"Neun Tore" - Festival der tschechisch- jüdisch- deutschen Kultur in Prag

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"Neun Tore." Diesen Namen gab der tschechisch-jüdische Schriftsteller Jiri bzw. Georg Mordechaj Langer seinem Buch der chassidischen Erzählungen. Er schrieb sie nieder, nachdem er einige Zeit bei den Chassidim in Galizien gelebt hatte. Nach seiner Rückkehr nach Prag, als er sich endgültig für ein "europäisches" Leben entschieden hatte, blieb ihm der Beiname "Prager Chassid". Den Titel "Neun Tore" haben sich die Initiatoren eines Festivals der tschechisch-jüdisch-deutschen Kultur von Langer ausgeliehen. Das Festival wurde im Jahre 2000 in Prag ins Leben gerufen und findet in diesem Jahr zum dritten Mal statt, und zwar vom 27. Juni bis 3. Juli. Mehr erfahren Sie im nachfolgenden Kultursalon, zu dem wir nun die Tore öffnen.

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Das Festival bekennt sich durch seinen Namen zum jüdischen Schriftsteller Jiri Langer. Der Präsident des Festivals, Arnost Lustig, selbst auch ein Schriftsteller, der zahlreiche Prosawerke über jüdische Schicksale verfasste, beantwortete meine Frage bezüglich dieses Bekenntnisses, folgendermaßen:

"Es ist ein herrliches Buch über herrliche Menschen. Wir haben den Namen übernommen, um uns der Welt anzunähern, die Langer darstellte. Es ist eines der schönsten Bücher, das die tschechische Literatur geboren hat."

Arnost Lustig stand mit an der Wiege des Festivals. Sein eigentlicher Initiator war aber der junge Theatermacher Pavel Chalupa.

"Er spürte, dass es hier eine Lücke gibt. Es gibt zwar die jüdische Gemeinde, verschiedene Kultursektionen, aber etwas so wichtiges, allumarmendes, das mit einem Fuß in der jüdischen, deutschen und tschechischen Welt, und mit dem anderen Fuß in der modernen Welt stehen würde, hat gefehlt. Die Kultur ist eigentlich das emotionale Gedächtnis des Menschen. Die Menschen sterben und in der Kultur besteht ihre einzige Unsterblichkeit."

Der Weg Pavel Chalupas zur Gründung des Festivals war nicht direkt, sondern führte über eine andere Veranstaltung, nämlich ein Festival der Roma-Kultur. Damals machte jemand die Bemerkung, wie es wäre ein jüdisches Festival zu gründen, stieß damit bei Chalupa aber zunächst nicht auf großes Interesse:

"Aber nach einer Woche habe ich mir gesagt, es stimmt doch. Die tschechisch-deutsch-jüdische Kultur ist doch die Grundlage der hiesigen, mitteleuropäischen Kultur. Ich habe mich reingestürzt und sofort angefangen, das Festival "9 Tore" zu organisieren."

Das diesjährige Festival hat zwei Hauptbereiche: den Film und die Musik. Zum wichtigsten Ereignis des Filmteils gehört dabei die tschechische Uraufführung des "Tagebuchs der Anna Frank", eines US-amerikanischen Fernsehfilms von dem Regisseur Robert Dornhelm. Dieser Film, eine Verfilmung der berühmten Tagebucheintragungen eines jüdischen Mädchens aus Amsterdam, ist den Pragern nicht völlig unbekannt. Er wurde nämlich im Frühling letzten Jahres eben in der tschechischen Hauptstadt gedreht und die Prager konnten auf der Moldau Kulissen typischer Amsterdamer Häuser beobachten. Was damals entstanden ist, kann man nun sehen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Festivals ist die Musik. Die Konzerte spielen sich unter freiem Himmel, im Waldstein-Garten auf der Prager Kleinseite ab. Es nehmen daran vor allem jene tschechischen wie ausländischen Künstler teil, die Inspiration für ihr Schaffen in der jüdischen Musik finden. Am Freitag stellte sich dabei die junge tschechische Mezzosopranistin Edita Adlerova vor. Dass sie gerade auf einem Festival der jüdischen Kultur singt, ist kein Zufall.

"Mein Vater wurde in Palästina geboren, wohin meine Großeltern vor dem Faschismus geflüchtet waren. Mein Verhältnis ist daher natürlich sehr persönlich. Die Großeltern waren die einzigen, die weggingen. Sonst hat die ganze Familie hier den Tod gefunden. Sie glaubten nicht, dass es so schlimm sein könnte, und blieben hier. Und das ist für mich ein Memento: Man flüchtet nicht, weil man nicht glaubt, dass sich sein Nachbar auf einmal gegen einen stellen kann, weil er etwa einer Autorität unterliegt. Es ist für mich ein sehr merkwürdiges Gefühl."

