Rückblick auf einen Staatsbesuch - Vaclav Havel in Deutschland
Warum habe er zehn Jahre darauf warten müssen, um zu einem Staatsbesuch nach Deutschland fahren zu können? Diese Frage stellte ein Journalist dem tschechischen Präsidenten Vaclav Havel im Mai 2000 während seines ersten Staatsbesuchs in der Bundesrepublik. Die Antwort erfahren Sie in dieser Sendung, in der wir einen Rückblick auf die erwähnte Deutschlandreise Vaclav Havels machen wollen. Damit willkommen zu unserem Magazin "Begegnungen", am Mikrophon begrüßt Sie Jitka Mladkova:
" wir schätzen die Tatsache sehr hoch, dass die Bundesrepublik Deutschland von Anfang an der Motor des EU-Erweiterungsprozesses gewesen ist."
Die Rede war natürlich auch von den bilateralen Beziehungen, die Havel als sehr gut bewertete. Unter anderem, so Havel, seien die deutschen Investitionen in Tschechien sehr nützlich. Kurz vor Havels Besuch in Berlin äußerte sich Bundesaußenminister Joschka Fischer zu den sogenannten Benes-Dekreten und bezeichnete diese als "völkerrechtswidrig". Übrigens, das Thema Benes-Dekrete zog sich (beinahe) wie ein roter Faden durch Havels Aufenthalt in Deutschland, und dies trotz der Behauptung des Bundeskanzlers, er und Havel hätten sich darüber nicht ausgetauscht. Ausführlich seien die Benes-Dekrete nämlich bereits im März 1999 in Bonn mit dem tschechischen Premier Milos Zeman erörtert worden. Schröder wiederholte jedoch, was er bereits bei dem erwähnten Treffen gesagt haben wollte:
In diesem Zusammenhang sagte der deutsche Bundeskanzler vor Journalisten, was er seinem tschechischen Gast diesmal versichert habe:
Als einen geachteten Nachbarn und verehrten Freund begrüßte Bundespräsident Johannes Rau seinen tschechischen Gast im Berliner Schloss Bellevue. In Bezug auf Havels Verdienste, den er einen Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie und einen wortgewandten Verfechter des humanistischen gesamteuropäischen Erbes nannte, erinnerte Johannes Rau an hohe Auszeichnungen, die der tschechische Gast in Deutschland bereits verliehen bekam: 1991 den Aachener Karlspreis, 1998 den Westfälischen Friedenspreis und 2000 den Deutschen Staatsbürgerpreis. Aus den Händen von Bundespräsident Rau nahm Havel bei dieser Gelegenheit nun auch die Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der BRD entgegen.
Auch bei diesem Treffen wurden beide Präsidenten auf die Benes-Dekrete angesprochen. Vaclav Havel berief sich in seiner Antwort auf die tschechisch-deutsche Aussöhnungsdeklaration von 1997: "Im Einklang mit dem Wortlaut der tschechisch-deutschen Erklärung vertrete ich die Meinung, dass wir unsere Zukunft nicht mit Fragen der Vergangenheit belasten sollen."
Johannes Rau fügte übereinstimmend hinzu: Und die Journalistenfrage, warum es so lange - ganze 10 Jahre - gedauert habe, bis er zu diesem Staatsbesuch kommen konnte, beantwortete der tschechische Präsident auf seine charakteristisch Art - lakonisch: Er fühle sich nicht benachteiligt, es sei eine gute Gelegenheit um Bilanz über all das zu ziehen, was in den zurückliegenden zehn Jahren geschehen ist.Außer Berlin besuchte Vaclav Havel im Mai 2000 auch Potsdam, wo im 18.Jahhundert böhmische Exilanten Zuflucht gefunden hatten. Von hier aus fuhr er weiter nach Sachsenhausen, um das Andenken der hier in der Zeit des Nationalsozialismus umgekommenen Tschechen zu ehren. Die letzte Station seiner Deutschlandreise war schließlich Regensburg. Dort begrüßte ihn der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der auf die in der Geschichte verwurzelten Bande zwischen beiden Völkern verwies: Edmund Stoiber stellte Tschechien aber auch in den europäischen Kontext: Über die seit Jahrhunderten existierende tschechisch-deutsche Koexistenz sprach auch Vaclav Havel. Er würdigte u.a. die Leistungen zahlreicher Institutionen, die dank langjähriger Unterstützung der bayrischen Regierung der gesamten deutschen Öffentlichkeit ein fundiertes und differenziertes Bild der tschechisch-deutschen bzw. tschechisch-bayrischen Geschichte vermitteln konnten, aber auch solcher Institutionen, die erst in jüngster Vergangenheit entstanden waren, wie z.B. die auf den tschechisch-deutschen Jugendaustausch ausgerichtete Vereinigung Tandem. In diesem Zusammenhang unterstrich Havel:
"Ich bin fest davon überzeugt, dass uns all diese bedeutenden Aktivitäten und Initiativen helfen, die Narben der Vergangenheit zu heilen, die für die Tschechen mit Begriffen wie z.B. die Nürnberger Reden der Nationalsozialisten, das Münchner Abkommen oder Dachau, wo eine Reihe unserer Mitbürger inhaftiert war, verbunden sind. Gleichzeitig glaube ich, dass solche Initiativen helfen, auch bei den Deutschen jene Wunden zu heilen, die ihnen einst durch den Zorn nach dem Krieg zugefügt wurden."
Nur eine offene und sachliche Reflexion all dieser unheilvollen Ereignisse in der Vergangenheit ist - so Vaclav Havel - die erste und bedeutendste Vorbedingung für den Aufbau der gemeinsamen europäischen Zukunft.