NATO-Gipfel in Prag: Das Großereignis naht
Nicht nur für die tschechische Hauptstadt, sondern für die gesamte Weltpolitik wird der NATO-Gipfel, der am 21. und 22. November in Prag stattfindet, ein Großereignis sein. Und genau diese Tatsache ist es, die den vielfältigen Debatten über dessen Ablauf, dessen Ziele und dessen internationale Bedeutung ein eigentümliches Ungleichgewicht verleiht. Denn einerseits bleiben Veranstaltungen von solcher Größenordnung natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die städtische Infrastruktur der Gastgeber-Metropole, andererseits aber ist da auch noch jener Diskurs, der nichts geringeres zum Inhalt hat als die Gestaltung zukünftiger globaler Sicherheitsstrukturen. Gerald Schubert fasst nun, im letzten "Schauplatz" vor dem Gipfel, noch einmal die wichtigsten Aspekte der Vorbereitung sowie der Rolle Tschechiens in der NATO zusammen:
Beginnen wir aber mit der internationalen Politik: Worüber genau werden die Vertreter der NATO-Staaten in Prag verhandeln? Über diese Frage, und über die Rolle und Verantwortung der NATO nach ihrer Erweiterung wurde am vergangenen Donnerstag auf der Prager Burg debattiert, und zwar im Rahmen der von Vaclav Havel ins Leben gerufenen Stiftung "Forum 2000", die dieses Jahr unter dem Motto "bridging global gaps", also "Brücken über globale Klüfte" steht. Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren unter anderem Jiri Sedivy, er ist Politikwissenschaftler und Direktor des Prager "Instituts für internationale Beziehungen", Petr Uhl, tschechischer Journalist und Bürgerrechtskämpfer, Miloslav Ransdorf, kommunistischer Parlamentsabgeordneter, Vertreter der NATO und der USA, sowie Ondrej Slacalek, ein junger Prager Student, der ein anarchistisches Magazin herausgibt und sich an den Vorbereitungen zu den Protesten gegen den NATO-Gipfel beteiligt. Der Politikwissenschaftler Sedivy umriss die Aufgaben des Gipfels und die momentane Rolle des nordatlantischen Bündnisses dabei wie folgt:
"Es scheint, als habe die NATO in den neunziger Jahren in der Idee einer vielschichtigen Erweiterung den neuen Sinn ihrer Existenz gefunden. Sie erweitert ihr eigenes Rollenbild, und sie erweitert das Spektrum ihrer militärischen Ausstattung. Sie erweitert auch den territorialen Wirkungsbereich, in dem sie operiert: Seit Mitte der neunziger Jahre geht sie über das ursprüngliche, vertraglich festgelegte Territorium hinaus und ist etwa am Balkan im Einsatz. Und sie erweitert natürlich auch die Anzahl ihrer Mitglieder. All dies zieht in einer so umfangreichen und heterogenen Organisation selbstverständlich Managementprobleme nach sich. Die Nordatlantische Allianz kann - im Unterschied zur Europäischen Union - eine solch vielschichtige Erweiterung nicht durch eine Vertiefung der Integration ausbalancieren. Ich glaube, das ist die Grundfrage, die auf dem Prager Gipfeltreffen behandelt werden wird. Außer natürlich der allgemeinen Bedeutung militärischer Mittel im Kampf gegen den Terrorismus. Denn obwohl eine Integration wie etwa im Rahmen der EU, wo ein Teil der Souveränität auf eine übergeordnete Struktur übertragen wird, im Falle der NATO nicht möglich ist, glaube ich dennoch, dass es auch hier einige integrative Instrumente zur Stärkung der Homogenität gibt. Und genau darüber wird man auf dem Prager Gipfel verhandeln."
Als Beispiele nannte Sedivy Fragen wie militärische Aufgabenteilung bzw. die Spezialisierung einzelner Staaten sowie die Bildung multinationaler Einheiten. Wenn Sedivy also in diesem Zusammenhang das Wort "Integration" verwendet hat, dann doch eher im Sinn einer Verzahnung militärischer Entscheidungsstrukturen. Dass vermutlich sieben Staaten, nämlich die Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien und Rumänien auf dem Gipfel offiziell zum NATO-Beitritt eingeladen werden, das wird letztlich wohl einen der spektakulärsten und griffigsten Aspekte dieser Veranstaltung ausmachen. Die genannten Strukturreformen aber werden einen mindestens ebenso wichtigen Teil der Verhandlungen bilden. Und letztlich ist da noch die Tatsache, dass die NATO sich neuerlich in einer Art Sinnkrise befindet. Denn spätestens seit dem 11. September des vorigen Jahres ist klar, dass sich die Bedrohungsszenarien in der Welt geändert haben, und dass dies ein neues Selbstbild des nordatlantischen Bündnisses erfordert. Auch darüber wird in Prag zu sprechen sein.
