Ausflugsziele der Prager im 19. Jahrhundert
Heute, wo in einigen Prager Stadtteilen, die vom verheerenden Hochwasser überflutet wurden, die Aufräumungsarbeiten immer noch auf vollen Touren laufen, möchten wir Sie in das auf den ersten Blick idyllische Prag des 19. Jahrhunderts führen. Über die damals beliebten Ausflugsziele der Prager erfahren Sie mehr im folgenden Spaziergang durch Prag von Martina Schneibergova und Gerald Schubert.
"Wie viele schöne Orte für einen halbtätigen Spaziergang wir hier in der Umgebung haben! Was für Orte, die aus historischer, geologischer und botanischer Sicht, aber auch dank ihrer Lage und Landschaft beachtenswert sind! Vielleicht bietet keine Stadt Europas eine so reichhaltige Auswahl von Ausflugszielen, die so schön, erfrischend und reizvoll sind! Man weiß wirklich nicht, wohin man zuerst gehen soll..."
Diese Festsstellung betrifft Prag und stammt aus der Feder des tschechischen Schriftstellers Jan Neruda. Der Titel seines Feuilletons, aus dem wir soeben zitiert haben, unterscheidet sich übrigens nicht so sehr vom Namen unserer Sendereihe. Nur, Nerudas Feuilleton "Prager Spaziergänge" erschien am 20. Mai 1883 im Blatt "Narodni listy".
Wie wir Ihnen später jedoch verraten werden, war der Prag bewundernde Dichter jedoch gleichzeitig ein höchst kritischer Beobachter der oft gelobten Ausflugsziele in der Prager Metropole. Die Prager hatten im 19. Jahrhundert zwar mehrere beliebte Ausflugsziele, die meisten waren jedoch offensichtlich keine passionierten Touristen - wie auch die Historikerin Pavla Vosahlikova bemerkt:
"Es gab selbstverständlich beliebte Ortschaften, wohin sie spazieren gingen. Wenn man jedoch den Zeitgenossen glauben will, haben sich die Prager damals mit keiner großen Begeisterung bewegt. Die Ausflugsziele, die damals beliebt waren, befinden sich heutzutage auf dem Gebiet der Hauptstadt Prag. Üblicher waren jedoch solche Ausflüge, oder eher Spaziergänge, erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden solche Touren nur selten unternommen, denn die Prager und Pragerinnen haben nicht oft ihren Wohnort verlassen."
So erinnert sich der Politiker Josef V. Fric in seinen Memoiren an seine Quartierfrau aus der Altstadt, deren größte touristische Leistung darin bestand, dass sie einmal in ihrem Leben über die Karlsbrücke Richtung Hradschin gegangen ist. Weiter ist sie nie gekommen. Sie hielt es übrigens für höchstgefährlich, über die Moldaubrücke zu schreiten. Ähnliche Meinung vertrat damals bestimmt nicht nur diese Dame. Denn weder die Arbeit, noch der Lebensstil zwang die Menschen dazu, längere Reisen zu unternehmen. Das Reisen wurde allgemein für etwas Belästigendes und für eher eine unangenehme als fröhliche Angelegenheit gehalten. Reisen war nach Meinung der Mehrheit eher für junge Menschen und Studenten geeignet.
Die Beziehung zur Touristik hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich geändert. Man begann, den Tourismus zielbewusst und mit Fachkenntnissen zu propagieren. Dank dem Forschungsreisenden Vojta Naprstek und dem neu entstandenen Klub der Touristen änderte sich die Haltung der Prager Bewohner zum Reisen, trotzdem bezieht sich diese Änderung nicht auf die Gesamtbevölkerung. Wohin gingen unsere Vorfahren also am liebsten spazieren? Pavla Vosahlikova dazu:
"Einer der Orte, der für ein angenehmes Ausflugsziel gehalten wurde, war Zvonarka - das heute fast im Stadtzentrum liegt. Es handelte sich um einen Ausflug für einen halben Tag, in Zvonarka hatten jedoch mehrere Prager auch ihren Sommersitz. Mit der allmählichen Erweiterung des Stadtteils Kralovske Vinohrady/Königliche Weinberge und weiterer Prager Vororte ist die Entfernung der Ausflugsziele vom Stadtzentrum seit den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts immer länger geworden. Aus unserer Sicht waren jedoch auch die neuen Ausflugsziele nicht allzu weit entfernt. Ein beliebtes Ziel der Spaziergänge war der Wald im Ort Krc - heute liegt der Stadtteil Krc im vierten Stadtbezirk. Dies war jedoch ein Ausflug für den ganzen Tag, wenn man zu Fuß ging. Mit einer Kutsche konnte man den Ausflug nach Krc schneller absolvieren. Die Anmietung einer Kutsche kostete damals jedoch zwei Gulden - es war also eine verhältnismäßig teure Angelegenheit."
