Die Presselandschaft in Tschechien
Verehrte Hörerinnen und Hörer, wir begrüßen Sie zu einer neuen Folge des Medienspiegels von Radio Prag. Heute wollen wir Ihnen ein wenig die tschechische Presselandschaft näher bringen.
Zuvor möchten wir Ihnen aber einen kleinen Einblick in den heimischen Blätterwald gewähren und schauen, welche Themen in der vergangenen Woche im Mittelpunkt der Berichterstattung standen. In diesem Zusammenhang wäre vor allem ein wichtiges Jubiläum zu erwähnen, welches ausführlich gewürdigt wurde. Am 17. November waren es gerade 12 Jahre her, seit es auf der Prager Narodni Strasse, unweit des berühmten Nationaltheaters, zu einer grossen Studentendemonstration gekommen ist. Sie wurde zwar von den Polizeikräften brutal niedergeschlagen, dennoch läutete die Kundgebung das Ende des kommunistischen Regimes in der damaligen Tschechoslowakei ein.
Einige tschechische Zeitungen, so wie etwa das auflagenstärkste Blatt Mlada Fronta Dnes, führten aus diesem Anlass Hintergrundgespräche mit einigen Studentenführern von 1989. Egal ob diese nun Martin Mejstrik oder Pavel Langer hiessen - ihre heutige Sichtweise ist sehr ähnlich und nicht ohne eine gewisse Bitterkeit. Sie sind heute in den meisten Fällen über die Ergebnisse ihrer Revolution enttäuscht. Besondern häufig kritisierten sie den Umstand, dass die alte Nomenklatura sehr schnell gelernt hat, mit der von ihnen erkämpften Freiheit umzugehen.
Die samtene Revolution von 1989 führte zum Aufkeimen des für viele Bürger vorher völlig unbekannten Gefühls der nationalen Einheit. Emanuel Mandler, der vor der Wende selbst zu den führenden Dissidenten des Landes zählte, zeigte in seinem Kommentar in der Tageszeitung Lidove noviny, wie diese Stimmung sehr schnell verflog:
"Die neue Politik war vom Mantel eines riesigen Jubels und der nationalen Einheit zugedeckt. Kein Wunder also, dass so viele Menschen dieser Stimmung unterlegen sind. Denn schliesslich schien ja damals alles so, als ob die sprichwörtlichen gebratenen Tauben bislang nur deswegen nicht in den offenen Mund fliegen konnten, weil die Kommunisten das zu verhindern wussten. Kein Wunder also, dass viele von uns von der damaligen Euphorie heute einen Kater haben."
Auch die Tageszeitung Pravo widmet sich, wenn auch im Gegensatz zu Mlada Fronta Dnes und Lidove noviny bedeutend bescheidener, den Ereignissen von 1989. Der Grund für diese offenkundige Zurückhaltung ist jedoch verständlich. Schliesslich ist die heutige Pravo die Rechtsnachfolgerin des früheren Zentralorgans der Tschechoslowakischen Kommunisten. Das mag auch der Grund dafür sein, warum nur in der Pravo Kommentare erschienen, welche die Ergebnisse der Wende als nicht immer positiv darstellten. So schrieb etwa Martin Hekrdla zum Thema Freiheit:
"Ging es damals eigentlich wirklich in erster Linie um die Freiheit? Oder ging es darum, dass ein Drittel der Menschheit, das hinter dem eisernen Vorhang lebte, in den Genuss des freien Marktes kommten konnte und damit die Gewinne der westlichen Firmen erhöhen durfte?"
Verehrte Hörerinnen und Hörer, vielleicht haben schon aus unserer kurzen Presseschau zum 17. November einen ersten Eindruck über die Meinungslinie der drei wichtigsten tschechischen Zeitungen bekommen. Tatsächlich dient wahrscheinlich kein anderes Jubiläum besser dazu die weltanschaulichen Positionen der erwähnten Blätter darzustellen. In anderen wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens sind diese Unterschiede jedoch nicht so
stark ausgeprägt. Der Journalist und Buchautor Karel Hvizdala meint die Gründe dafür zu wissen, wie er im folgenden gegenüber Radio Prag erläutert.
