Networking bei Nachtmenschen: Jan Koukal und das Prager Haus in Brüssel
In der vorigen Ausgabe unserer Sendereihe "Heute am Mikrophon" konnten Sie ein Gespräch mit dem tschechischen EU-Kommissar Vladimír Spidla hören. Nun lade ich Sie ein, mit mir den Besuchsreigen durch Brüssel fortzusetzen. Wir sind diesmal zu Gast bei Jan Koukal, dem Direktor des so genannten Prager Hauses in Brüssel:
"Wir befinden uns hier in einem Haus aus dem Jahr 1839, das die Stadt Prag vor etwa drei Jahren gekauft und anschließend renoviert hat. Es liegt auf dem Ambiorix-Platz, der vor 200 Jahren der zweitbedeutendste Platz in Brüssel war. Heute gehört er zum Verwaltungsviertel der Europäischen Union. Die Lage hier erschien offenbar noch vielen anderen Städten und Regionen günstig. In unmittelbarer Nähe sind glaube ich sechs verschiedene Vertretungen aus Deutschland, gleich gegenüber ist das Skandinavische Haus, jetzt soll noch die kroatische Botschaft hierher kommen. Die Dichte an solchen Vertretungen ist hier also sehr hoch, und so entsteht ein homogenes, recht angenehmes Arbeitsklima. Wenn wir etwa gemeinsam Seminare vorbereiten, dann gehen wir nur über die Straße, um uns zu treffen. Und das ist natürlich sehr vorteilhaft."
Welche Aufgaben hat nun das Prager Haus in Brüssel konkret? Direktor Jan Koukal:
"Das Prager Haus ist sicher keine 'Botschaft'. Es gibt hier bereits drei tschechische Botschaften - also bei der EU, bei der NATO und in Belgien - und das ist wirklich genug. Aber wir sind die Repräsentanz der Hauptstadt Prag. Und weil die meisten tschechischen Regionen hier noch keine selbstständigen Vertretungen haben, helfen wir auch ihnen bei der Vorbereitung von Verhandlungen, beim Zusammenstellen von Unterlagen usw. Wir versuchen auch, eine Art 'Haus der böhmischen und mährischen Regionen' zu etablieren, vielleicht sogar gleich hier, ebenfalls auf diesem Platz. Wenn Sie also das nächste Mal kommen, dann werden wir vielleicht schon über das Haus der Regionen neben dem Prager Haus sprechen können.Aber zurück zu unserem relativ großen Aufgabenbereich: Wir unterstützen Kommunal- und Regionalpolitiker, die hier regelmäßig europäische Institutionen aufsuchen, und bereiten für sie verschiedene Materialien vor. Einer unserer Mitarbeiter beschäftigt sich darüber hinaus mit verschiedenen EU-Fonds. Aber der größte Teil der Arbeit besteht im Organisieren von Seminaren und Weiterbildungsprogrammen, gemeinsam mit anderen, auch nicht-tschechischen Regionen. So veranstalten wir zum Beispiel mit skandinavischen, britischen oder deutschen Regionen viele gemeinsame Aktivitäten. Dadurch betreiben wir natürlich auch Networking und können später auf unsere guten Kontakte bauen, wenn wir diverse Projekte durchsetzten wollen. Die Menschen, die bei uns Vorträge halten, arbeiten oft in den EU-Generaldirektionen, oder es kommen sogar die Kommissare selbst und sprechen über ihren jeweiligen Fachbereich. So lernen diese Leute auch uns kennen. Also, ich würde das, was wir hier tun, als positiven Lobbyismus bezeichnen."
Seit ungefähr einem halben Jahr ist Koukal nun Direktor des Prager des Hauses. Seither ist es um die Vertretung der tschechischen Hauptstadt in Brüssel wieder ruhiger geworden. Zuvor nämlich hatte das Prager Haus vor allem dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass die Geldflüsse aus der Heimat und die erbrachten Leistungen vor Ort in einem eklatanten Missverhältnis standen. Mit anderen Worten: Ein handfester Finanzskandal lag als dunkler Schatten über dem Haus. Mittlerweile ist dieser weitgehend überwunden, sagt Jan Koukal:
"Ungefähr zu Weihnachten wurde die Causa im Rahmen eines Kontrollberichts abgeschlossen. Ich kann also sagen, dass wir dieses Problem nun hinter uns haben. Aber als ich hierher gekommen bin, da habe ich schon erwartet, dass das Haus, knapp drei Jahre nach seinem Kauf, bereits in einem anderen Zustand sein wird. Dass es für Seminare oder Kulturveranstaltungen entsprechend ausgerüstet ist, dass es Büroräume mit Licht und Heizung gibt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass diese Dinge teilweise immer noch gefehlt haben. Aber ich glaube, jetzt haben wir mit einem neuen Team bessere Zeiten für die Prager Vertretung eingeläutet."
