Kommunisten erstmals seit 1989 auf Prager Burg/ Regierungsbildung weiterhin kompliziert

Präsident Vaclav Klaus (links) und KSCM-Vorsitzender Vojtech Filip
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Nach fünf Wochen erfolgloser Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung kam diese Woche erstmals wieder ein wenig Bewegung in die festgefahrene Situation. Nach Einschätzung der Medien deutet die jüngste Entwicklung immer mehr auf eine Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und ODS hin.

Präsident Vaclav Klaus und CSSD-Vorsitzender Jiri Paroubek  (Foto: CTK)
Der scheidende sozialdemokratische Premierminister Jiri Paroubek solle endlich klar sagen, was er wolle - und vor allem: was er nicht wolle. Mit diesen Worten appellierten Anfang der Woche die Demokratische Bürgerpartei (ODS), die Christdemokraten und die Grünen an die Sozialdemokraten (CSSD), die Entstehung einer funktionierenden Regierung nicht weiter zu blockieren. Weiter luden die drei Koalitionspartner, die im Abgeordnetenhaus nicht über genügend Stimmen verfügen, um eine funktionierende Regierung bilden zu können, die Sozialdemokraten ein, sich an der Koalition zu beteiligen. In einer ersten Reaktion lehnte Paroubek dies ab, um wenige Stunden später die Absage zurückzunehmen. Hören Sie dazu einen Kommentar aus der Zeitung Lidove noviny vom Mittwoch, in dem der Autor die Aufrichtigkeit der Sozialdemokraten in Zweifel zieht:

"Die Unlust der Sozialdemokraten, öffentlich eine konkrete Aussage über die Bedingungen für solche Verhandlungen zu machen, spricht eher dafür, dass die CSSD dasselbe Spiel spielt wie die ODS und die Einladungen zu Verhandlungen nur nach außen hin angenommen hat. Dennoch: Ein zweifellos positives Ergebnis von Topolaneks Initiative ist, dass die Sozialdemokraten endlich ihre Forderungen formulieren müssen und verhandelt wird. Worüber, das wird von der Dreierkoalition abhängen."

Nachdem am Mittwoch die Vorsitzenden der fünf im Parlament vertretenen Parteien aber erneut keine neuen Impulse in Richtung Regierungsbildung setzen könnten, hat sich am Donnerstag Staatspräsident Vaclav Klaus eingeschaltet. Nacheinander lud er am Donnerstag zunächst die Chefs der drei kleineren Parteien - Christdemokraten, Grüne und Kommunisten - zu Vieraugengesprächen. Damit brach er ein ungeschriebenes Gesetz seines Amtsvorgängers Vaclav Havel, der während seiner 13jährigen Präsidentenzeit niemals die Kommunisten auf die Prager Burg eingeladen hatte. Die Kommunisten als gleichwertiger Verhandlungspartner für den Präsidenten - dazu schreibt die Zeitung Pravo am Freitag:

"Die Kommunistische Partei ist eine Parlamentspartei und demnach muss man auch mit ihr verhandeln - ob einem das jetzt gefällt oder nicht. Es ist daher kein bisschen sonderbar, wenn der Präsident ihre Vertreter auf der Burg empfängt. Irgendwann musste es dazu kommen und wir sollten um Gottes Willen darin nicht irgendeinen Ausdruck von Dankbarkeit für die Stimmen sehen, mit denen die Kommunisten Klaus 2003 zur Präsidentschaft verholfen haben. Der Präsident weiß, was er tut. Die Zeit ist heute einfach so, dass jeder mit jedem verhandeln muss in dieser festgefahrenen Situation."

