Nachrichten Samstag, 21. Februar, 1998
Tschechien-Georgien-UNO
Der tschechischen Präsident Václav Havel hat laut Nachrichtenagentur ctk am Freitag den georgischen Präsidenten Edvard Schewarnadse telefonisch aufgefordert, die Befreiungsaktion für die am Donnerstag entführten 4 UNO-Beobachter, unter denen auch sich auch ein Tscheche befindet, in Absprache mit der UNO und ohne Gefährdung menschlichen Lebens durchzuführen. Die Entführer gehören zu den Symphatisanten des ehemaligen georgischen Präsidenten Gamsachurdi und fordern die Freilassung aller politischer Gefangener im Zusammenhang mit dem kürzlichen Attentat auf Schewarnadse sowie den Abzug der Militärtechnik um Djichaschkari. Der georgische Präsident versicherte Havel, das Maximum für eine verträgliche Lösung zu tun und kündigte politische Gespräche zwischen Regierung und den Symphatisanten von Gamsachurdi an .
Premier Tosovsky nimmt Rücktrittserklärung an
Der tschechische Premierminister Josef Tosovsky äusserte sich laut ctk zufrieden über die Entscheidung von Präsident Havel, der Rücktrittserklärung von Vizepremier und Umweltminister Jiri Skalicky von der ODA stattzugeben. Skalicky hatte bereits am Dienstag sein Gesuch an Havel adressiert, dieser gab ihm jedoch eine Woche Bedenkzeit. Skalicky entschloss sich am Donnerstag endgültig zu seinem Rücktritt aus sämtlichen Regierungs- und Parteiämtern. Der Rücktritt erfolgte im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre der ODA, der Skalicky vorstand.
ODA-Parteiaustritte von Spitzenfunktionären
Justizministerin Vlasta Parkanova - ebenfalls von der ODA - gab am Freitag mit kritischen Worten vor allem an den ehemaligen Industrie- und Handelsminister Vladimir Dlouhy sowie an den in den jüngsten Skandal verwickelten Toser ihren Entschluss bekannt, aus der ODA auszutreten. Ihr folgten inzwischen weitere ODA- Spitzenfunktionäre. Laut Samstagsausgabe der Tageszeitung Pravo haben auch Skalicky, der amtierende Industrie- und Handelsminister Karel Kühnl, Exminister und Gründungsmitglied Pavel Bratinka ihren Parteiaustritt angekündigt.
Zentralversammlung der ODA
Am Freitag tagte in Prag die Zentralversammlung der ODA, auf der nach dem Rücktritt von Parteichef Skalicky der bisherige Vizechef und Abgeordnete Daniel Kroupa mit dem vorläufigen Parteivorsitz betraut wurde, über den auf der gesamtstaatlichen Konferenz endgültig entschieden werden soll. Kroupa forderte sowohl Toser als auch Dlouhy auf, ihre Parteimitgliedschaft bis zur Klärung des Finanzskandals ruhen zu lassen. Exjustizminister und Parteichef Jan Kalvoda, der zum fraglichen Zeitraum zwischen 1995 und 1996 im Zusammenhang mit den Sponsorengeldern noch im Amt war, weiss angeblich nichts Näheres über die Identität der Sponsoren.
Prager ODA-Regionalparteisitzung
Einen Tag nach der Zentralversammlung der ODA fand am Samstag die Sitzung der Prager Zentrale statt, die den grössten Anteil der ODA-Mitglieder stellt. Vizeparteichef und Senator Michael Zantovsky warnte auf dieser vor Versuchen von aussen, die Partei zu liquidieren. Er appelierte, mit einem offensiven Wahlprogramm, dass auch potentielle neue Mitglieder anspreche, vor die Öffentlichkeit zu treten. Der mit dem Parteivorsitz beauftragte Kroupa rief die Prager Organisation zur Bildung einer neuen, von den alten Skandalen gereinigten Partei auf, die den Weg ins Parlament mit neuen Gesichtern antreten könne.
Roma-Begräbnis-Havlová Kranzniederlegung
Am Freitag fand die Beerdigung der am vergangenen Sonntag von 3 Skinheads ermordeten Roma-Frau und Mutter von sechs Kindern statt. Am Begräbnis nahmen neben zahlreichen Verwandten und Freunden der Ermordeten aus Tschechien und der Slowakei auch Vertreter des öffentlichen Lebens teil. Dagmar Havlova, die Frau des tschechischen Präsidenten, legte einen Kranz am Grab nieder. Minister Vladimir Mlynar, zuständig für nationale Minderheiten, erklärte, dass er sich angesichts des rassistischen Tatmotivs schäme, ein Weisser zu sein. Er initiierte ausserdem die Gründung eines Hilfskontos für die hinterbliebenen Kinder durch 60 Studenten der Akademie für Sozialrecht der Stiftung Dr.Rajek Dolecek, die sich auf ihre Arbeit als Sozialhelfer für die Roma- Minderheit vorbereiten.
