Der Prager NATO-Gipfel ist zu Ende. Ein Rückblick.

George Robertson, Foto: CTK

Das Prager NATO-Gipfeltreffen war zweifellos nicht nur für die tschechische Hauptstadt, sondern für die gesamte Weltpolitik ein Großereignis. Egal, wie man zu den auf dem Gipfel getroffenen Entscheidungen oder generell zur Rolle der NATO auch stehen mag: dass es sich hier um eine Konferenz von globaler Tragweite und nachhaltiger Bedeutung gehandelt hat, das wird von kaum jemandem in Abrede gestellt. Am Freitag ging der zweitägige Gipfel zu Ende. Gerald Schubert war für uns im Prager Kongresszentrum vor Ort und fasst im nun folgenden "Schauplatz" nochmals die wichtigsten Punkte rund um das Ereignis zusammen:

Vaclav Havel und Jacques Chirac,  Foto: CTK
"Im Namen aller meiner Kollegen in diesem Raum, und auch in meinem eigenen Namen, möchte ich Ihnen zur Einladung für Ihre Länder, sich unserer Verteidigungsallianz anzuschließen, meine ehrlichen Glückwünsche aussprechen."

Mit diesen Worten begann der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel am Donnerstagvormittag seine Ansprache an die Vertreter jener sieben Staaten, die auf dem Prager NATO-Gipfel offiziell zum Beitritt in die nordatlantische Verteidigungsallianz eingeladen wurden. Wie bereits im Vorfeld erwartet worden war, handelt es sich dabei um die Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien und Rumänien. Das Unvorhergesehene an der Veröffentlichung jener Liste war lediglich der Zeitpunkt. Laut Plan nämlich hätten die Staats- und Regierungschefs der 19 NATO-Staaten erst am Donnerstagnachmittag ihre Erweiterungspläne offiziell bekannt geben sollen. Dass dies nun gleich bei der Eröffnungskonferenz passierte, mag vielleicht als Ausdruck besonderer Entschlossenheit in dieser Frage interpretiert werden. Inhaltlich aber war jene Entscheidung keine Überraschung mehr. Und das, obwohl die NATO ihr Territorium damit auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und bis vor die heutigen Grenzen Russlands ausdehnt. Damit wurde jener Prozess, der 1997 in Madrid mit der Einladung und 1999 in Washington mit der Aufnahme von Tschechien, Polen und Ungarn in die NATO begonnen hatte, wieder ein beachtliches Stück vorangetrieben. Vaclav Havel übrigens ließ in seiner Ansprache auch die eigenen Erinnerungen an den Gipfel von Madrid wieder aufleben:

"Liebe Freunde: ich gratuliere Ihnen, und heiße Sie in unserer Mitte willkommen. Ich bin über den heutigen Tag ebenso erfreut, wie ich vor fünf Jahren in Madrid erfreut war, als die Allianz mein Land einlud, sich ihr anzuschließen."

Gerhard Schröder,  Foto: CTK
Als der deutsche Kanzler Gerhard Schröder in seiner kurzen Eröffnungsansprache ebenfalls auf die Erweiterung einging, betonte er vor allem die Bedeutung der russischen Haltung in diesem Prozess. Und er kam auch auf jene Länder zu sprechen, die nach wie vor als NATO-Beitrittskandidaten gelten, bei der nächsten Erweiterungswelle jedoch noch nicht berücksichtigt werden:

"Erstens: Ich möchte gerne Präsident Havel für die außerordentlich würdevolle Art der Vorbereitung und der Durchführung des Gipfels ganz herzlich danken. Zweitens: Wir freuen uns über die Einladung der sieben neuen Mitglieder; bei den Vorbereitungen wollen wir hilfreich sein, soweit wir können. Drittens: Ich denke, es ist ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieser Erweiterungsprozess außerordentlich offen und fair mit Russland diskutiert worden ist. Ich denke, dass das in vielen Gesprächen zum Ausdruck gekommen ist und auch weiter zum Ausdruck kommen wird. Und viertens: Ich glaube, dass wir auch deutlich machen sollten, dass wir die Fortschritte, die Albanien, Mazedonien und auch Kroatien bei ihren Vorbereitungen gemacht haben, durchaus zu würdigen wissen."


Die Erweiterung war aber nicht das einzige Thema, über das auf dem Prager NATO-Gipfel beraten wurde. Es ging auch um innere Strukturreformen. Zwar kann die NATO eine Vergrößerung ihres Einflussbereiches nicht durch politische Integrationsmechanismen ausbalancieren, wie dies etwa die Europäische Union zu tun bemüht ist. Denn die Nordatlantische Allianz ist, auch wenn man sich immer wieder auf gemeinsame Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie beruft, letztlich eben doch ein reines Verteidigungsbündnis. Als solches aber kann und will sie umfassende Maßnahmen treffen, um militärische sowie organisatorische Strukturen auszubauen, und diese möglichst kompatibel und flexibel zu gestalten. Das Potential der NATO soll also im materieller und logistischer Hinsicht optimiert werden. Ein Teil dieser Pläne ist etwa die Bildung einer sogenannten NATO-Response-Force, einer schnellen Eingreiftruppe von 21.000 Mann, die bis zum Jahr 2004 stehen soll. NATO-Generalsekretär Robertson betonte dabei immer wieder: Hier handle es sich nicht um Deklarationen oder Absichtserklärungen, sondern es seien Entscheidungen, die hier auf dem Prager Gipfel getroffen wurden.


