„Fackel Nummer 1“ – Jan Palachs Selbstverbrennung
Am 16. Januar 1969 ging Jan Palach auf den Wenzelsplatz in Prag, übergoss sich mit Benzin und steckte sich selbst in Brand. Es war ein Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei wenige Monate zuvor. Ein Rückblick auf die Ereignisse vor 50 Jahren.
„Die Stadtverwaltung der öffentlichen Sicherheit Prag teilt mit, dass sich heute gegen 15 Uhr auf dem Wenzelsplatz der 21-jährige J.P., ein Student der philosophischen Fakultät, schwer verbrannt hat. Er übergoss sich mit einer unbekannten Flüssigkeit und zog sich schwere Verbrennungen zu. Durch das schnelle Einschreiten eines Dispatchers der Verkehrsbetriebe wurde das Feuer gelöscht, und der Rettungsdienst brachte ihn zur Untersuchung ins Krankenhaus. Das Motiv der Tat wird ermittelt.“
Am Abend des 16. Januar lief die erste Meldung über die Selbstverbrennung im Tschechischen Rundfunk. Auch Jiří Palach hörte sie, Jans älterer Bruder:
„In dieser Nachricht hieß es, dass in den Nachmittagsstunden auf dem Wenzelsplatz der Student der philosophischen Fakultät J.P. versucht habe, sich selbst zu verbrennen. Ich bekam einen Schock und sagte mir: ‚Oh Gott. Das ist mein Bruder.‘ Das kam mir sofort in den Sinn.“
Jan Palach kämpfte zu diesem Zeitpunkt um sein Leben. Liana Hanusová war damals Krankenschwester in der Uni-Klinik im Prager Stadtteil Vinohrady:„Er war am ganzen Körper verbrannt, heil geblieben waren nur seine Fußsohlen. Es waren Verbrennungen dritten Grades, vierten Grades. Das sind tödliche Verletzungen. Und er wusste, dass es schlimm steht, dass er nicht wieder gesund wird.“
Doch Jan Palach war bei Bewusstsein und interessierte sich vor allem für eins: Wie reagierte die Öffentlichkeit auf seine Tat?
„Er freute sich, als ich ihm von dem Erfolg erzählte. Denn wenn er das gemacht hätte ohne Erfolg, hätte ich es als sehr, sehr traurig empfunden. Und es war ja wirklich erfolgreich, alle Radiostationen berichteten darüber.“
„Lest den Brief“, hatte Jan Palach auf dem Wenzelsplatz gerufen, kurz bevor ihn die Sanitäter ins Krankenhaus brachten. In einer Aktentasche hatte er ihn zurückgelassen, kurz bevor er sich in Brand setzte:„Da unser Land davor steht, der Hoffnungslosigkeit zu erliegen, haben wir uns dazu entschlossen, unserem Protest auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, um die Menschen aufzurütteln.“
Palach forderte die sofortige Aussetzung der Zensur und das Verbot der von den Sowjets herausgegebenen Zeitung „Zprávy“. Andernfalls würden Mitstreiter binnen fünf Tagen seinem Beispiel folgen und sich ebenfalls lebendig verbrennen. Unterzeichnet war das Schreiben mit „Fackel Nr.1“.
