit habe ich so viel wie nie im Leben geschrieben, weil ich fast jedes Wochenende meine Reden verfasst habe. Dabei konnte ich nichts lesen, was andere verfasst haben. Ich habe so viel zu Papier gebracht, dass ich mich vielleicht jetzt erholen muss. Ich muss etwas Energie tanken, und eines Tages setze ich mich dann vielleicht hin und schreibe etwas Wichtiges – oder ich schreibe nichts.“

Aus dem Stück 'Abgang' | Foto: Tschechisches Fernsehen

Letztlich klappte es dann doch, und Havel verfasste sein letztes Theaterstück: „Odcházení“ oder auf Deutsch „Abgang“. Es trägt autobiografische Züge und bezieht sich auf die Zeit, als er als tschechischer Staatspräsident aus dem Amt schied. In dem Stück geht es darum, dass Macht einsam macht.

Den Text des Dramas beendete Václav Havel im Jahr 2006 bei einem Aufenthalt in den USA. Seine amerikanische Premiere feierte das Stück in Philadelphia. Im Anschluss fragte der Tschechische Rundfunk den Autor nach seinen ersten Eindrücken und auch danach, wie sehr er gewisse Veränderungen durch die Übersetzung wahrgenommen habe. In seiner Antwort ging der Ex-Präsident ganz allgemein auf das Verhältnis von Übersetzung, Originalwerk und Autor ein:

„Es gab hier Momente, in denen etwas unausweichlich verloren gehen musste, weil es so stark an die tschechische Sprache gebunden war, dass es nicht übersetzt werden konnte. Aber diese Erfahrung habe ich mit all meinen Stücken gemacht. Hier und dort kam es sogar auch dazu, dass etwas in einer leicht anderen Bedeutung strahlt, als ich es selbst gewusst haben könnte. Und das erfreut natürlich jeden Autor. Denn er ist nur das Medium, das zu etwas dienen soll, aber nicht der Allwissende, der die Welt belehrt.“

Das Stück „Odcházení“ ist auch ins Deutsche übersetzt worden, und zwar von Joachim Bruss. Die umjubelte deutsche Erstaufführung fand am 25. April 2009 in Aachen statt – in Anwesenheit des Autors.

Václav Havel starb am 18. Dezember 2011 in Hrádeček. Um ihm das letzte Geleit zu geben, kamen viele Staatsvertreter und Prominente aus aller Welt im Veitsdom von Havels Heimatstadt zusammen. Begraben ist der Dichter, frühere Dissident und Präsident auf dem Friedhof im Prager Stadtteil Vinohrady.

Foto: Kristýna Maková,  Radio Prague International
schlüsselwörter:
abspielen

Verbunden