Neue Märkte - Neue Chancen
Europa steht am 1. Mai 2004 an einer historischen Wegmarke: Der Binnenmarkt mit 450 Millionen Einwohnern wird Wirklichkeit und die Teilung Europas hoffentlich endgültig und nachhaltig überwunden. Bereits im Vorfeld dieses historischen Datums sind die Dinge im Fluss, das heisst die neuen EU-Beitrittsländer werden allenthalben von den Bisherigen umworben. So fand kürzlich in Prag eine grosse österreichische Lebensmittelschau statt. Dazu der folgende Bericht im heutigen Wirtschaftsmagazin von Alexander Schneller.
Denn es dauert schon nicht mehr sehr lange bis zum 1. Mai 2004, wenn die neuen Beitrittsländer, unter ihnen auch die Tschechische Republik, zur EU stossen. Dadurch wächst der EU-Binnenmarkt um nicht weniger als 100 Millionen Konsumenten. So eröffnet sich ein respektabler neuer Markt für beide Seiten: für die alten, bisherigen EU-Länder und für die neuen. Und die neuen Länder werden natürlich schon jetzt kräftig umworben. Tschechiens Nachbarland Österreich hat eben deshalb ins Hotel Diplomat geladen, um in einer beeindruckenden Schau österreichische Lebensmittel vorzustellen.
Es ist an dieser Stelle interessant, ein paar Zahlen zu nennen, wie sich die Handelsbeziehungen in Europa in den letzten Jahren und Monaten entwickelt haben. Nach den Worten des Vizepräsidenten der Wirtschaftskammer Österreich Richard Schenz hat sich für Österreich das Exportvolumen in die bisherige EU zwischen 1993 und 2002 verdoppelt, das Ausfuhrvolumen in die EU-Beitrittskandidatenländer hingegen verdreifacht. Allein mit Tschechien machte der Exportzuwachs in den ersten sieben Monaten 7,1 % aus und die Importe steigerten sich um enorme 20% auf 1,5 Mrd Euro. Das Ausfuhrvolumen der gesamten österreichischen Agrarprodukte und Lebensmittel nach Tschechien machte zwischen Januar und Juli des laufenden Jahres 56, 7 Mio Euro aus und hält damit einen Anteil von 4,2 % an den Gesamtexporten in die Tschechische Republik. Für Tschechien auf der anderen Seite ist Österreich mit einem Anteil von 6,1 % nach Deutschland und der Slowakei im Export drittwichtigster Partner, importseitig liegt Österreich mit 4,2 % an siebter Stelle. Umgekehrt ist die Tschechische Republik für Österreich der achtwichtigste Handelspartner, noch vor Ländern wie Spanien, China, Russland oder Schweden. Ausserdem ist Österreich in Tschechien mit einem Investitionsvolumen von über 4,1 Mrd Euro drittgrösster ausländischer Investor nach Deutschland und den Niederlanden.
Nach diesem Zahlenfestival gehen wir wieder zurück zur Landwirtschaftschau ins Hotel Diplomat. Dort hatten also an die 60 Firmen ihre Produkte ausgestellt. Eingeladen war vor allem ein tschechisches Fachpublikum des Lebensmittel- und Getränkegrosshandels, der Supermarktketten und Gastronomie, d.h. Firmenvertreter, die sich als mögliche Importeure oder Abnehmer für österreichische Waren interessieren. Und was erwarten sich die österreichischen Aussteller vom Ganzen? Das fragte ich Ernst Stocker, den Geschäftsführer von Landhof Fleisch und Wurstwaren Trading GmbH mit Sitz in Linz:
"Unsere Firma hat seit neun Jahren ein Joint Venture hier in Tschechien und vertreibt vor allem Wurstwaren. Wir haben in Österreich drei Fleischproduktionsbetriebe. Wir erwarten uns hier, noch einige Kundenkontakte zu knüpfen und den einen oder anderen Entscheidungsträger auf tschechischer Seite von der Leistungsfähigkeit unserer Firma und der Qualität unserer Produkte überzeugen zu können. Wir beliefern zurzeit schon Supermärkte. Das wollen wir ausbauen. Aber auch der tschechische Grosshandel ist für uns sehr interessant, ebenso Gastronomie und Hotellerie."
Kontakte schaffen, sich kennen lernen, aber auch Ängste abbauen, das sind unter anderen die Ziele solcher Veranstaltungen. Denn Ängste gibt es hüben und drüben. In den bisherigen EU-Ländern Angst vor so genannten Billigprodukten oder Arbeitskräften zu Dumping-Löhnen zum Beispiel, in den neuen Ländern die Angst vor dem Unbekannten oder schlicht vor der Konkurrenz, wenn nämlich am 1. Mai nächsten Jahres die teilweise hohen Importzölle entfallen. Wenn dann beispielsweise italienische oder eben österreichische Weine nicht mehr viel teurer sind als mährische.
