Immer noch kein Nachfolger für Vaclav Havel - Präsidentenwahl geht in die dritte Runde

Abgeordneten kamen im Spanischen Saal zusammen (Foto: CTK)

Beherrschendes Thema dieser Sendung ist aus gegebenem Anlass die Präsidentenwahl. Aus dem Prager Studio begrüßen Sie dazu recht herzlich Robert Schuster und Silja Schultheis.

Abgeordneten kamen im Spanischen Saal zusammen  (Foto: CTK)
Am Freitag, dem 28. Februar, sind die Abgeordneten der oberen und unteren Parlamentskammer zum dritten Mal im Spanischen Saal der Prager Burg zusammengekommen, um einen Nachfolger für Vaclav Havel zu wählen, der bereits Anfang Februar aus dem Amt geschieden ist. Auch wenn das Ergebnis vor Redaktionsschluss dieser Sendung noch nicht bekannt war, gab es bereits im Vorfeld eine Fülle an Kommentaren zur Bedeutung der Wahl, Analysen über die Kandidaten sowie die Taktik der politischen Parteien. Die Präsidentenwahlen waren zweifelsohne das innenpolitische Thema Nr. 1 der vergangenen Wochen und das spiegelt sich auch in den Medien wider.

Die Zeitung HOSPODARSKE NOVINY ist der Auffassung, dass es bei den Präsidentenwahlen auch um den Charakter der tschechischen Demokratie geht:

"Die Verzögerungen bei der Wahl sind Ausdruck eines Wettkampfes innerhalb der Sozialdemokraten. Vereinfacht gesagt ein Wettkampf zwischen dem Lager des tschechischen Premiers und Innenministers - Spidla/Gross - und den Anhängern von Ex-Premier Milos Zeman und seinem Chefberater Slouf. Zwischen jenen also, die dafür sind, dass sich die Partei von dem alten Stil der Politikmacherei und Korruption trennt und jenen, denen die neue Ordnung nicht schmeckt. Dass es bislang gelungen ist, die Wahl von Milos Zeman zu verhindern, ist ein äußerst positives Ergebnis dieses Zweikampfes."

Im Endeffekt, schlussfolgert der Kommentator, gehe es bei der Präsidentenwahl um einen komplizierten, ernsten und zielstrebig geführten politischen Kampf, in dem u.a. darüber entschieden werde, in welche Richtung sich die Demokratie in Tschechien künftig entwickelt.

Die Wochenzeitung RESPEKT sieht es anders und stellt folgenden Aspekt in den Vordergrund:

Jan Sokol  (Foto: CTK)
"Diesmal ist der Grund ein anderer als bei den ersten beiden Wahlrunden, als es um einen Interessenskonflikt zwischen den Sympathisanten von Milos Zeman und den Anhängern von Vladimir Spidla ging. Heute stößt der Kandidat der Regierungskoalition Jan Sokol einen Teil der Wähler aus dem Regierungslager durch seine Haltung zur sudetendeutschen Frage ab. Vor sieben Jahren hat Sokol verkündet, dass die Vertreibung eine Schande war. Und das können ihm nicht nur die Kommunisten, sondern auch einige Sozialdemokraten bis heute nicht vergessen."

Die Zeitung PRAVO beschäftigt sich mit der Frage, welche Prinzipien der Kandidat der oppositionellen Konservativen, Vaclav Klaus, verkörpert:

Vaclav Klaus  (Foto: CTK)
"Klaus auf der Burg wäre gleichbedeutend mit der Einsicht, dass die Transformation in eine Marktwirtschaft hier gut verlaufen ist, dass auch die Privatisierung und die Teilung der Tschechoslowakei ein Erfolg waren und die überwiegende Orientierung an den USA und den konservativen Kräften der Welt richtig ist. Die Wahl des politischen Rentners Klauses wäre allerdings auch eine Bestätigung seiner häufig kritisierten Europa skeptischen Haltung."

Der zweite Kandidat, Jan Sokol, hingegen steht nach Meinung der Zeitung LIDOVE NOVINY für vollkommen andere Prinzipien:

"Sokol ist eine moralisch integre Persönlichkeit, er hat nicht gezögert, die Charta 77 zu unterschreiben und die Folgen dieser Tat zu tragen. Politik hat er nach 1989 nicht wie einen Kampf um die Macht verstanden, sondern vor allem als Dienst an der Öffentlichkeit. Einen Präsidenten zu haben, der auf der einen Seite eine integrative Persönlichkeit ist, die bereit ist, nach Kompromissen zu suchen, aber gleichzeitig als moralisches Korrektiv wirkt, wäre für die tschechische Politik und Gesellschaft in jedem Fall eine Bereicherung."

