Die letzten Tagen des Lebens sinnerfüllt verbringen: Das Hospizwesen in der Tschechischen Republik
Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, bei der heutigen Ausgabe des Themenkaleidoskops. Heute widmen wir uns einem Thema, dessen theoretische Grundlagen und praktische Umsetzung erst seit etwa zehn Jahren in der tschechischen Gesellschaft Beachtung erfährt: Wir berichten über die Fortschritte, die das Hospizwesen in diesem Land in dieser Zeit machte, und werden zwei Frauen vorstellen, die sich um den Bau von Hospizen in Tschechien besonders eingesetzt haben.
Das Leben beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Eine derart einfache Wahrheit kennt jedes kleine Kind. Dennoch erfahren diese beiden unveränderlichen Bestandteile nicht dieselbe Achtung. Während der Beginn des Lebens - der natürlich ein fröhliches Ereignis ist - oft als ein Wunder gepriesen wird, fällt es dem modernen Menschen oft schwer, den Tod, der nun mal zum Leben dazugehört, zu akzeptieren. Der modernen Medizin gelang es bereits, viele früher unheilbare Krankheiten zu eliminieren, und die immer höhere Lebenserwartung in den Industrieländern lässt uns beinahe an eine baldige Unsterblichkeit zu glauben. Der Tod ist uns unangenehm und wir gewöhnten uns - abgesehen von den Bildern aus Kriegsgebieten und der sogenannten Dritten Welt - an dessen Abwesenheit. Etwa 80 Prozent der Tschechinnen und Tschechen sterben in Krankenhäusern: oft ohne ihre Angehörigen, und - durch den verlorenen Glauben - auch ohne jegliche Hoffnung.
Dass dieses Nebenprodukt der modernen Zivilisation nicht allen Menschen gleichgültig ist, bewiesen in den letzten Jahrzehnten Menschen aus verschiedenen Ländern. Diese Menschen - oft aus kirchlichen Kreisen stammend - begannen Ende der 60er Jahre mit dem Bau der ersten modernen Hospizeinrichtungen. Das erste Hospiz wurde 1967 in England gegründet, und dieser Gedanke verbreitete sich schnell in andere Länder. In Osteuropa war die Entstehung eines Hospizes, im typisch religionsfeindlichen Klima, natürlich nicht einfach, nur im katholischen Polen, in Danzig, konnte bereits 1984 das erste Hospiz Osteuropas eröffnet werden.
Die frühere Tschechoslowakei musste das Wendejahr 1989 abwarten, bis diese Idee öffentlich geäußert und nach einigen Jahren auch verwirklicht werden konnte. An der Verbreitung dieses Gedanken macht sich vor allem eine Frau verdient: Dr. Marie Svatosova, Autorin von zwei Büchern zu diesem Thema und eine Frau, deren Name mit dem Hospizwesen in Tschechien am meisten verbunden wird. Marie Svatosova erzählt über ihren Weg aus einer normalen Praxis zum Hospiz Folgendes:
"Jahrelang arbeitete ich als praktizierende Ärztin und traf diese unheilbar kranken Menschen - meistens als ich in der Notaufnahme dienen musste. Meistens morgens und abends fuhr ich zu den Todkranken nach Hause und spritzte ihnen Morphium. Und ich sah, dass die Familien überfordert waren. Sie wollten den Patienten helfen, aber sie konnten es nicht. Wenn man nämlich einen todkranken Menschen in seiner letzten Zeit wirksam begleiten möchte, dann muss man einige Grundbedingungen schaffen: Man muss es natürlich wollen. Aber außerdem muss man es psychisch und physisch können und auch wissen, was man tun kann."
Die Hilflosigkeit vieler Angehöriger gab Frau Svatosova den größten Impuls dazu, sich bald nach der Wende für die Entstehung der ersten Hospize einzusetzen. Aber woher wusste diese Frau, die nur in der Tschechoslowakei lebte, wie sie bei ihrem Vorhaben vorgehen soll?
"Über Hospize in London und in der Welt wusste ich dank der Samizdat-Lektüre. Und als es im Januar 1990 abzusehen war, dass man hier etwas tun kann, dann verließ ich gleich im selben Monat meine Arbeitstelle und ging zu Charitas. Ich begann damit, was am einfachsten ging: mit der Hauspflege. Im Jahre 1993 gründete ich einen Verein - Ecce Homo - mit dem ich von Anfang an Hospize aufbauen wollte. Ich vereinigte mich mit der Charitas in Königgrätz und wir gaben das Geld dieser beiden Organisationen zusammen. Innerhalb von 13 Monaten ist es uns tatsächlich gelungen das Hospiz in Cerveny Kostelec bei Königgrätz zu eröffnen."