Edita Adlerova sang gemeinsam mit dem Tschechischen Klarinetten-Quartett alte sephardische Lieder, d.h. Lieder spanischer Juden aus dem 16. Jahrhundert:

"Jeder Mensch sucht nach seiner Kulturgeschichte. Ich habe dabei eine unglaubliche Menge schöner Musikliteratur entdeckt: unter anderem auch sephardische Lieder. Wir haben diese mit Mitgliedern des Tschechischen Klarinetten-Quartetts bearbeitet. Es ist gewissermaßen spezifisch, denn diese Lieder werden überwiegend mit Saiteninstrumenten gespielt. Ich wollte mich diesen Liedern gar nicht widmen, weil es ein relativ häufiges Repertoire ist, aber dann ist mir aufgefallen, dass es so unterschiedlich ist, dass wir uns entschlossen, diese Lieder zu interpretieren."


Im Rahmen des Festivals wird das Buch "Colette" von Arnost Lustig neu aufgelegt, das die wahre Geschichte eines Mädchens erzählt, das ein Konzentrationslager überlebt hat. Außerdem wird eine neue Publikation des Buchverlags Moravská expedice - Mährische Expedition aus Moravsky Beroun vorgestellt. Den Verleger Petr Anderle habe ich ans Mikrophon gebeten:

"Es handelt sich um einen landeskundlichen Verlag, einen Stammverlag der Bürgervereinigung "Der patriotische Wanderer". Daraus kann man spüren, dass es uns vor allem um den Patriotismus geht, aber keinen Pseudo-Patriotismus, sondern darum, das historische, rechtliche und kulturelle Bewusstsein der Bürger zu wecken. Sie sollen alle Fakten über die Geschichte ihrer Nation objektiv kennen. Aber auch über die Orte, in denen sie leben, insbesondere im Grenzland, d.h. im sog. Sudetenland, das darüber hinaus in Bezug auf die Geschichte Objekt verschiedenster Diskussionen ist."

Das neueste Buch, das im Rahmen des Festivals präsentiert wird, heißt "Spuren des Wanderers Ahasver" und ist der Geschichte der jüdischen Gemeinde in der nordmährischen Region gewidmet.

"Man weiß über die Tätigkeit der Juden in unserer Region seit Anfang des 2. Jahrtausends sehr wenig. Und das, was bekannt ist, wurde leider ziemlich negativ oder überhaupt nicht präsentiert. Der Jude war vielen Menschen als Wucherer und Gastwirt bekannt, und gar nicht als ein Mensch, der im 19. Jahrhundert zum Aufschwung des Handels, des Unternehmens beitrug. Und das möchten wir den Leuten mitteilen. Und dazu auch die traurige Wahrheit, dass als nach 1945 die deutschsprachigen Bewohner vertrieben wurden, auch Juden mitgingen, nur weil sie deutsch sprachen - was nach dem Holocaust äußerst paradox ist."


Wir haben beim Symbol der "Neun Tore" angefangen und wollen damit unsere Sendung auch abschließen. Zu Wort kommt noch einmal der Festivalpräsident Arnost Lustig.

"Neun Tore. Das hat eine Symbolik, weil es sich um neun Tore handelt, die in den Himmel führen. Es widerspricht dem Schriftsteller Kafka, denn er glaubte, dass dort Türsteher sind: Wenn Sie eine Tür öffnen, stoßen Sie auf die zweite - und keiner will jemals zur Erklärung seines eigenen Gesetzes gelangen. Er schreibt es so im "Prozess". Aber die Chassidim sind weit optimistischer. Und interessant ist auch, dass es gerade die Zahl 9 ist. Schon die alten Griechen entdeckten, dass im Meer acht Wellen sind und erst die neunte sie verschluckt. Und Aristoteles sagt, dass die 9 ein Symbol der Symmetrie ist. Das Wort "neun" hat daher eine magische Kraft. Und das Buch "Neun Tore" besitzt alles, was Sie sich von der Literatur wünschen können. Es erzählt von der Erhabenheit eines armen Menschen. Das ist unser Leben, wir führen ein armes Leben, das das Erhabene berührt. Deswegen neun Tore."


Hinzuzufügen bleibt noch, dass das Kulturprogramm von Vorlesungen zu Themen wie Extremismus und Holocaust, aber auch etwa von Workshops im Bereich der Musik und koscheren Küche begleitet wird.