Meinungsumfragen haben es mehrfach bestätigt: Würde zum jetzigen Zeitpunkt eine Direktwahl des Präsidenten durch das Volk stattfinden, hätte Vaclav Klaus die mit Abstand größten Chancen auf einen Wahlsieg - Anlass für die Zeitung Hospodarske noviny, nach den Gründen für Klausens Popularität in der tschechischen Bevölkerung zu fragen:

"Ist es dem Ex-Vorsitzenden der Konservativen etwa binnen relativ kurzer Zeit nach dem Austritt aus der Partei und nach zwei guten Reden vor den ersten Wahlrunden gelungen, die Mehrheit der Bürger davon zu überzeugen, dass er sich vom Partei-Falken in eine allgemein akzeptable Persönlichkeit verwandelt hat? Vaclav Klaus hat wahrscheinlich nicht so sehr der Fassadenwechsel geholfen als viel mehr die zweifelhafte Aufstellung seiner Gegenkandidaten. Mit anderen Worten: Je angestrengter sich die Regierungskoalition bei der Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten gegenseitig zerfleischte, um so größer war der Sympathiezuwachs für Klaus. Die 30 Prozent der Bürger, die nach den Umfragen Sokol wählen würden, sind vor diesem Hintergrund gar kein so schlechtes Ergebnis, vor allem wenn man bedenkt, dass sein Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit nicht groß ist. "

Aufgrund der Mächtekonstellation im Parlament kam den Kommunisten bei der Präsidentenwahl die Rolle eines Züngleins an der Waage zu. Einen Tag vor der dritten Wahlrunde verkündete die Parteiführung, dass die kommunistischen Abgeordneten in keinem Fall für Jan Sokol stimmen werden. Hören Sie hierzu den folgenden Kommentar aus der Zeitung LIDOVE NOVINY:

"Die Kommunisten sind wieder in ihrem Element. Nur zu gut sind sie sich bewusst, dass ihre 44 Stimmen die entscheidende Rolle bei der Wahl spielen können. Klaus hat bei den Kommunisten weitaus größere Chancen als sein Gegenkandidat, was auf den ersten Blick paradox erscheint. Dennoch haben die Kommunisten gute Gründe, für Klaus zu stimmen. Sie wissen, was sie von ihm zu erwarten haben und sie wissen auch, dass Klaus sie als Vertreter eines mechanischen Parlamentarismus gemäß der Stärke ihres Mandats respektieren wird."

Auch die Zeitschrift LITERARNI NOVINY sieht in der Unterstützung der Kommunisten für den Vater des Kapitalismus in Tschechien, Vaclav Klaus, eine gewisse Logik:

"Die Haltung der Kommunisten bei den Präsidentenwahlen ist nicht nur von ideologischen Prinzipien geprägt. Gewiss ist hier auch die Bemühung im Spiel, für ihre Unterstützung eine Belohnung zu erhalten, messbare Vorteile zu erlangen. Zuletzt hat der Vizevorsitzende der Kommunisten die vorläufige Rechnung angedeutet: Für die Unterstützung bei der Wahl fordert die Partei die Zerschlagung der letzten Hürden, die verhindern, dass die Kommunisten als regulärer Bestandteil des politischen Spektrums akzeptiert werden."

Ein weiteres Thema, das die tschechischen Medien in der vergangenen Woche beschäftigte, war der 55. Jahrestag der Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei am 25. Februar 1948. Die Zeitung LIDOVE NOVINY schreibt dazu:

"Noch vor 14 Jahren gehörte in der damaligen Tschechoslowakei der 25. Februar zu den wichtigsten Daten im Kalender. Nach dem November 1989 wurde der "siegreiche Februar" in das rechte Maß gerückt. Das Problem der kommunistischen Inthronisierung war aber ziemlich schnell vom Tisch gewischt. Heute, 55 Jahre später, widmen sich die Historiker ihm nur am Rande. Warum interessiert der "siegreiche Februar" auch die Gesellschaft nicht? Warum haben wir ihn alle vergessen?"

Die Zeitung Mlada fronta dnes stellt folgende Überlegung an:

"Die Tschechen standen dem Kommunismus immer näher als andere. Bis heute ist unsere kommunistische Partei stark. Ihr Ansehen wird weder von ihrer grauenhaften Vergangenheit bedroht, noch von ihrer gegenwärtigen schmarotzerhaften Existenz. Auf die jetzige Präsidentenwahl werden die Kommunisten entscheidenden Einfluss haben. Im Februar 1948 haben die Kommunisten von der mangelnden Zusammenarbeit und der Unfähigkeit der demokratischen Parteien profitiert. Im Februar 2003 profitieren sie ebenfalls genau davon."

Soweit, meine Damen und Herren, der Medienspiegel von Radio Prag vom 28. Februar 2003. Wir möchten Sie an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass alle in dieser Sendung zitierten Kommentare verfasst wurden, bevor der Ausgang der dritten Runde der Präsidentenwahl am Freitag bekannt war.

Für Ihre Aufmerksamkeit bedanken sich Robert Schuster und Silja Schultheis.