Wie sehr Österreich an einer erfolgreichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Tschechien, einem geschichtlich und traditionell eng verbundenen Land, liegt, zeigt die Tatsache, dass der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Josef Pröll anwesend war. Er betonte unter anderem an der Pressekonferenz, wie wichtig Kontakte seien, damit man sich besser kennen lernen und allfällige Vorurteile auf beiden Seiten korrigieren könne. Und, das zeige die jüngste Entwicklung, österreichische Lebensmittel seien als Qualitätsprodukte für tschechische Konsumentinnen und Konsumenten immer attraktiver. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die steigende Kaufkraft in der Tschechischen Republik dazu geführt hat, dass zum Beispiel Prag bereits jetzt in Punkto Kaufkraft rund 70 % des Wiener Niveaus erreicht und im Vergleich mit dem Burgenland, der Steiermark, Kärnten oder Niederösterreich sogar voran liegt. Ausserdem verbinde das gemeinsame grosse kulinarische Erbe als ehemalige Kronländer der Monarchie. Man denke nur an die legendäre "Böhmische Köchin", einen Inbegriff der Kochkunst.
Auch von Minister Pröll wollte ich zunächst wissen, was er sich von der Prager Veranstaltung verspricht:
"Ich glaube, dass mit dem Beitritt Tschechiens in die EU neue Zeiten anbrechen im gegenseitigen Austausch von Waren. Die Konkurrenz wird stärker sowohl für Österreich als auch für die Tschechische Republik. Und es gibt neue Märkte zu besetzen, und deswegen sind wir hier, damit Österreich seine Produkte zeigen kann, Werbung machen kann für österreichischen Geschmack und Qualität. Wir treten mit einem klaren Konzept auf: naturnahe, regional produzierte Waren sollen auch hier in Tschechien konsumiert werden."
Auf meine Frage, ob er schon einmal in Prag gewesen ist und welchen Eindruck er jetzt von der tschechischen Metropole gewonnen hat, antwortete Minister Pröll:
"Ich war 1990 das letzte Mal in Prag auf der Hochzeitsreise mit meiner Frau. Es hat sich unglaublich viel verändert seither. Ich muss das wirklich sagen, es ist eine faszinierende Stadt, es ist eine faszinierende Entwicklung im ganzen Land spürbar. Auch das wird durch den Beitritt zur EU sicher noch verstärkt. Was ich in den Supermärkten gesehen habe, hat mich begeistert, es ist ein Standard, wie man ihn sich nur wünschen kann. Aber es sollte noch mehr Platz sein für österreichische Waren, und deshalb sind wir heute hier."
Es ist klar, dass einerseits diese Veranstaltung dazu diente, den österreichischen Export anzukurbeln. Anderseits aber ist man in Wien darum bemüht, eine so genannte "Win-Win"- Situation zu schaffen, das heisst beide Seiten sollen etwas davon haben, sollen Gewinner sein. Deshalb bedeuten neue Märkte neue Chancen. Die angestrebte "Win-Win"-Situation für tschechische Importeure wird auch handelspolitisch unterstützt. Die bisher erfolgreich umgesetzten Handelszugeständnisse der EU an Tschechien haben zum Beispiel bei einer Vielzahl von Agrarprodukten, Lebensmitteln und Getränken den freien Warenverkehr, also keine Zölle mehr, bereits vorweggenommen.
Das Interesse an der Veranstaltung von tschechischer Seite war sehr gross. 120 Firmenvertreter und 30 Journalisten nahmen daran teil. Angeregte Diskussionen und Gespräche wurden geführt, Visitenkarten ausgetauscht. Die Atmosphäre war entspannt und die angebotenen Köstlichkeiten rundeten das Ganze angenehm ab. Unter den tschechischen Interessenten befand sich auch der Journalist Jiri Rezac, unter anderem Chefredaktor der Zeitschrift "Gastronews". Warum er hier sei, wollte ich wissen:
"Wir haben zwei Gründe, hier zu sein. Erstens sind wir Journalisten und wollen darüber berichten. Wir sind neugierig, wie es momentan in Österreich aussieht, was sie nach Prag und in unser Land bringen, wie sie sich hier präsentieren. Zweitens sind viele österreichische Firmen hier, sodass man Kontakte knüpfen kann."
Neugierde, gespannt sein auf den Anderen, auf das Neue. Das ist zweifellos eine gute Voraussetzung für die Zukunft. Für die Zukunft der Europäischen Union. Für das Miteinander zum Beispiel zwischen Tschechien und Österreich. Auch und gerade auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.