Freiheitsunion-Ruml-Lux
Die aus der ODS hervorgegangene neue Partei "Freiheitsunion" hat auf ihrer republiksweiten Tagung in Nymburk zur Vorsitzendenwahl die Wahlkoalition mit anderen Parteien ausgeschlossen. Man sei jedoch zur Zusammenarbeit mit allen Parteien der Rechten sowohl vor als auch nach den Wahlen bereit und rufe ausserdem zur Versöhnung zwischen den alten - aus der ODS stammenden - und den neuen Mitgliedern der "Freiheitsunion" auf. Das Verhältnis zwischen den sog. Neuen und Alten sei jetzt 2 zu 3. Die Freiheitsunion habe Ruml zufolge inzwischen über 2400 Mitglieder. Unter den Gästen waren neben ausländischen Diplomaten auch der Chef der Christdemokraten Josef Lux sowie der Chef der kleinen rechten Partei Demokratische Union sowie der Vizechef der ODS, Miroslav Benes, vertreten. Christdemokrat Lux, der seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der US erklärte, meinte in Nymburk, dass die vier Säulen des neuen tschechischen Staates der Respekt vor den Werten der europäischen Traditionen, Kultur und Zivilisation sowie die Integration in die Nordatlantischen Strukturen seien.
Es waren jedoch die Christdemokraten, die, erklärte Nato- Befürworter, mit ihren Gegenstimmen eine Verkürzung der Behandlung der Regierungsvorlage zum Nato-Beitritt in den Abgeordnetenausschüssen von 60 auf 40 Tage verhindert hatten, und damit in den Verdacht gerieten, im Vorfeld der Wahlen mit den Sozialdemokraten und deren Wunsch nach einem Referendum zu kokettieren. Der Nato-Beitritt war auch eine erklärte Priorität der Erklärung der Ubergangsregierung Tosovskys, in der die Christdemokraten vertreten sind.
Olympia-Nagano
Nun kurz aus dem Olympiadorf in Nagano:
Die tschechischen Eishockey-Spieler ruhen sich laut Nachrichtenagentur ctk nach ihrem Sieg über Kanada aus und bereiten sich auch nicht durch ein spezielles Training auf das Finale mit Russland am Sonntag vor. Wie Torwart Hásek nach einem nur 45-minütigem Trainig in Bezug auf den russischen Torschützen Pavel Bure - genannt "Russische Rakete" - meinte - bringe ihn dieser nicht aus dem Gleichgewicht. Der tschechische Verteidiger Jaroslav Spacek dagegen nimmt den schnellen Russen ernst und meinte - er werde einen Schal umtun, damit er sich nicht erkälte, wenn dieser beim Vorbeifahren starken Wind erzeuge. Trainer Lener entschuldigte beim Vorfinaletrainig auch Verteidiger Svoboda, dessen Ellbogenverletzung nach dem Kampf mit Kanada neue Beschwerden verursachte, und nach nur zehnminütigem Einlaufen auch Eisstar Jaromir Jágr. Wie der Teamarzt Ziegelbauer jedoch bestätigte, werden sowohl Svoboda als auch Jagr beim Finalkampf am Sonntag dabei sein. Man werde laut Trainer Lener am Samstag nur noch beraten, welche taktische Variante zu wählen sei und den Spielern in Erinnerung rufen, um welchen Preis gespielt wird. Jiri Slegr zufolge, eine weitere Stütze der tschechischen Mannschaft, sei es wichtig, nicht den Fehler der Finnen zu wiederholen und den Russen Bure nicht zum Zuge kommen zu lassen.
Slowakische Rezension zum Buch des tschechischen Aussenministers
Unter dem Titel "Möglicherweise vorzeitige Erinnerungen an die Entwicklung nach dem November" rezensiert das slowakische Tagesblatt Národná obrada das Buch des amtierenden tschechischen Aussenminsters Jaroslav Sedivy "Der Czernín-Palast im Jahre Null". Wie das Bratislaver Blatt schreibt, sei ersichtlich, dass es Sediviy war, der die Ereignisse in der Zeit der Transformation der Aussenpolitik unter Dienstbier und auch den entscheidenden Beitrag zum erfolgreichen Abzug der Sowjettrupen initiiert habe. Gleichermassen wird im Artikel auf Passagen zur Vereinigung Deutschland verwiesen und den Plan Dienstbiers, Teile der Moskau zur Verfügung gestellten Gelder für Programme zugunsten der einstigen Satellitenstaaten zu verwenden, dessen Urheber ebenfalls der derzeitige tschechische Chefdiplomat sein soll.
Kurz zu den Wetteraussichten: Am Sonntag kommt es zur Abkühlung der frühlingshaften Temperaturen. Es ist bedeckt bis bewölkt, vereinzelt ist mit Regenschauern - im Riesengebirge mit Schnee zu rechnen. Die Nachttemperaturen sinken auf Null Grad, die Tagestemperaturen steigen auf 12 Grad an.
Das waren die Nachrichten. Hören Sie zu Beginn unseres Wochenendprogramms nun ein weiteres Kapitel aus der tschechischen Geschichte. Die Touristiksprechstunde beendet das Programm.