Kristina Vlachová
In der heutigen Ausgabe des Kulturspiegels will Johana Steiger-Antos die Drehbuchautorin, Redakteurin und Dokumentarfilmerin Kristina Vlachová vorstellen, die sich in ihrer dreißigjährigen Schaffenszeit stets brisanten, aktuellen und politischen Themen gewidmet hat.
Der Dokumentarfilm "Ohne Gnade" entstand 1998, und schildert das Leben und den Tod des tschechischen Generals Heliodor Píka. Píka ist im ersten Weltkrieg Legionär und militärischer Anführer der tschechoslowakischen Armee im Balkan gewesen. Im zweiten Weltkrieg führte er erfolgreich eine russische Mission in Moskau. Durch seine ehrenhaften Taten errang er 30 Kriegsmedaillen. 1949 wurde er von einem kommunistischen Gericht zum Tode verurteilt. Die Dokumentation von Kristina Vlachová zeigt die Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Persönlichkeit und illustriert eine wichtige Periode der tschechischen Geschichte.
Das Thema "Píka" ist in Prag besonders aktuell, da in den letzten Wochen der 75-jährige Kommunist Karel Va endlich vor das Oberste Gericht gestellt wurde und zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Er hat heftig zur damaligen Verurteilung Píkas beigetragen. Píka wurde Verrat vorgeworfen; Gründe und Beweise für seine Verhaftung und Verurteilung gab es keine.
Kristina Vlachová porträtierte noch einen tschechischen Helden. Sie machte einen Film über den bekannten tschechischen Mythus, den "König vom Böhmerwald".
Josef Hasil ist sein Name und er lebt heute in Amerika. Im Jahre 1948 war er Überführer an der deutsch-tschechischen Grenze. Er schmuggelte Menschen über die bayerische Grenze, später auch im Auftrag der amerikanischen CIA. 1949 wurde er gefasst, und eingesperrt, konnte aber entfliehen, und emigrierte in die Staaten. Seine Familienmitglieder wurden alle inhaftiert, bekamen lange Gefängnisstrafen, aber seine Tat bereuen, tun sie ganz und gar nicht.
Kristina Vlachová konzipiert ihre Dokumentationen herausragend, bringt seltene Archivfotos zur Welt, und zeigt durch Ihre Zeugenaussagen neue Perspektiven der Helden. Sie ist an menschlichen Lebensgeschichten interessiert und dokumentiert sie einfühlsam und handwerklich so gut, dass Sie bereits viele Preise dafür geerntet hat.
Ich habe Frau Vlachová in einem Interview für Sie befragt. Wie ist Frau Vlachová eigentlich zum Dokumtarfilm gekommen?
"Also, ich muss erst einmal sagen, dass ich früher Jana Slánská hieß, und die Leute damals dachten, dass ich eine Verwandte von Rudolf Slánský gewesen bin. Rudolf Slánský war Kommunist in den 50ger Jahren, der mit vielen Verurteilungen Unschuldiger verwickelt war. Ich bin keine Verwandte, und um diese Missverständnisse zu beheben, legte ich mir deshalb ein Pseudonym zu, Kristina Vlachová.
Nun zu Ihrer Frage, ich habe zunächst auf der Prager Filmhochschule FAMU Spielfilmregie- und Dramaturgie studiert. Ich wusste, das man für einen Spielfilm viel Geld braucht und ich hatte keine guten Kontakte zu den richtigen Produzenten. Und so kam ich zum Dokumentarfilm. Ich glaube heute ist die Zeit gut für Dokumentationsfilme. Heute will und muss man viel über die Welt und über die Ungerechtigkeit erfahren."
Kristina Vlachová arbeitet schon einige Jahre im Tschechischen Fernsehen. Schreibt Sie Ihre Drehbüchern selbst, oder mit ihrem Kollegen und Dramaturgen Jan Gogol?
"Nein, nein, ich schreibe meine Drehbücher selber. Jan Gogol hat mich nur bei dem Film "Die Nachricht vom König des Böhmerwaldes" unterstützt. Ich arbeite im redaktionellen Bereich in verschiedenen Fernsehsendungen, wie "Tady a ted", "Klekanice", "Fakta" oder "Nadoraz". Das sind alle bekannte Sendungen, die sich viel mit Politischem befassen. Ich schreibe auch fiktionale Drehbücher für meine Dokumentarfilme, aber während der Dreharbeiten funktioniert die Realität anders. Man weiß nie, was auf einen zu kommt, und man muss viel improvisieren. Die eigentliche Arbeit und die Dramaturgie entsteht dann im Schneideraum. Ich habe aber auch viele Drehbücher für Kinofilme geschrieben, und mit bekannten Regisseurin wie Vìra Chytilová zusammengearbeitet."
Für einen Dokumentarfilmer ist das Improvisieren ein Muss. Der Regisseur muss jede Situation spontan nützen und aus den Befragten das meiste herausbekommen. Kristina Vlachová kann das sehr gut.
"Ich liebe das Improvisieren. Es ist die größte Freude, wenn ich auf dem Weg zum Drehort bin und ich nicht weiß, was auf mich zukommt, und was der Tag bringen wird. Das ist spannend und ein Glück für einen Menschen so eine Arbeit machen zu können."
Wie lange dauerte die Vorbereitung für den Dokumentarfilm "Die Nachricht vom König des Böhmerwaldes"?
