Ludvík Aškenazy - vom Kriegsreporter zum Kinderbuchautor

Ludvík Aškenazy

Ende Februar strahlte der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) das Kinder-Hörspiel „Milena“ über zwei böhmische Hitzköpfe aus: über den Müller Haferflocke und den Fischer Karpfenflosse. Es war nicht das erste Mal im deutschen Radio, aber es geschah aus aktuellem Anlass. Am 24. Februar wäre der Autor des Hörspiels, Ludvík Aškenazy, 90 Jahre alt geworden. Aškenazy wurde bis Ende der 1960er Jahre in der Tschechoslowakei viel gelesen, doch anschließend war der Autor vom kommunistischen Regime für zwei Jahrzehnte verboten. Ludvík Aškenazy ist am 18. März 1986, also vor 25 Jahren gestorben.

„Ich bin ein zufrieden aussehender Pykniker, ein bisschen Sonntagskind, und ich kann auch gute Soßen zubereiten. Es gibt Menschen, die glauben, dass ich die Lebenskunst beherrsche. Sie sagen zu mir: ´Du hast es gut!´ Auf Schritt und Tritt bleibe ich bei jemandem stehen. Man schaut sich dabei mit einem Lächeln gut genährter Kinder an. Die Straßenbahnen klingeln, der städtische Rundfunk spielt laut und wir gehen aneinander vorbei wie glückliche Pilzesammler, die einen Steinpilz im Wald voller wunderschöner Giftpilze suchen.“

So schrieb Ludvík Aškenazy, Prosaiker, Dramatiker, Drehbuch- und Hörspielautor, Journalist und Übersetzer über sich selbst im Buch „Schwarze Schatulle“. Geboren wurde er als Sohn einer polnischen Mutter und eines tschechischen Vaters am 24. Februar 1921 in Český Těšín / Teschen an der mährisch-schlesisch-südpolnischen Grenze. Ludvík Aškenazy wurde als tschechoslowakischer Staatsbürger ins Geburtsregister eingetragen. Etwas später führte ihn das Schicksal nach Stanislaw - hinter Lemberg das zweitgrößte Zentrum des damaligen Galiziens. An der Lemberger Universität begann er slawische Philologie zu studieren. Dann brach aber der Zweite Weltkrieg aus und Aškenazy trat 1942 als Freiwilliger in die Tschechoslowakische Auslandsarmee ein, die in der Sowjetunion gegründet wurde. Mit ihr nahm er auch an Frontkämpfen teil.

Leonie Mann  (rechts). Foto: Deutsches Bundesarchiv
Nach Kriegsende lernt Ludvík Aškenazy in Prag im Frühjahr 1945 Leonie Mann kennen, die Tochter des deutschen Schriftstellers Heinrich Mann aus erster Ehe mit der tschechischen Schauspielerin Marie Kánová. Leonie und ihre Mutter waren im Mai 1945 aus Terezín / Teresienstadt nach Prag zurückgekehrt. Zwischen Goschi und Aschke, wie Leonie Mann und Ludvík Aškenazy vertraut im Familien- und Mitarbeiterkreis genannt wurden, soll es Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.

Aškenazys berufliche Laufbahn beginnt 1945 als außenpolitischer Kommentator des Tschechoslowakischen Rundfunks. Drei Jahre später wird er nach Israel geschickt, um von dort über den ersten Arabisch-Israelischen Krieg zu berichten. Bald folgten weitere Auslandsreisen nach Polen, Indien, Deutschland oder in die USA, über die er Reportagen schrieb. Aškenazy war seit 1945 Mitglied der kommunistischen Partei. Kein Fanatiker zwar, doch dem Inhalt seiner ersten Bücher war seine politische Orientierung anzumerken. Als man ihm später vorwarf, seine politischen Positionen nach der Konjunkturlage gewechselt zu haben, wehrte er sich indirekt in seiner Erzählung „Das Ei“ – etwas vieldeutig:

