Vaclav Havel scheidet aus dem Präsidentenamt: Versuch einer Bilanz

Vaclav Havel, 1990, Foto: CTK

An diesem Sonntag endet offiziell die Amtszeit von Präsident Vaclav Havel. Anlass genug für Robert Schuster, in einer weiteren Folge der Sendereihe Schauplatz eine Bilanz über Havels Präsidentschaft zu ziehen.

Vaclav Havel,  1990,  Foto; CTK
Wenn in der Nacht von Sonntag auf Montag Punkt Mitternacht die Präsidentenstandarte auf der Prager Burg eingefahren wird und Präsident Vaclav Havel nach 13 Jahren aus dem höchsten Staatsamt scheidet, wird damit auch gleichzeitig eine wichtige Ära in der jüngsten Geschichte der Tschechischen Republik zu Ende gehen. Kein Wunder, dass in diesen Tagen vielerorts die Gelegenheit wahrgenommen wird, diese Zeit zu bilanzieren. Einige Politikwissenschaftler wiesen zwar in den letzten Tagen darauf hin, dass der Umstand, dass es den tschechischen Abgeordneten und Senatoren bisher nicht gelungen ist, sich auf einen Nachfolger Havels zu einigen, eine etwas paradoxe Situation entstehen ließ und daher die Havel-Präsidentschaft eigentlich noch nicht wirklich als abgeschlossen bezeichnet werden kann.

Dennoch: Welche Bilanz lässt sich nach den 13 Jahren, in denen Vaclav Havel in der Prager Burg residierte, ziehen? Das fragte Radio Prag den Politikwissenschaftler Miroslav Mares von der Masaryk-Universität in Brno/Brünn:

Vaclav Havel,  USA 1990,  Foto: CTK
Mit einigen wenigen Ausnahmen lässt sich behaupten, dass alle Würdigungen der 13jährigen Präsidentschaft Havels vor allem einen gemeinsamen Nenner haben: Das Ansehen, welches Havel weltweit genießt, hat dem Land vor allem unmittelbar nach der Wende fast buchstäblich die Türen zur Welt geöffnet. So können die Aufnahme Tschechiens in die NATO vor drei Jahren, genauso wie die künftige Mitgliedschaft in der Europäischen Union größtenteils dem scheidenden Präsidenten gut geschrieben werden.

Unterschiede gibt es jedoch bei der Beurteilung der innenpolitischen Rolle des Präsidenten in den vergangenen Jahren. Politikwissenschaftler Mares zählt im folgenden einige der am meisten kritisierten Aspekte von Havels Präsidentschaft auf:

Wenn nun jemand, wie Vaclav Havel nach 13 Jahren das höchste Amt im Staat verlässt, kann auch sicherlich die Frage gestellt werden, wie stark er etwa in dieser Zeit die politische Kultur Tschechiens prägen und somit auch in gewisser Weise die Richtung für die Zeit danach vorgeben konnte? Der Politologe Mares ist in dieser Hinsicht etwas vorsichtig, wenn es um eine endgültige Bilanz der Ära Havel geht:

Miroslav Mares meint im weiteren, dass man erst darüber diskutieren müsste, wie stark eine einzige politische Persönlichkeit, wie z.B. Havel, überhaupt die Entwicklung in bestimmten spezifischen Bereichen der Gesellschaft beeinflussen kann und ob man dann korrekterweise auch nicht andere Politiker, die in den vergangenen 13 Jahren ebenfalls in Spitzenpositionen der tschechischen Politik tätig waren, erwähnen müsste.

Blickt man auf die vergangenen 13 Jahren zurück, lässt sich relativ gut verfolgen, wie sich während dieser Zeit nicht nur das Amtsverständnis Havels, sondern auch sein Einfluss auf die Entwicklungen im Land veränderte. Vereinfacht lässt sich behaupten, dass Havels Möglichkeiten einzugreifen in den letzten Jahren bedeutend geringer waren als gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft Ende Dezember 1989. Von den weitreichenden Kompetenzen, die dem Staatsoberhaupt von der damals noch geltenden kommunistischen Verfassung gewährt wurden, machte Havel oft Gebrauch und legte etwa dem Parlament zahlreiche Gesetzesentwürfe vor oder scharte um sich einen relativ großen Beraterstab, der sich bald zu einer Art Parallelregierung entwickelte. Die Allgegenwärtigkeit Havels in den Jahren 1990 bis 1992, wo der Präsident fast täglich in den Medien präsent war, verstärkte den Eindruck vieler seiner Landsleute, dass der Präsident wirklich die Geschicke der Tschechoslowakei leite und somit für fast alles, was sich im Land selber tut oder nicht tut, verantwortlich sei.

Vaclav Havel,  1990,  Foto; CTK
In einer völlig anderen Lage fand sich Havel nach 1993 wieder, als er das erstemal zum tschechischen Präsidenten gewählt wurde und sich auf Grund der neuen Verfassung mit relativ bescheidenen Kompetenzen zufrieden geben musste. Doch auch hier fand er Mittel und Wege, wie er insbesondere indirekt das politische Geschehen des Landes in einigen Punkten wesentlich mit beeinflussen konnte. Havel entwickelte somit einen für ihn typisch gewordenen politischen Stil, der darauf angelegt war, in allen maßgebenden Parteien potentielle Verbündete zu haben, über die er versuchen konnte seine Vorstellungen in die Praxis umzusetzen. Kann man nun behaupten, dass hier Havel auf lange Zeit einen bestimmten Weg vorgegeben hat, den auch die künftigen tschechischen Präsidenten beschreiten werden, oder werden alle potentiellen Nachfolger Vaclav Havels versuchen eigene Wege zu gehen? Der Brünner Politologe Mares meint dazu im folgenden:

Auch in einem weiteren wichtigen Punkt wird Tschechien nach dem 2. Februar in gewisser Weise Neuland betreten: Die meisten bisherigen Präsidenten traten nämlich entweder in hohem Alter oder aus gesundheitlichen Gründen zurück, womit sie eigentlich keine Gelegenheit mehr hatten, sich am politischen Leben des Landes weiter zu beteiligen. Mit Havels Ausscheiden aus dem Präsidentenamt entsteht jedoch zum erstenmal die Situation, dass ein Ex-Präsident auch nach dem Ende seiner Amtszeit höchstwahrscheinlich auf irgendeine Weise aktiv bleiben wird. Welche konkrete Formen könnte diese Tätigkeit im Falle Havels haben? Abschließend kommt noch einmal der Brünner Politikwissenschaftler Miroslav Mares zu Wort.

Verehrte Hörerinnen und Hörer, soweit unsere heutige Schauplatz-Sendung. Vom Prager Mikrophon verabschiedet sich von Ihnen recht herzlich Robert Schuster.