Ganz anders sieht es Martin Komarek, Kommentator der Zeitung Mlada fronta dnes:

ODS-Vorsitzender Mirek Topolanek  (Foto: CTK)
"Die Kommunistische Partei musste zwar in den Wahlen deutliche Stimmenverluste hinnehmen, aber ihr Einfluss hat sich paradoxer Weise erhöht. Symbolisch dafür steht der Besuch von Parteichef Vojtech Filip auf der Prager Burg. Die Kommunisten haben erstmals einen Fuß in die Tür zur Macht bekommen, als sie Vaclav Klaus in den Präsidentensessel geholfen haben. Jiri Paroubek hat diese Tür dann geöffnet und niemand kann heute daran zweifeln, dass er mit ihnen eine Regierung bilden würde, wenn die linken Parteien das eine nötige Mandat im Abgeordnetenhaus mehr hätten. Alle Klagen sind vergeblich - der Empfang von Vojtech auf der Prager Burg ist ein Beweis dafür, dass die politische Isolation der Kommunisten versagt hat."

Der Publizist Martin Stransky hält die Vorstellung einer eventuellen Regierungsbeteiligung der Kommunisten für unerträglich und spricht sich in einem Gastkommentar in der Zeitung Lidove noviny für öffentlichen Druck auf die Partei von Vojtech Filip aus:

"Man muss den Kommunisten ein Ultimatum stellen, damit sie sich wirklich von ihrer Vergangenheit lossagen und sich zu dem begangenen Unrecht bekennen. Oder man muss öffentlichen Druck ausüben, der letztlich zum Verschwinden der Partei führt. Es ist eine offenkundige Ironie: Das Verschwinden dieser Partei würde am meisten den Sozialdemokraten helfen, denn die früheren kommunistischen Wähler würden am ehesten ihnen ihre Stimme geben."

Präsident Vaclav Klaus  (links) und KSCM-Vorsitzender Vojtech Filip
Wie geht es weiter? Am Freitag hat Präsident Klaus auch die Vorsitzenden der beiden großen Parteien - also der Sozialdemokraten und der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) - auf der Burg empfangen. Wie unmittelbar vor der Aufzeichnung dieser Sendung bekannt wurde, hat der scheidende Premierminister Jiri Paroubek dem Präsidenten ein gemeinsames Treffen mit dem ODS-Chef Mirek Topolanek vorgeschlagen. Reaktionen von Topolanek waren war Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Paroubeks Vorschlag deutet auf einen Weg, den viele Beobachter für den einzig realistischen halten, um zu einer Regierungsbildung zu kommen: ein Zweckbündnis zwischen Sozialdemokraten und ODS. Petr Novacek, Kommentator beim ersten Programm des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Rundfunks, erinnert in diesem Zusammenhang an eine gewisse Tradition der Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Parteien:

"Vergessen wir nicht, dass beide Seiten damit bereits Erfahrungen aus dem Prager Rathaus haben, wo sie seit 1998 gemeinsam in einer Koalition regieren. Und weiter gibt es die Erfahrung des so genannten Oppositionsvertrags der Jahre 1998-2002. Dank dieses Vertrags konnte damals eine sozialdemokratische Minderheitsregierung entstehen."

Auch die Redakteurin Lenka Zlamalova von der Zeitung Hospodarske noviny ist überzeugt, dass es zu einer erneuten Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und ODS auf Regierungsebene kommen wird:

"Noch lehnt die ODS dies ab. Aber sie wird nicht um ein Abkommen mit Paroubek herumkommen. Es fragt sich nur, wie es aussehen wird. Paroubek bietet bislang zwei mögliche Formen der Zusammenarbeit an: Einmal eine verdeckte Koalition oder - mit Paroubeks Worten - eine Unterstützung einer ODS-Minderheitsregierung durch die Sozialdemokraten. Auf den ersten Blick erinnert sie an den Oppositionsvertrag zwischen Milos Zeman und Vaclav Klaus. Aber dieser Eindruck täuscht, denn Paroubek fordert mehr. Er will regieren. Das zweite Angebot Paroubeks ist eine große Koalition, in Paroubeks Jargon eine "Expertenregierung". Die ODS ist ein trauriger Sieger. Sie kann nur zwischen zwei schlechten Möglichkeiten wählen: einer gemeinsamen Regierung mit den Sozialdemokraten und damit der Aufgabe ihres Programms und Neuwahlen."