Ludvík Aškenazy: „Das Ei“
„In jedem Leben gibt es Helden und Statisten. Ihre wahre Rolle im Spiel zu kennen ist uns nicht vorbehalten. Derjenige, den wir für einen Helden halten, ist oft nur ein Statist…“

Um die Mitte der 1950er Jahre ist allerdings eine deutliche Wende im Schaffen von Ludvík Aškenazy zu merken. Der Historiker Eduard Burget dazu im Tschechischen Rundfunk:

„Die Umkehr manifestierte sich in seinen Büchern, die 1955 erschienen sind, als Aškenazy die Welt der Kinder und ihrer Phantasie entdeckt hatte. Vielleicht wollte er auch plagenden Kriegserinnerungen entkommen. Übrigens, sein ganzes Werk ist mehr oder weniger von seinen Kriegserlebnissen geprägt. Seien es seine Erzählungen für Erwachsene oder Märchen für Kinder. Aškenazys Bücher haben sich seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre infolge dieses Themenwechsels zunehmender Beliebtheit erfreut. Es kann sein, dass viele Leser es bereits satt waren, die Aufbauprosa zu lesen, und sich stattdessen nach mehr Phantasie und Poesie sehnten. Beides war damals bei Aškenazy zu finden.“

Ludvík Aškenazy: „Die Liebenden aus der Kiste“
Aškenazy wird allgemein als Meister der poetischen Details bezeichnet. In der Welt, die er in seinen Erzählbänden für Jung und Alt zeichnete, leben das Heitere und das Traurige sowie Jung und Alt miteinander in einer natürlichen Symbiose. Eduard Burget:

„1955 konnte er den ersten deutlichen Erfolg ernten. Sein Buch ´Kinderetüden´ mit Kurzgeschichten über einen kleinen Jungen, für den sein Sohn Jindřich als Vorbild gedient hat, fand ein breites Publikum und begründete auch seine Popularität. Die positive Resonanz motivierte ihn zur Entscheidung, freischaffender Schriftsteller zu werden und außer Erzählungen auch Theaterstücke, Hörspiele und anderes zu schreiben.“

Innerhalb kurzer Zeit erschienen weitere Erzählbände von Aškenazy wie zum Beispiel „Das Hundeleben“, „Das Ei“ oder „Die Liebenden aus der Kiste“. Mitte der 1960er Jahre gilt Aškenazy bereits vor allem als Autor meisterhaft geschriebener lyrischer Erzählungen. In diesen zeichnet er die Welt seiner Träume, die im krassen Unterschied zu der ihn umgebenden real existierenden Welt steht. Der renommierte Literaturkritiker Milan Jungmann schrieb 1963:

Milan Jungmann
„Das Schreiben ist für Aškenazy eine Rettungstat, mit der er sich aus Schmerz und Machtlosigkeit erkauft, die den heutigen Menschen zu überschütten drohen. Ein Schriftsteller zu sein bedeutet für ihn, aus den Zeitgenossen stets das Bedürfnis der Reinheit und Schönheit herauszukitzeln. Er spült seine Augen mit reinem Wasser aus Traum und Phantasie, um im Rauch der Kriege und Drohungen des Atomtodes nicht die hell leuchtende Märchenwelt, in der die menschliche Glückseligkeit beheimatet ist, aus der Sicht zu verlieren.“

Aškenazys Literaturschaffen für Erwachsene lässt im Lauf der 1960er Jahre nach, und er wendet sich zunehmend der Kinderprosa zu. Außerdem schreibt er auch Dutzende Hörspiele, die im In- und Ausland gesendet wurden - bei der BBC, in Kanada, Südafrika oder in Deutschland. 1963 wurde sein Hörspiel „Das Gespräch ging auf Ihre Rechnung“ als erstes tschechoslowakisches Hörspiel überhaupt mit dem prestigeträchtigen „Prix di Italia“ ausgezeichnet. Erfolgreich war er auch im Kino. Beim Filmfestival in Cannes 1966 erhielt der tschechoslowakische Film „Der Schrei“ von Regisseur Jaromil Jireš den Drehbuchpreis. Drehbuchautor war Ludvík Aškenazy.

