Wahlen in Tschechien
Nun möchten wir Sie zu einer weiteren Folge der Sendereihe Schauplatz einladen, den Silja Schultheis und Robert Schuster für Sie gestaltet haben. Das Thema lautet diesmal Wahlen in Tschechien, die fast genau in einem halben Jahr stattfinden werden.
In einem halben Jahr wird in Tschechien ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Gegenwärtig gibt es zwar rein formal noch kein neues Wahlgesetz und so besteht natürlich theoretisch immer noch die Möglichkeit, dass der Urnengang verschoben wird. Aber wenn man das bunte Treiben der tschechischen politischen Parteien aus der letzten Zeit so beobachtet, kommt man zu dem Schluss, dass dieser Extremfall den tschechischen Wählerinnen und Wählern wohl nicht bevorsteht.
Fast alle Parteien haben in den vergangenen Wochen ihre Kandidatenlisten zusammengestellt oder beabsichtigen dies noch vor Weihnachten zu tun. Das ist nichts Ungewöhnliches und war bisher vor jedem Wahlgang in Tschechien so. Dennoch werden die Wahlen vom Juni nächsten Jahres durch einen besonderen Umstand gekennzeichnet sein: Es werden nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die letzten Wahlen vor dem EU-Beitritt des Landes sein. Welchen Widerhall wird gerade dieser Umstand bei den kommenden Wahlen haben, fragten wir den Politikwissenschaftler Rudolf Kucera von der Prager Karlsuniversität:
"Ich meine, dass es am Anfang tatsächlich so aussah, als ob das Europa-Thema eine zentrale Rolle im nächsten Wahlkampf spielen wird. Vor allem die rechtsliberale Bürgerpartei ODS des früheren Ministerpräsidenten Vaclav Klaus versuchte sich in den vergangenen Monaten in dieser Hinsicht zu profilieren. Aber sie hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihr ganz einfach die intellektuellen Kapazitäten dazu fehlen, denn außer Klaus ist in der Partei niemand im Stande, einen konsistenten Standpunkt zur EU einzunehmen. Die ODS hat zwar vor kurzem ein sog. Eurorealistisches Manifest vorgestellt, aber mittlerweile hat sich fast alles, was in der ODS Rang und Namen hat, von diesem eher eurokritischen Papier distanziert. Mittlerweile wird vor allem in Brüssel und Strassburg betont, dass es sich nicht um ein offizielles Parteidokument handele."
Über die anderen Themen im anlaufenden Wahlkampf lässt sich nur spekulieren. Politikwissenschaftler Kucera meint deshalb, dass die Parteien sich auf ihre üblichen Programmschwerpunkte konzentrieren und wenig Spektakuläres vorlegen werden. Das heißt wohl mit anderen Worten, dass die Sozialdemokraten das Feld der Sozialpolitik und der sozialen Sicherheit belegen werden. Die rechtsliberale Bürgerpartei ODS wird sich laut Kucera zum Anwalt des Mittelstandes hochstilisieren, der unter dem Druck der regierende Sozialdemokraten leidet. Die oppositionelle Viererkoalition wird den Wählern wahrscheinlich von allem etwas in ihrem Wahlmenü präsentieren.
Dennoch ist laut Rudolf Kucera mit einer Art Generalabrechnung mit der Politik der jetzigen Regierung im Wahlkampf nicht zu rechnen. Erstens können einige Erfolge der letzten Jahr, wie etwa das kontinuierliche Wirtschaftswachstum, durchaus auf das Konto der Partei von Premierminister Milos Zeman gutgeschrieben werden. Aber auch ein anderer Umstand könnte nach der Meinung des Politikwissenschaftlers dazu führen, dass es diesmal im Wahlkampf etwas ruhiger zugehen wird: Die Prognosen prophezeien nämlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen der drei großen politischen Blöcke in Tschechien, also der Sozialdemokraten, der Bürgerpartei und der Viererkoalition. Nach den Wahlen seien laut Kucera also alle Koalitionsoptionen möglich und keine von den erwähnten Gruppierungen werde sich während des Wahlkampfs alle Brücken zu potenziellen Koalitionspartnern abbrechen.