„Mit der tragischen Tat des Studenten Jan Palach beschäftigte sich auch der Prager Ausschuss der KPTsch in einer Stellungnahme. Darin heißt es, dessen verzweifelte Tat könne niemandem gleichgültig sein und es gebe keine Zweifel an der Reinheit und Wahrhaftigkeit im Denken dieses Jungen. Zugleich sei es nicht möglich, sich mit dem Weg zu identifizieren, den Jan gewählt habe. Es sei notwendig, für die sozialistische Gegenwart und Zukunft zu leben, nicht zu sterben.“
Angst vor einer Selbstmordwelle
Am 17. Januar, einen Tag darauf, trat die kommunistische Partei in Prag zusammen. Die Machthaber fürchteten eine Selbstmordwelle. Zur Ermittlung der Hintergründe schickten sie eine Psychologin samt Tonbandgerät zu Jan Palach. Am selben Tag kamen auch Jans Mutter und sein Bruder ans Krankenbett des Sterbenden.„Sie ließen mich und unsere Mutter zu ihm, meine Ehefrau nicht. Mutter sagte zu ihm: ‚Jan, Jan, was hast du gemacht.‘ Die Krankenschwestern weinten.“
Jan Palachs kurzes Leben, seine Freunde, Interessen und Ansichten, all das stand nun im Interesse der Öffentlichkeit. Rudolf Smahel studierte mit ihm an der Wirtschaftshochschule, ehe Palach im Herbst 1968 an die Karlsuniversität wechselte und dort ein Studium der Geschichte begann. 2011 erinnerte sich Smahel an die Atmosphäre nach dem Einmarsch der Sowjets:
„Viele Leute sagten: ‚Was soll‘s, an der Ecke stehen die Russen. Also machen wir besser nichts.‘ Aber Jan war wirklich anzusehen, was er durchmacht, dass er wirklich darunter leidet. Das heißt, seine Entscheidung war nicht das Werk eines Augenblicks, sondern lange geplant.“Mehrere Arbeitseinsätze in der Sowjetunion, zuletzt im Sommer 1968 direkt vor der Okkupation, hatten bei Jan Palach einen starken Eindruck hinterlassen.
„Er erzählte, wie erschreckend es dort sei, dass sich die Menschen schon abgewöhnt hätten, ihre Meinung zu sagen, wie die Menschen dort schufteten. Und Jan Palach warnte uns. So wird es auch bei uns, sagte er. Nicht sofort, aber wenn bei uns der Totalitarismus nach sowjetischem Muster herrsche, dann kämen wir in eine ähnliche Situation, wirtschaftlich und humanitär.“
Im August 1968 klebte Jan Palach Protestplakate an Hauswände und dokumentierte die Okkupation mit seiner Kamera. Als die Nationalversammlung im Oktober 1968 der „kurzzeitigen Besatzung“ durch die Sowjets zustimmte, beteiligte er sich an einem mehrtägigen Studentenstreik in der philosophischen Fakultät der Karlsuniversität.Dass die Errungenschaften des Prager Frühlings innerhalb weniger Monate Geschichte sein sollten, wollte Palach nicht hinnehmen. Nach seiner Tat im Januar flammte der Protest in Prag wieder auf. Die Regisseurin Kristina Vlachová, die in den 1990ern einen Film über Palach drehte, war damals 26 Jahre alt:
„Wir gingen immer wieder zum Wenzelsplatz. Studenten hatten dort beim Museum einen Hungerstreik ausgerufen und waren auch in der Nacht dort, in Zelten. Für alle war diese Zeit sehr schwer.“
Trauer im ganzen Land
Jan Palach erlag am 19. Januar nachmittags seinen Verletzungen. Am Tag darauf zogen mehrere Zehntausend Menschen in einem friedlichen Trauerzug vom Wenzelsplatz zur philosophischen Fakultät an die Moldau. Der „Platz der Roten Armee“ wurde spontan in Jan-Palach-Platz umbenannt, im ganzen Land gab es Trauerkundgebungen. Die Studentin Věra Roubalová war damals 21.
„Es kam mir unglaublich stark vor, und zugleich fühlte ich mich sehr beklommen. Ich erinnere mich, dass im Fernsehen ein Beitrag nach dem anderen lief. Darin sprach man beschwichtigend und warnte davor, die Tat nachzuahmen und weiterzumachen. Auch sehr charismatische Menschen hatten Angst, dass es weitere Fackeln geben könnte.“Zu ihnen gehörte etwa Václav Havel, damals Vorsitzender des Klubs unabhängiger Schriftsteller. In einem Interview mit slowakischen Filmemachern äußerte er sich vor dem Denkmal des heiligen Wenzel, das unter Kerzen und Fotos einer improvisierten Gedenkstätte für Jan Palach glich.
