Verfassungsbeschwerde gegen das Wahlgesetz
Nicht unerwartet hat Präsident Vaclav Havel eine Beschwerde über das neue Wahlgesetz ans Verfassungsgericht eingereicht. Dieses soll überprüfen, ob die von den Sozialdemokraten und den Bürgerlichen verabschiedeten Veränderungen des Wahlrechts noch mit den Vorgaben der Verfassung vereinbar sind. Über die Chancen der Beschwerde herrscht Unklarheit. Mehr dazu von Rudi Hermann im folgenden Beitrag.
In seiner Beschwerde greift Präsident Havel vornehmlich die Erhöhung der Wahlkreise von 8 auf 35 und die Modifizierung des Auszählungssystems an, und zwar mit der Begründung, dass die dadurch eingebauten Elemente des Majorzsystems das von der Verfassung vorgeschriebene proportionale Wahlrecht in die Abgeordnetenkammer so weit verwässerten, dass das Systém als solches untergraben werde. Havels Pressesprecher Ladislav Spacek führte gegenüber dem Fernsehen aus, dass der Präsident namentlich als unannehmbar betrachte, dass der Stimmenanteil, der in den einzelnen Wahlkreisen zur Erringung von Abgeordnetenmandaten berechtige, zwar theoretisch bei der schon bestehenden Fünfprozentklausel bleibe, faktisch durch das Auszählungssystem aber auf rund zehn Prozent anwachse. Ebenfalls griff Havel die Bestimmung an, dass eine Koalition aus mehreren Parteien eine Sperrklausel überwinden müsse, die sich durch die Anzahl der Koalitionsmitglieder mal 5 % ergebe. Im Falle der sogenannten Viererkoalition Ctyrkoalice, die sich aus der liberalen Freiheitsunion, den Christlichdemokraten, der Demokratischen Bürgerallianz und der Demokratischen Union zusammensetzt und deren kumulierten Präferenzen in Meinungsumfragen bisweilen über denen der anderen Grossparteien liegen, wären dies 20 % - eine so hohe Hürde, dass das Unternehmen, als Viererkoalition zu starten, reichlich riskant wäre. Von politischen Kommentatoren wurde gerade diese Bestimmung als Versuch der Partner des sogenannten Oppositionsvertrags, der in Minderheit regierenden Sozialdemokraten und der Demokratischen Bürgerpartei von Vaclav Klaus, gewertet, auf administrativem Weg einen unbequemen Konkurrenten auszuschalten oder zu einer Profiländerung - sprich Fusion - zu zwingen.
Die beiden federführenden Parteien hinter der Wahlrechtsreform kritisierten erwartungsgemäss Präsident Havel für seine Beschwerde. Der Berichterstatter des Abgeordnetenhauses für die Wahlrechtsnovelle, der Sozialdemokrat Zdenek Koudelka, meinte zur strittigen Bestimmung der Sperrklausel für Wahlkoalitionen, diese diene der Gleichbehandlung aller Parteien, unabhängig davon, ob sie als Koalition oder selbständig in die Wahlen zögen. Auch das Auszählsystem verteidigte Koudelka mit den Worten, dass es sich um eine Kombination zweier Systeme handle, die weltweit gebräuchlich seien. Kräftigere Worte waren seitens der Demokratischen Bürgerpartei zu hören. Deren Vizevorsitzender Ivan Langer bezeichnete Havels Vorstoss als politisch motiviert und bedauerte, dass er das Bemühen einer klaren Parlamentsmehrheit um eine Wahlrechtsreform, die zu mehr politischer Stabilität führen soll, nicht akzeptieren könne. Welchem Standpunkt sich das Verfassungsgericht letztlich zuneigen wird, ist laut Experten schwer abzuschätzen. In Medieninterviews äusserten Verfassungsrechtler jedoch Zweifel daran, dass die Veränderungen des Wahlrechts so drastisch seien, dass sie die Chancen der Beschwerde auf Erfolg als wahrscheinlich erscheinen liessen.