"Die normalerweise existierenden "Drei Versionen der Welt" sozusagen, das gilt bei uns auch nicht, weil der grösste Verleger Inhaber von zwei dieser wichtigen Zeitungen ist, nämlich von MFD und Lidove noviny und die beiden hatten in kurzer Zeit den selben Chefredakteur, dadurch sind sie ganz ähnlich. Bleibt nur also Pravo, als die dritte wichtige normale Zeitung und die also durch die Geschichte, weil das früher eine vom ZK herausgegebe Zeitung war, eine kommunistische Zeitung war, also sie muss eine Rolle spielen, dass die Zielgruppe teilweise auch für die ehemaligen Kommunisten sind auf der einen Seite, auf der anderen aber auch die sozialdemokratischen Leser. Dadurch ist diese Zeitungslandschaft nicht so normal, wie das sein sollte."
Karel Hvizdala, hat bereits den Umstand erwähnt, dass die Zeitungen Mlada Fronta dnes und Lidove noviny den gleichen (deutschen) Verleger haben, nämlich die Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft. Die Geschichte dieser beiden Blätter könnte jedoch unterschiedlicher nicht sein.
Während die Mlada Fronta vor 1989 vom kommunistischen Jugendverband herausgegeben wurde, war der seit den 50. Jahren brach liegende Zeitungstitel "Lidove noviny" Ende der 80. Jahre von Dissidenten aufgegriffen worden und die Zeitung wurde bis zur Wende in unregelmässigen Abständen im Untergrund, herausgegeben. Erst nach den Ereignissen des 17. November fanden sich beide Blätter sprichwörtlich auf der gleichen Seite der Barrikade wieder. Mlada Fronta stellte sich nämlich eindeutig auf die Seite der Studenten. Das erzeugte in jenen bewegten Tagen vor allem in der tschechischen Provinz eine erhöhte Nachfrage diesem Blatt und Mlada Fronta konnte somit auf eine täglich sich steigernde Auflage verweisen. Beobachter meinen, dass der Grund dafür der ist, dass die Zeitung heute mit einer täglichen verkauften Auflage von ca. 250 000 zu den grössten des Landes gehört. Die erste offizielle und legale Ausgabe von Lidove noviny erblickte hingegen erst im April 1990 das Licht der Welt. Die verkaufte Auflage der Lidove noviny bewegt sich oberhalb der 100 000-Grenze.
Die dritte grosse überregionale Tageszeitung Tschechiens ist die Pravo. Als früheres Parteiblatt der Kommunistischen Partei hatte die Zeitung unmittelbar nach der Wende nicht nur mit einem grossen Rückgang der Leserschaft zu kämpfen, sondern versuchte sich auch als Stimme gegen den nach der Wende neu eingetreten Zeitgeist Gehör zu verschaffen. Die Pravo war also in den Jahren nach 1989 eine oppositionelle Tageszeitung und konnte somit einen wichtigen Teil ihrer früheren Leser zurückgewinnen. Dabei blieb es auch nachdem die tschechischen Sozialdemokraten nach den Wahlen von 1998 erstmals an die Macht kamen und einige frühere profilierte Autoren von Pravo, wie etwa der heutige Kultuminister Pavel Dostal, Positionen in der neuen Regierung übernahmen. Täglich werden knapp 90 000 Exemplare der Pravo verkauft.
In den letzten 12 Jahren hat auf dem tschechischen Zeitungsmarkt ein grosser Konzentrationsprozess stattgefunden. Zu seinen Folgen gehört u.a. auch die starke Präsenz von ausländischen Verlagshäusern in Tschechien, wobei unter ihnen klar deutsche Regionalverlage den Ton angeben. Karel Hvizdala, der selbst drei Jahre lang Herausgeber von Mlada Fronta Dnes war, stellt in diesem Zusammenhang folgenden Vergleich an:
"Hier ist folgendes passiert und zwar stellen Sie sich vor, ein Verlag aus Kolin oder Hradec Kralove oder Usti nad Labem würde in Deutschland die FAZ kaufen und dann sagen - ja meine Herren, sie müssen die Auflagen höher haben als "Bild". Und genau das ist bei uns passiert."
Die Folge dieser Entwicklung liegt laut Karel Hvizdala auf der Hand: Eine immer schneller vorangetriebene Kommerzialisierung und Boulevardisierung der Zeitungen, bei der laut Hvizdala immer weniger Zeit für in die Tiefe gehende Analysen bleibt, und über wichtige Probleme des Landes nur ganz oberflächlich berichtet wird. Wer also informiert werden will, muss - so Hvizdala abschliessend - so oder so zu den renomierten ausländischen Tageszeitungen greifen.