Der Schriftsteller Jan Neruda machte in seinem erwähnten Feuilleton über Prager Spaziergänge jedoch auf eine Gefahr aufmerksam, mit der in den Wäldern in Krc zu rechnen war. Er schrieb:
"Krc. Ein schöner Kiefer- und Eichenwald. Ein erfrischender Spaziergang entlang eines Bachs und über eine vom Wald gesäumte Wiese. Frische Luft. Aber leider stehen da Förster mit Stöcken in der Hand, mit denen sie den Spazierenden andeuten, dass sie verprügelt werden, wenn sie den Weg da gehen werden."
Soweit Jan Neruda, der auch in dem viel besuchten ehemaligen Königlichen Wildgehege Stromovka nicht übersehbare Mängel entdeckte:
"Stromovka - ein entzückender Garten, lange Alleen, Wiesen, Felder, Blumenbeete, Springbrunnen. Jeder Prager sollte wenigstens einmal wöchentlich dorthin pilgern. Aber leider fährt jede halbe Stunde ein Zug durch Stromovka, und aus dem qualmt soviel Rauch, dass man es dort kaum fünf Minuten lang aushalten kann."
Etwas später hat das heutige Naturschutzgebiet Sarka an Beliebtheit gewonnen. Für einen Spaziergang nach Sarka brauchte man jedoch einen ganzen Tag. Bei den Ausflügen sind die Prager Touristen außerdem oft nicht bis ans Ziel gelangt, sondern sie blieben irgendwo auf dem Weg in einer guten Gaststätte hängen. Beim Ausflug nach Krc war für viele Touristen die Gaststätte "Zelena liska" (Zum grünen Fuchs) allzu verlockend. Heutzutage erinnert an die einst populäre gastronomische Einrichtung nur noch die gleichnamige Straße. Die Historikerin stellte fest:
"Die Attraktivität der Ausflugsziele bei Prag hing direkt mit der Qualität des Biers zusammen, das in der dortigen Gaststätte verkauft wurde. Genauso wichtig war die dortige Küche. Neben "Zelena liska" gab es in Krc damals noch eine berühmte Gasstätte - "U labute" (Zum Schwan) - die in Krc noch heute zu finden ist."
Ein anderes beliebtes Ziel der spazierenden Prager war beispielsweise der Vysehrad. Es war zwar ein kürzerer Ausflug, aber immerhin ein Ausflug hinter die Stadtmauer. Um die Jahrhundertwende sind Ausflüge zur Moldau populärer geworden, wo man damals schon Boote leihen konnte. Zu der Zeit konnte manch einer auch schon eine Dampffahrt unternehmen. Erschöpfte Touristen konnten sich damals schon in mehreren bekannten Gaststätten erfrischen, die in jener Zeit an den Moldauufern sowie auf den Moldauinseln entstanden.
Zum Abschluss noch ein Ausflugstipp von Jan Neruda:
"St. Prokop-Tal. Das empfehle ich am meisten. Ein sehr belehrender Ausflug. Viele wertvolle Pflanzen. Eine beachtenswerte Lagerung geologischer Schichten. Aber leider gibt es da viele Kalkfabriken - und manch ein Besucher fällt ohnmächtig um, nachdem er diese Dämpfe eingeatmet hat..."
Soweit der offensichtlich strenge Jan Neruda. Was für einen Ort würde er uns heutzutage empfehlen, ohne dabei etliche Risiken genannt zu haben?