„Ich denke, es hat keinen Sinn, auf diesem Weg fortzufahren. Das würde Jan Palachs Tat nur verherrlichen. Stattdessen ist es notwendig, einen neuen, anderen Weg zu finden, der die Menschen aus der Apathie reißt und sie erneut provoziert, sie erneut dazu zwingt zu verlangen, was sie wollen.“
Am selben Tag wandte sich auch Staatspräsident Ludvík Svoboda an die Fernsehzuschauer:„In Namen Ihrer Eltern, im Namen des Volkes unseres Landes, in meinem Namen und im Namen der Menschlichkeit, zu der wir uns gemeinsam verpflichtet haben, fordere ich Sie auf: Stoppen Sie diese schrecklichen Taten.“
Zur Beerdigung von Jan Palach am 25. Januar versammelten sich in Prag erneut mehrere Zehntausend Menschen. Um Abschied von dem im Karolinum aufgebahrten Studenten zu nehmen, hatten sich bereits am Vortag kilometerlange Schlangen gebildet. Věra Roubalová gehörte zu den Mitorganisatorinnen der Beerdigung.
„Mir war damals gar nicht so klar, was für ein großes Symbol Palach ist. Zu dieser Zeit sah ich es nicht so differenziert. Und trotzdem, diese Kraft der Menschen, die während der Beerdigung durch Prag liefen… Das waren wirklich Massen von Studenten und das zu einer Zeit, als sie bereits unterdrückt wurden. Das hatte eine große Kraft, und ich denke, darum kochte es zum letzten Mal hoch vor der Normalisierung, die dann leider sehr schnell kam.“
Tabu bis 1989
Während die Trauerzüge noch erlaubt wurden, versuchte das Regime in der Folge alles, um die Aufmerksamkeit für Palach herunterzuspielen. Am Tatort auf dem Wenzelsplatz wurde ein Blumenbeet angelegt, um Versammlungen zu verhindern. Am 26. Februar beging der Student Jan Zajíc Selbstmord – durch Selbstverbrennung auf dem Wenzelsplatz. Die Filmemacherin Kristina Vlachová erinnert sich:„Jan Palach wurde noch als Held bezeichnet, die ganze Nation war auf seiner Seite. Er bekam eine Beisetzung in allen Ehren, und alle waren begeistert von seinem Mut, ein solches Opfer für die ganze Nation bringen. Und auf einmal, als ein zweiter Student das Gleiche machte, gab es kein Ehrenbegräbnis. Er musste in seinen Geburtsort nach Nordmähren geschafft werden, und alle wollten es vertuschen.“
Auch weitere Nachahmer wurden von der Zensur totgeschwiegen oder zu psychisch kranken Einzeltätern erklärt. Jan Palachs Grab auf dem Prager Olšany-Friedhof schließlich wurde 1973 aufgelöst, weil dort immer wieder Menschen zusammenkamen und Blumen niederlegten. Jahrzehntelang blieb Jan Palach ein Tabu, erinnerte sich sein Bruder Jiří Palach im Jahr 2009:
„Als meine älteste Tochter auf die Wirtschaftsschule in Bor kam, mussten sich die Schüler bei ihrem Lehrer vorstellen. Sie sagte also, sie heiße Palachová, und er fragte, ob sie verwandt sei mit Jan Palach. Sie sagte ihm, ihr Vater sei sein Bruder gewesen. Und der Lehrer begann, in der Klasse etwas über Jan Palach zu erzählen. Das hat mich sehr gefreut, denn das war sehr mutig zu dieser Zeit.“Erst 20 Jahre nach seiner Tat gelangte Jan Palach langsam wieder zurück ins öffentliche Bewusstsein der Tschechoslowakei. Die Demonstrationen während der sogenannten „Palach-Woche“ 1989 bildeten einen Auftakt zur Samtenen Revolution. Erst danach unter Staatspräsident Havel wurde Jan Palach vollständig rehabilitiert.
In Prag wird Jan Palach in dieser Woche mit Ausstellungen, Debatten, Konzerten und einer Konferenz gedacht. Eine Übersicht findet sich unter www.janpalach.cz. Für den Beitrag wurden Zeitzeugenaufnahmen der Organisation pametnaroda.cz verwendet – wir danken für die freundliche Genehmigung.