Aus dem  Film „Der Schrei“
Am 3. Februar 1965 strahlte der Tschechoslowakische Rundfunk ein Feuilleton von ihm in der beliebten Sendereihe „Lebendige Worte“ aus, in der bekannte Persönlichkeiten das Radiopublikum ansprachen. Aškenazy bekannte sich dazu, dass es ihm schwer gefallen sei, „richtige lebendige Worte“ zu finden.

„Lebendige Worte sind kostbare Worte. Von toten Worten gibt es wesentlich mehr, und man hat sich sehr daran gewöhnt. Manchmal ist von lebendigen Worten die Rede, doch viele Menschen nehmen keine Notiz davon…“

In seinem Feuilleton erzählte Aškenazy von einem Erlebnis mit einem seiner kleinen Söhne. Der fragte ihn, ob „ježíšek“, das Christkind also, der Sohn von Jesus Christus war. Das brachte den Vater und Schriftsteller zu einer offen formulierten Überlegung, die kurz zuvor in der atheistischen Tschechoslowakei noch schwerlich hätte veröffentlicht werden können.

„Ich bin mir bewusst geworden, dass ich in einem Staat lebe, der viele Kirchenfeste aus dem Kalender gestrichen hat, und dass unsere Kinder kaum noch wissen, wer Jesus Christus war. Sie wissen ja nicht, dass Christus Geschäftsleute vertrieb, obwohl er das Wesen eines Lammes hatte und sehr ungern Menschen vertrieb, und auch dass er - falls es ihn gab - sehr arm war. So ein Typ eines altertümlichen Sozialisten, der zu sagen pflegte: ´Lasset die Kinder zu mir kommen´ oder: ´Selig sind, die da geistig arm sind´ und: ´Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein…“

Ludvík Aškenazy: „Wo die Füchse Blockflöte spielen
Aškenazy hat zweifelsohne einen inneren Reifeprozess erlebt, ohne auf seine linksgerichtete politische Orientierung zu verzichten. Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968 in die damalige ČSSR emigrierte er in die Bundesrepublik Deutschland. Bis 1976 lebte er dann mit seiner Frau in München und konnte schnell, auch sprachlich, festen Fuß als Schriftsteller fassen. Er schrieb eine Reihe von Hörspielen für die ARD-Sender, die er oft auch selbst inszenierte. Nach seinen Drehbüchern entstanden einige Fernsehspiele für den Bayerischen Rundfunk und das ZDF. Ebenso bekannt wurde Aškenazy als Autor von Kinderbüchern, die hierzulande erst nach der Wende von 1989 ins Tschechische übersetzt werden konnten. Für den Titel „Wo die Füchse Blockflöte spielen“ wurde Aškenazy im Jahr 1977 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet.

Filmplakat zum Film „Der Schrei“
Ludvík Aškenazy starb am 18. März 1986 in Bozen, wo er sich mit seiner Frau, Leonie Mann-Askenazy, zehn Jahre zuvor niedergelassen hatte. Die Fragen, die er als Drehbuchautor im erwähnten Film „Der Schrei“ im Prolog gestellt hat, sind nach wie vor aktuell:

„Der Mensch kommt zur Welt und beginnt gleich zu schreien. Niemand versteht ihn, aber allen hat er Freude gemacht. ´Hier bin ich´, schreit der Mensch, ´ich bin leben gekommen. Bin ich hier richtig? Wurde ich guten Menschen geboren? Im anständigen Jahrhundert? Führe ich zufällig nicht einen Krieg? Hat man hier das Sklaventum abgeschafft? Habe ich die richtige Hautfarbe? Die richtige Herkunft? Darf ich atmen? Vielen Dank also!´“