Koukal war früher sechs Jahre lang Oberbürgermeister von Prag. Sein Blick auf Großstädte ist der Blick eines erfahrenen Kommunalpolitikers. Was fällt Koukal als erstes ein, wenn er Prag und seine neue Heimat Brüssel miteinander vergleichen soll?
"Prag hat seinen Genius Loci. Brüssel zweifellos auch. Aber der erste Unterschied, der einem sofort ins Auge sticht, der hat mit dem Denkmalschutz zu tun, mit dem Schutz des kulturellen Erbes und des architektonischen Charakters der Stadt. Da sind wir in Prag sehr streng. Wenn man das mit der relativ großen Willkür in Brüssel vergleicht, dann bin ich aber ganz froh, dass wir strenger sind - obwohl das natürlich damals, für mich als Oberbürgermeister, bei der Durchsetzung von verschiedenen Projekten immer ein Problem war. Eine andere Sache ist die Infrastruktur, vor allem im Bereich des städtischen Verkehrs. Die Großzügigkeit von Brüssel mit seinen vielen Tunnels etc. sorgt dafür, dass die Stadt verkehrsmäßig sehr gut erschlossen ist - trotz des großen administrativen Drucks. Brüssel ist das Zentrum Europas, Autos gibt es hier in unvorstellbarer Menge. Aber das, was hier geschaffen wurde, das gibt es in Prag nicht einmal annähernd. Die Verkehrslösungen in Brüssel muss man einfach bewundern - das muss ich zugeben.
Aber ich bin froh, dass Prag nicht das Zentrum der EU ist und sich seinen Charakter bewahren kann, sofern sich die Stadt vernünftig entwickelt. Von Brüssel kann man das wegen des Drucks der europäischen Verwaltungsorgane leider nicht behaupten. Die Stadt leidet darunter. Wenn Sie in ein Gasthaus gehen wollen, in dem auch Belgier sind, dann müssen Sie jedenfalls aus diesem EU-Viertel hier wegfahren, in irgendeinen anderen Bezirk. Dort merken Sie dann, dass hier sehr angenehme Menschen wohnen, dass hier gut gekocht wird und dass man hier gut leben kann."Verlassen wir also das EU-Viertel, denken wir nicht mehr an Denkmalschutz und Infrastruktur, sprechen wir über die Mentalität der Menschen. Wie nimmt der Prager Jan Koukal seiner Brüsseler Mitbürger wahr?
"Es gibt hier einen anderen Lebensrhythmus. Ich merke etwa, dass die Autos langsamer fahren, dass die Leute rücksichtsvoller sind. Der aggressive Fahrstil, den wir in Prag oft beobachten können, den gibt es hier nur sehr selten. Ich glaube, das spiegelt ein bisschen die Gemütlichkeit der Belgier wider, ihre Fähigkeit, das Leben zu genießen. Sie bleiben auch an Wochenenden gerne in Brüssel, gehen hinaus auf die Straße und beteiligen sich gerne an unterschiedlichen Aktivitäten im öffentlichen Raum. Sie verbringen die Wochenenden auch damit, in andere Städte zu fahren. Sie nehmen sich dort ein Hotel, sehen sich die Stadt an, gehen auf Märkte und so weiter. Die Prager hingegen sind irgendwie hektischer und ständig auf der Flucht vor der Stadt. Tatsache ist auch, dass die Brüsseler länger in den Abend hinein leben als die Prager. Zum Teil liegt das wahrscheinlich an der geographischen Lage: Die Zeitzone ist ja dieselbe, aber nach dem Sonnenstand beträgt der Unterschied doch etwa eine Stunde. Und so sitzen hier die Leute zum Beispiel bis zwei oder drei Uhr früh in verschiedenen Jazzclubs. In Prag ist das nicht üblich."
Die politische Heimat von Jan Koukal ist übrigens die Demokratische Bürgerpartei ODS. Die Wähler der ODS sind laut Umfragen überaus pro-europäisch eingestellt, die Partei selbst gilt als sehr EU-kritisch. Was sagt Jan Koukal zu dieser etwas paradoxen Entwicklung der Partei?
"Manche finden unsere Haltung skeptisch, ich bezeichne sie lieber als vorsichtig. Viele Menschen stimmen uns darin zu. Und unsere Ansicht bedeutet noch lange nicht, dass wir gegen das gesamte Konzept der Europäischen Union sind."