Kommen wir nun auf die nationale Ebene und konzentrieren wir uns auf die Frage, welche Rolle Tschechien in der NATO, und welche Rolle die NATO für Tschechien spielt. Die letzte Erweiterungswelle im Jahr 1999 war für das Militärbündnis bestimmt von großer strategischer und auch symbolischer Bedeutung. Immerhin wurden damals beim Gipfel in Washington mit Tschechien, Ungarn und Polen drei ehemalige Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes in das euroatlantische Verteidigungsbündnis aufgenommen. Ein nicht unumstrittener, in jedem Fall aber historischer Schritt, der noch wenige Jahre zuvor kaum denkbar gewesen wäre. Und für die Tschechische Republik ihrerseits, oder zumindest für große Teile der tschechischen Öffentlichkeit, bedeute jener Schritt damals so etwas wie eine Absicherung der politischen Neuorientierung des Landes, eine 180-Grad-Wende sozusagen: Man kehrte Moskau den Rücken zu und blickte, auf der Suche nach einer neuen Stellung in der Weltgemeinschaft, hoffnungsfroh nach Westen. Sogar Präsident Vaclav Havel, der noch wenige Jahre zuvor den Traum eines blockfreien Europas geträumt hatte, wurde schließlich zum eifrigen Betreiber des NATO-Beitritts seines Landes. Einen ähnlichen Meinungsumschwung vollzogen auch viele andere. Doch gab es dazu freilich auch stets kontroverse Stimmen. Petr Uhl etwa, der Journalist und Unterzeichner der Charta 77, die sich bereits damals gegen beide Militärblöcke, also gegen Warschauer Pakt und NATO gewandt hatte, meinte auf der Konferenz am Donnerstag:
"Seit zwölf Jahren und bis heute halte ich diesen Meinungsumschwung für unglücklich, und die Stärkung und Erweiterung der NATO als Schritt in die falsche Richtung. Ich war daher ein Gegner des NATO-Beitritts Tschechiens. Ich bin durchaus ein Verfechter einer europäischen kollektiven Sicherheit, aber gerade deshalb fürchte ich, dass die Tschechische Mitgliedschaft bei der NATO - und auch die weiterer Länder - die Bildung einer europäischen Armee eher bremsen wird. Das ist die eine Sache, die mich stört. Und dann stört mich noch die Stärkung der Hegemonie der Vereinigten Staaten. Denn nach dem Fall des Eisernen Vorhanges und der Überwindung der bipolaren Welt ist eine Welt entstanden, die doch ein wenig monopolar ist."
Werfen wir zum Abschluss noch einen Blick auf die städtische Infrastruktur Prags, und auf jene Aspekte, die eher mit der wirtschaftlichen Komponente des Gipfels und den umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen zu tun haben. Vor allem letztere standen und stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit tschechischer Medien, und auch wir von Radio Prag haben schon in mehreren Beiträgen über die Vorbereitung der Stadt auf das Großereignis berichtet. Fassen wir kurz zusammen:
Der Gipfel in Zahlen:
46 Staatsoberhäupter und Regierungsvertreter, 2500 Delegierte, 12000 Teilnehmer an diversen Begleitveranstaltungen, 3000 Journalisten. Budget: 800 Millionen Kronen (das sind etwa 26,5 Millionen Euro). 460 Millionen für Sicherheitsmaßnahmen, 340 Millionen teilen sich insgesamt 100 beteiligte Firmen untereinander auf. Erwartet werden außerdem mindestens 3000 Demonstranten, und denen werden 12000 Polizisten gegenüberstehen.
Schon seit Monaten ist davon die Rede, dass Prag während des Gipfels einer Festung gleichen und das Leben vieler Bürger beträchtlich erschwert sein wird. Andererseits weist man aber schon seit langem auf die Umwegrentabilität für die Wirtschaft und den Imagegewinn für Prag hin. Und nicht zuletzt will sich Prag nach den Überschwemmungen vom August wieder als Stadt präsentieren, die nicht nur im Zusammenhang mit Katastrophen-Schlagzeilen auf den Fernsehbildschirmen der ganzen Welt erscheint. Dafür hat man - zumindest laut Innenminister Stanislav Gross - das bestmögliche gegeben:
"Ich habe das Gefühl, und das sage ich mit reinem Gewissen, dass man nicht mehr für die Vorbereitung hätte tun können."