Noch vor drei Jahren, also vor den letzten Wahlen, war dies jedoch ganz anders. Da hat vor allem die bürgerliche ODS stark gegen die angebliche rote Gefahr - sprich einen möglichen Sieg der Sozialdemokraten - mobilgemacht und die Gesellschaft stark polarisiert. Präsident Vaclav Havel, der auch sonst nicht gerade ein Freund der tschechischen Parteien ist, meinte sogar, dass der damalige Wahlkampf auf lange Sicht das politische Klima im Land vergiftete. Nach den Wahlen war aber auf einmal alles anders. Die Bürgerlichen boten nämlich den siegreichen Sozialdemokraten die Tolerierung ihrer Minderheitsregierung an, und dieses Bündnis wird wohl, allen gegenteiligen Prognosen zum Trotz, wirklich bis zu den nächsten Wahlen standhalten. Lässt sich also auch diesmal ein ähnlicher Verlauf des Wahlkampfs erwarten, fragten wir den Politikwissenschaftler Rudolf Kucera:
"Ich glaube, dass sich die Parteien eine Wiederholung dieses Szenarios nicht einfach leisten können und ebenso wenig können sie erwarten, dass sie damit die Wahlen gewinnen könnten. Das war wohl eine einmalige Angelegenheit, denn auch die damals beteiligte Parteien haben mittlerweile gespürt, wie stark ihre Glaubwürdigkeit darunter gelitten hat. Man kann doch nicht auf eine Partei verbal einschlagen und vor ihrer Politik warnen und dann nach den Wahlen die gleiche Partei 4 Jahre lang an der Macht halten. Das ist doch absurd. Und dann ist hier noch ein weiteres wichtiges Detail. Die Bürgerlichen präsentieren sich als Anwälte des Mittelstandes, aber gleichzeitig halfen sie einen Staatshaushalt zu verabschieden, der die sprichwörtliche Schraube gegenüber dem Mittelstand noch mehr anzieht."
Gerade in der Vergangenheit wurde vor Wahlen bemängelt, dass sich jene Politiker um die besten Plätze auf den Kandidatenlisten bewerben, die in verschiedene Skandale und Affären verwickelt sind. Es konnte deshalb angenommen werden, dass diese Politiker vor allem deswegen um ein Mandat im Parlament bemüht seien, weil es ihnen die Abgeordneten-Immunität gewähren würde. Die Folge davon war, dass im Land die Politikverdrossenheit stark anwuchs und die Bereitschaft zu den Wahlen zu gehen dramatisch abnahm. Doch zwei Beispiele aus der letzten Zeit scheinen anzudeuten, dass diese Vorgehenswiese vielleicht bald schon der Vergangenheit angehören könnte.
Der erste Fall betraf den früheren stellvertretenden Parteichef der ODS, Miroslav Macek. Als Politiker war er nebenbei an zahlreichen Firmen beteiligt, wobei die meisten von ihnen mittlerweile, oft auch wegen zweifelhafter Geschäftspraktiken, Konkurs gemacht haben. Macek selber behielt jedoch immer eine weiße Weste und lehnte alle Rücktrittsforderungen ab. Erst vor einigen Wochen wurde auch ihm eines von diesen Geschäften zum Verhängnis und er musste aufgrund eines starken Drucks innerhalb seiner Partei alle Ämter und Mandate niederlegen.
Auch bei den regierenden Sozialdemokraten gab es einen ähnlichen Fall, der den Minister für regionale Entwicklung Petr Lachnit betraf. Er wurde wegen seiner Verstrickungen in verschiedene Affären auf einen aussichtslosen Listenplatz gesetzt. Erst eine Intervention aus der obersten Führungsetage der Partei brachte Lachnit wieder ins Spiel. Sind die beiden erwähnten Fälle bloß erste Schwalben, die bekanntlich noch keinen Frühling machen, oder sind es Anzeichen für einen Wandel in den Parteien es Landes, fragte Radio Prag abschließend Rudolf Kucera von der Prager Karlsuniversität:
"Ich würde das schon als einen wichtigen Trend sehen, der sich da anbahnt und meine nicht, dass das nur unmittelbar mit den Wahlen zusammenhängt. Zudem gab es auch bei anderen Parteien ähnliche Entwicklungen, wo nicht kompromittierte Persönlichkeiten aufgrund eines innerparteilichen Kampfes an die Spitze ihrer Parteien gelangten. Das ist eine sehr positive Entwicklung und ich bin ehrlich froh darüber und zwar aus einem sehr wichtigen Grund: Politiker, denen man nichts vorwerfen kann, die also sauber sind, sind nicht erpressbar und manipulierbar. Gerade in der Vergangenheit hat es ja den einen oder anderen Versuch in Tschechien gegeben, politische Führungskräfte zu beeinflussen. Das ist gut für unser Land und gut für unsere Demokratie."