Das Hospiz der heiligen Agnes von Böhmen, eröffnet 1996, war das erste Hospiz in Tschechien. Mit seiner Philosophie legte es einen Grundstein, der auch für die anderen bisher eröffneten Einrichtungen maßgebend ist: Ein Hospiz bietet schwer kranken Menschen, bei denen alle Möglichkeiten der Heilung ausgeschöpft sind, einen Ort, an dem die Würde des Menschen nicht angetastet wird und an dem der Patient nicht an unnötigen Schmerzen leiden muss. Um die Patienten kümmert sich ein Team von Ärzten, speziell ausgebildeten Krankenschwestern und Freiwilligen, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Begleitung der Angehörigen, Verwandten und Freunde, die dem bevorstehenden Tod ihrer Nächsten oft hilf- und ratlos gegenüber stehen. Auch für sie stehen in den Hospizen Betten bereit, damit sie die letzten Stunden der Sterbenden miterleben können. Eine enorme Bedeutung kommt der geistigen Sphäre zu: Geistliche, Psychologen und andere Mitarbeiter sprechen mit den Menschen, erteilen ihnen Rat oder - und wohl am häufigsten - hören einfach zu. Nicht umsonst heißen die Freiwilligen in den englischsprachigen Ländern "listeners" - die Zuhörenden.
In der Tschechischen Republik entstanden in den letzten fünf Jahren sechs Hospizeinrichtungen. Das bisher letzte wurde dieses Jahr im Februar im nordböhmischen Litomerice-Leitmeritz eröffnet. Seine Existenz verdankt es vor allem einer mutigen und entschlossenen fünfundzwanzigjährigen Frau. Marie Svatosova erzählt ihre Geschichte:"Vor 24 Jahren starb hier in Leitmeritz eine junge, 27-jährige Frau und ließ die damals 16 Monate alte Monika zurück. Der Vater heiratete nochmals und hatte in der 2. Ehe fünf weitere Kinder. Als Monika ihre Ausbildung zur Krankenschwester machte, starb ihre sozusagen 2. Mutter auch, gleichfalls an Krebs. Monika hat es damals sehr - ich muss sagen positiv - beeinflusst. Ich glaube, dass viele Leute in einer solchen Situation verbittern und den Glauben verlieren. Sie denken, dass wenn es Gott gäbe, könnte doch so etwas nicht passieren. Aber Monikas Familie begleitete ein Priester auf eine ähnliche Art und Weise, wie es in Hospizen geschieht. Er half der Familie, nicht zu fragen "Warum ist es passiert?" - denn diese Frage ist nicht zu beantworten, sondern er wandelte sie in die Frage "Herr Gott, was willst du mir sagen?" um. Und Monika fand die Antwort. Nach ihrem Abschluss ging sie in das Hospiz in Cerveny Kostelec - und diente dort fünf Jahre als Hospizschwester. Während dieser Zeit absolvierte sie ein Studium und heiratete einen Kollegen, der dort seinen Zivildienst machte. Aber bereits als sie 20-jährig in das Hospiz kam, sagte sie, dass sie dort nur Erfahrungen sammeln wollte, um bald in ihrem Geburtsort Leitmeritz ein neues Hospiz zu eröffnen. Wir nahmen das junge Mädchen damals nicht ernst, aber sie blieb dabei und wir mussten ihr dann mit ihrem Vorhaben helfen."
Heute ist Monika Markova die Oberschwester im Hospiz des heiligen Stephan in Leitmeritz und mit ihr ist ihr Mann und zwei andere frühere Kolleginnen nach Leitmeritz gezogen.Der Aufenthalt in einem Hospiz bringt nach Marie Svatosova für alle Menschen etwas Positives:
"Ich behaupte, dass niemand, der einmal ein Hospiz betrat, dieselbe Person bleiben kann. Hospize beeinflussen im positiven Sinne jeden: Es zwingt die Menschen, über das Ende und den Sinn des Lebens nachzudenken und die eigene Werteskala zu revidieren - ich kann mit Sicherheit sagen, dass es jeden zum Besseren verändert."
Nach Marie Svatosova passieren dort auch Wunder: keine übernatürlichen zwar, aber zum solche, dass sich über Jahrzehnte verfeindete Leute wieder in die Arme fallen und sich versöhnen.