"Fast vier Jahre, zuerst habe ich einen kleineren Bericht über Josef Hasil gemacht, aber dann sind auf einmal die Kassetten verloren gegangen, das ganze Projekt war gefährdet, und ich konnte nicht weiter daran arbeiten.... Seit 1968 aber habe ich den Filmstoff im Kopf, ich habe viel recherchiert, viele Interviews gemacht und alles niedergeschrieben. Erst nach der Wende konnte ich den Film verwirklichen. Also hat es insgesamt 30 Jahre gedauert, bis der Film fertig war! "
War die Arbeit an der Dokumentation über General Píka auch so anspruchsvoll?
"Den Film habe ich mit der Regisseurin Marie Sandová zusammengemacht. Wir waren zu zweit, zwei Drehbuchautorinnen und zwei Regisseurinnen. Und das war gut so. Wir hatten es mit Soldaten und Diplomaten zu tun. Wir hatten Angst, es allein zu machen, bei so vielen politischen Geheimnissen... Wir brauchten vier Hände und vier Beine. Es war auch physisch ganz schön anstrengend, weil wir alle Behörden ablaufen mussten..."Frau Vlachová beschäftigt sich oft mit dem Thema Heldentum. Ist das Absicht und Ihre Botschaft an die tschechische Nation, auf ihr Heldentum aufmerksam zu machen?
"Das ist mir gar nicht bewusst geworden! Wir haben wenig Heldentum in unserem Land. Wir haben als kleine Nation einen Minderwertigkeitskomplex, wir sind eine sog. "Schwejk -Nation", wir lösen Dinge passiv und mit Humor. Ja, Píka und Hasil waren Helden. Hasil war ist eine sehr aufrichtige, tapfere Persönlichkeit. Ich habe ihn für den staatlichen Verdienstorden für sein Heldentum vorgeschlagen. Er setzte sein Leben für die Flüchtlinge ein, und verhalf Ihnen zur Freiheit. Es waren ungefähr um die 50 Menschen, die er über die Grenze gebracht hat. Ich finde es wichtig, dass die Menschen über das Heldentum nachdenken, und daran erinnert werden."
Der kommunistische Prokurator Karel Vas bekam sieben Jahre Haftstrafe für den Tod des ehrenwürdigen Generals Píka. Ist es für die Filmerin persönlich ein ermutigendes und befriedigendes Ergebnis, und glaubt Sie, dass ihr Film Einfluss auf das gerichtliche Verfahren hatte?
"Ich widme mich dem Thema Píka jetzt schon viele Jahre. Ich habe jede Menge Material, das würde für 10 Dokumentarfilme reichen! Sie fragen mich nach meiner persönlichen Meinung? Die meisten von den politischen Mördern sind schon tot, wir haben einiges verpasst, was die Gerechtigkeit und die Ehrenfrage vieler mutiger auch unbekannter Menschen angeht. Ich nehme mir dieses Thema sehr zu Herzen. Mich interessieren auch unbekannte Helden, die sich für etwas gutes eingesetzt haben. Das Material dazu befindet sich immer noch unter meinem Bett! Aber auf Ihre Frage zurück zukommen. Im Jahre 1998 reichte Dr. Motejl vom Ministerium für Gerechtigkeit die Klage gegen Karel Vas beim Oberen Gericht ein, erst in Brünn, dann in Prag. Nach drei Jahren ist es endlich soweit. Heute greifen mich viele Leute an, auch anonym. Bis heute bekomme ich Drohanrufe und Briefe. Auch der Rechtsanwalt von Vas schrie im Gericht, dass ich für alles verantwortlich bin... Es war gut, dass jemand hinter mir stand. Ich musste mir auch vieles im tschechischen Fernsehen gefallen lassen, viele Beleidigungen anhören... Die Menschen hatten Angst vor der Wahrheit."
Mich hat ihr Film "Die Nachricht vom König des Böhmerwaldes" emotional sehr angesprochen. Josef Hasil machte einen sehr natürlichen und offenen Eindruck in ihrem Film. Dauerte es lange, bis er vor der Kamera alle Hemmungen verlor?
"Ich bin sehr glücklich, dass sie das sagen. Ich dachte ich werde nie mit ihm sprechen können. Ich habe vorher mit seiner ganzen Familie gesprochen und sie interviewt. Josef Hasil hatte ich so oft geschrieben, aber es kam keine Antwort. Ich war verzweifelt. Dann erfuhr ich, dass er im Krankenhaus lag, mit einem schweren Schlaganfall. Er war klinisch tot, konnte weder sprechen, noch sich bewegen. Seine Frau hat mir erzählt, dass die ganze christliche Gemeinde in Chicago für ihn betete, und, dass er wieder gesund geworden ist, wie durch ein kleines Wunder. Nach zwei Jahren habe ich ihn dann besucht. Er hat sein Gedächtnis wieder bekommen, und kann heute problemlos sprechen und laufen - er hinkt nur ein wenig. Ich bin sehr froh, dass ich ihn noch erleben konnte...."
Ich danke Frau Vlachová für dieses interessante Gespräch. Sie ist eine der mutigsten Filmemacherinnen dieser Zeit, offen für jedes Tabuthema. Sie macht die Öffentlichkeit auf unbestrafte Täter aufmerksam, hat Mut, und riskiert, sich selbst zu gefährden und sich Feinde zu schaffen. Sie zeigt Wahrheiten auf und deutete auf Schuldige, die heute noch leben, und ihre Tat nicht im geringsten bereuen. Sie dokumentiert und wiederlegt Fakten und achtet auch auf die emotionale Seite der Betroffenen. Auf so eine Filmemacherin kann die tschechischen Nation stolz sein. Schade, dass es nicht mehr davon gibt...