Nachrichten Donnerstag, 22. Januar, 1998

Nachrichten 22.1.98

Herzlich willkommen bei diesem Programm von Radio Prag, am Mikrofon begrüsst Sie Rudi Hermann. Wie immer beginnen wir mit Nachrichten:

Havel-Regierung

Der tschechische Präsident Vaclav Havel hat sich mit Ministerpräsident Josef Tosovsky, Senatspräsident Petr Pithart und Vertretern von fünf massgeblichen parlamentarischen Gruppierungen auf der Prager Burg getroffen, um in der Frage des Vertrauens für die Regierung Tosovsky einen Konsens zu finden. Wie bekannt, stimmt das Parlament am kommenden Dienstag darüber ab, ob es der neuen Regierung das Vertrauen aussprechen will. Während die Abgeordneten der Christlichdemokraten, der Demokratischen Bürgerallianz und der neuen Freiheitsunion die Regierung unterstützen, haben die Demokratische Bürgerpartei ODS und die Sozialdemokraten Vorbehalte. Die ODS gibt zu bedenken, dass sie bei der Regierungsbildung übergangen worden sei und dass sie ein Kabinett, das sie benachteilige, nicht unterstützen werde. Die Sozialdemokraten bemängeln das von der Regierung angestrebte Tempo bei der Deregulierung der Energiepreise und Wohnungsmieten. Sie vertreten den Standpunkt, eine Regierung mit nur halbjähriger Amtsdauer habe keine Berechtigung zu politischen Schritten von derartiger Bedeutung. Die Gespräche bei Präsident Havel kamen in diesen Punkten laut der Nachrichtenagentur CTK zu keinem Durchbruch. Die Möglichkeit, dass die Sozialdemokraten die Regierung trotzdem unterstützen, ist allerdings immer noch offen, da sonst der von ihnen bevorzugte Termin für Neuwahlen im Juni gefährdet sein könnte.

Regierung-Popularität

Während die Regierung Tosovsky im Parlament, wenn überhaupt, nur mit Mühe eine Mehrheit finden dürfte, ist das Vertrauen, das ihr die Bevölkerung entgegenbringt, deutlich grösser. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts STEM geniesst die neue, vom Parlament noch nicht bestätigte Regierung die Unterstützung von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung. Ein Zehntel der befragten Personen äusserte volles Vertrauen ins neue Kabinett, weitere 58 % meinte, der Regierung mit gewissen Abstrichen zu vertrauen. Ministerpräsident Tosovsky steht mit 84 % Unterstützung sehr hoch im Kurs, und 79 % der Befragten äusserten die Ansicht, er werde sein Amt besser ausüben als sein Vorgänger Vaclav Klaus.

Minister-Parlament

Einige Minister der neuen Regierung von Ministerpräsident Tosovsky haben sich im Parlament den zuständigen Ausschüssen für ihr Ressort vorgestellt. Verteidigungsminister Michal Lobkowicz von der Freiheitsunion sowie der christlichdemokratische Innenminister Cyril Svoboda traten vor den Ausschuss für Verteidigung und Sicherheit. Auch der neue Kulturminister Martin Stropnicky traf erstmals die Abgeordneten des entsprechenden Parlamentsausschusses.

Freiheitsunion-Registrierung

Die Freiheitsunion, die sich am vergangenen Wochenende in Litomysl vorwiegend aus Politikern gebildet hat, die aus der Demokratischen Bürgerpartei ODS ausgetreten sind, ist vom Innenministerium als politische Partei registriert worden. Dies teilte Senator Vladimir Zeman mit. Der Registrierungsprozess dauerte dabei nur zwei Tage, denn erst am Dienstag hatte Zeman die notwendigen Unterlagen einschliesslich von 1800 Unterschriften von Bürgern eingereicht. Die Freiheitsunion hat erst vorläufige Statuten und muss gemäss einer Auflage des Innenministeriums innerhalb von 6 Monaten ihren Gründungskongress abhalten, an welchem die Organe der Partei gewählt werden. Wie Zeman mitteilte, gehe er davon aus, dass die Gründungsversammlung am 21. Februar stattfinden werde.

Sladek-Prozess

Voraussichtlich morgen Freitag wird das Urteil im Prozess gegen den Republikanerführer Miroslav Sladek fallen, der seit zwei Wochen in Untersuchungshaft ist. Sladek werden volksverhetzende Äusserungen zur Last gelegt, die er im Rahmen eines Auftritts anlässlich der Unterzeichnung der tschechisch- deutschen Versöhnungsdeklaration geäussert habe. Der Gefängnisaufenthalt Sladeks hinderte den Republikanerführer, am Dienstag an der Wahl des tschechischen Präsidenten teilzunehmen. Wie bekannt, hat seine Partei deshalb angekündigt, die Wahl vor Verfassungsgericht anzufechten.

CR-Deutschland-Zukunftsfonds

Der stellvertretende Aussenminister Jan Winkler hat vor den Mitgliedern des auswärtigen Ausschusses der tschechischen Abgeordnetenkammer mitgeteilt, dass die ersten Entschädigungen aus dem tschechisch-deutschen Zukunftsfonds schon im Frühjahr zur Auszahlung gelangen könnten. Es würde sich dabei um Abfindungen für Personen handeln, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt im Zweiten Weltkrieg geworden waren. Der Fonds, der während 12 bis 14 Jahren aktiv sein soll, wird seitens der Bundesrepublik Deutschland mit 140 Millionen D-Mark gespeist, was rund 2.8 Milliarden Kronen entspricht. Der tschechische Beitrag beläuft sich auf 440 Millionen Kronen.

Soweit die Nachrichten.