Ruschischer Ausslandsminister Igor Ivanov,  Foto: CTK
Eben diese Entscheidungen aber sind in weltpolitischem Maßstab von ausgesprochen hoher Tragweite, und daher war man von Anfang an bemüht, auch Staaten außerhalb der NATO auf die eine oder andere Art in den Erweiterungs- und Transformationsprozess mit einzubeziehen. So war dann auch der zweite Tag des Gipfels nicht mehr den neunzehn Mitgliedsstaaten und den sieben neu aufzunehmenden Ländern vorbehalten. Am Freitag nämlich wurden auch jene 20 Staaten der sogenannten "NATO-Partnerschaft für den Frieden" zugezogen, die mit den erstgenannten zusammen im "Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat" vereint sind. Die somit auf 46 führende Vertreter ihrer Länder angewachsene Runde befasste sich mit verschiedensten Formen der Zusammenarbeit, um gemeinsam neuen Bedrohungen entgegentreten zu können. Erwartungsgemäß stand dabei der Kampf gegen den Terrorismus im Vordergrund, zu dem auch ein gemeinsames Abschlusskommunique veröffentlicht wurde. Ebenfalls am Freitag tagten dann auch noch der NATO-Russland-Rat und die NATO-Ukraine-Kommission auf der Ebene der Außenminister. Vor allem Moskau versuchte man davon zu überzeugen, dass nichts von dem, was hier in Prag beschlossen wurde, sich gegen Russland richte, sondern dass man im Gegenteil an einer möglichst funktionstauglichen sicherheitspolitischen Kooperation interessiert sei.


Nursultan Nazarbajev,  George Robertson und George Bush,  Foto: CTK
Nicht am offiziellen Plan und dennoch im Mittelpunkt des Interesses stand auch die Haltung der NATO gegenüber dem Irak - beziehungsweise die Tatsache, dass jene eben nicht ganz einheitlich ist. Es ist ja vor allem Deutschland, das die UNO-Resolution gegen Bagdad nicht so offensiv interpretiert wie die USA, und nach derzeitigem Stand der Dinge nicht bereit ist, sich an einem eventuellen Angriff gegen den Irak zu beteiligen. Zwar wurde in Prag eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, die die Geschlossenheit in dieser Frage zum Ausdruck bringen will. Die Tatsache, dass deren Formulierung aber sehr allgemein gehalten ist, kann jedoch als Hinweis darauf interpretiert werden, dass es innerhalb der NATO hier eben durchaus noch offene Fragen gibt. Und auch Kanzler Schröder formulierte seine Haltung zur entsprechenden UNO-Resolution eher mit diplomatischer Zurückhaltung:

"Wir haben immer die Auffassung vertreten, dass das Ziel einer solchen Aktion sein muss, dass die Inspekteure ins Land kommen und ungehindert und frei ihre Arbeit tun können. Und dass diese Resolution Punkt für Punkt umgesetzt und befolgt werden muss."


George Robertson,  Foto: CTK
Auf der abschließenden Pressekonferenz am Freitagnachmittag betonte NATO-Generalsekretär George Robertson nochmals seine Einschätzung, dass hier in Prag ein tatsächlich historisches Gipfeltreffen abgehalten wurde. Er spielte aber auch auf die strengen Sicherheitsvorkehrungen an, die ein reibungsloses Ablaufen des Gipfels ermöglicht und letztlich sogar viele Prager dazu bewogen hätten, die Stadt zu verlassen. Wahrscheinlich werde man nie wieder die Gelegenheit haben, Prag so menschenleer zu sehen, wie gerade jetzt, so Robertson. Doch sei der Gipfel, so meinte der Generalsekretär aus Sicht der NATO, alle Komplikationen wert gewesen. Denn es habe sich eben um einen Wendepunkt gehandelt, der gewiss in die Geschichte eingehen werde:

"Prag war ein wirklich historisches Treffen für alle NATO- und Partnerstaaten. Und ich bin erfreut und stolz über das, was wir erreicht haben. Denn schließlich ist es eine transatlantische Familie, die für den Frieden im 21. Jahrhundert zusammenarbeitet. Ich will diese Gelegenheit auch dazu nutzen, den Menschen in der Tschechischen Republik und speziell in Prag zu danken, und all jenen, die geholfen und so viele Dinge rund um diesen Gipfel geleistet haben, um ihn erfolgreich zu machen."

Die Zustimmung der Prager Bevölkerung zum NATO-Gipfel war übrigens kurz vor dem Großereignis nicht sehr hoch gewesen. Ob sich dies nun nach dem ruhig verlaufenen Gipfel ändert, und ob Prag tatsächlich vom Image einer Konferenzstadt langfristig profitieren kann, das wird letztlich Prager Stadtgeschichte sein. Die Weltgeschichte hat sich am Freitagnachmittag aus Prag wieder verabschiedet.

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