Baden-Württemberg hat festen Fuß in der tschechischen Wirtschaftslandschaft gefasst
Die deutsche Wirtschaft holt sich Atem - und Tschechien freut sich. Mit dieser Schlagzeile reagierte die tschechische Wirtschaftszeitung "Hospodarske noviny" auf die dieser Tage veröffentlichten Angaben der Europäischen Zentralbank sowie des Deutschen Statistischen Amtes, die auf eine, wenn auch bisweilen nur moderate Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft schließen lassen. Eine gute Nachricht also für Tschechien über seinen größten Handelspartner Deutschland. Hierbei geht es aber bei weitem nicht um eine Einbahnstraße. Über ein Beispiel, dass auch die deutsche Seite sowohl die bereits bestehenden Kontakte zu schätzen weiß als auch weiter ausbauen will, berichtet nun Jitka Mladkova im folgenden Wirtschaftsmagazin.
Die tschechische Wirtschaft ist tatsächlich mit der deutschen sehr eng verknüpft. Hier stellvertretend eine Angabe der Tschechischen Nationalbank (CNB), die diese Feststellung eindeutig belegt: Die Verlangsamung der Wachstumsrate der deutschen Wirtschaft um einen Prozentpunkt ruft der CNB zufolge einen 2,6-prozentigen Rückgang der tschechischen Exporte hervor. Und so gilt vor allem die künftige Entwicklung der deutschen Wirtschaft als Schlüsselfaktor für das Gedeihen der tschechischen Wirtschaftsbranchen. Gegenseitige Kontakte sind also erwünscht, und dies auf beiden Seiten. Vorige Woche weilte eine Wirtschaftsdelegation aus Baden-Württemberg, geleitet von Wirtschaftsminister Walter Döring, zu einem zweitägigen Besuch in Tschechien.
"Wir haben da ganz interessante Zahlen, die zu erwähnen sind: Wir haben von 1996 bis 2002 die Exporte aus Baden-Württemberg in die Tschechische Republik verdoppelt, was aber interessant ist, dass wir die Importe aus der Tschechischen Republik nach B-W in dieser Zeit verdreifacht haben. Wir sind jetzt auf dem Niveau, dass wir sagen können, wir exportieren für 2,2, Mrd. Euro und importieren für 2,3, Mrd. Euro."
Die höheren Importe aus Tschechien seien für ein vor allem auf Export orientiertes Baden-Württemberg relativ selten, meinte Döring. Er selbst besuchte Tschechien jetzt bereits zum dritten Mal und kann vergleichen:
"Was mir gegenüber 2001 sehr angenehm aufgefallen ist, dass man über Themen wie Privatisierung und Umweltschutz ganz anders spricht als vor zwei Jahren - viel offener, viel selbstverständlicher. Das ist ja für Investoren ein interessantes Thema, die Privatisierung. Sie ist längst eine Selbstverständlichkeit geworden. Niemand ist noch zögerlich beim Antworten, wenn es um die Privatisierung geht. Im Gegenteil, die Bereitschaft ist da, weitere Fortschritte zu machen. Da merke ich, dass sich einiges bezüglich des Angleichens an die EU-Verhältnisse getan hat."
Wie der baden-württembergische Wirtschaftsminister informierte, will man im April kommenden Jahres das Beitrittsland Tschechien im Rahmen eines so genannten Wirtschaftstages in Stuttgart vorstellen und er selbst plant schon jetzt einen neuen Besuch in Tschechien im Herbst 2004. Auf diese Weise möchte er demonstrieren - so Döring wörtlich - dass man häufiger aus Baden-Württemberg kommen und damit für Kontinuität in den Beziehungen sorgen wolle. Diese seien - wie an konkreten Ergebnissen ersichtlich - von beiderseitigem Vorteil. Im Hinblick auf die ost- und mitteleuropäischen Beitrittsländer hatte Walter Döring auch gleich konkrete Zahlen parat:
"Ich gestehe, dass wir als exportorientiertes Bundesland natürlich diese ost- und mitteleuropäischen Beitrittsländer frühzeitig entdeckt haben als kommende wachsende Märkte. Wir haben in den letzten zehn Jahren, von 1992 - 2002, den Export aus Baden-Württemberg um insgesamt neun Prozent und den Export in diese mittel- und osteuropäischen Länder um 17 Prozent gesteigert. Dies zeigt, hier ist schon ein sehr starkes Interesse auch auf unserer Seite vorhanden."
Auf dem Programm der diesjährigen Tschechien-Visite der Baden-Württemberger standen zwar auch Verhandlungen im tschechischen Wirtschaftsministerium bzw. im Prager Magistrat, diese bildeten jedoch mehr oder weniger nur die politische Flankierung der Unternehmergespräche, die den Schwerpunkt der Visite darstellten. Dazu Walter Döring:
"Wir sind mit einer Handwerkerdelegation hier. Es sind 19 Handwerksbetriebe aus Baden-Württemberg, die in Brünn (Brno) gestern und heute Gespräche führen, und zwar auf eine neue Art und Weise. Sie sind direkt in die Betriebe gegangen, also treffen sich nicht im Hotel und fragen: ´Was macht ihr, was machen wir´. Sie sind vielmehr so vorbereitet, dass sie sich in den tschechischen Betrieben getroffen haben und schauen, welche Kooperationen da möglich sind, wie man miteinander ins Geschäft kommen und wie man hier zusammenarbeiten kann."
Am 16. Januar kommenden Jahres werden sich alle zehn EU-Beitrittsländer, vertreten u. a. auch durch hochrangige Repräsentanten, aus Anlass der großen traditionellen CMT-Tourismusmesse in Stuttgart vorstellen. Hier werden sie sich zum ersten Mal in der Bundesrepublik Deutschland als interessante Urlaubsländer vorstellen können. Auch diesem Ereignis misst der baden-württembergische Wirtschaftsminister große Bedeutung bei:
"Ich meine, wenn wir alle zehn auf so eine Messe einladen, wo man uns selbst Konkurrenz macht - wir sind ja selbst ein Tourismus- und Urlaubsland -, dann unterstreicht das schon, glaube ich, das große Interesse, dass wir an der positiven Entwicklung unserer Beziehungen an den Tag legen."
Und nun hören Sie das kurze Gespräch, das ich mit Walter Döring führen konnte:
"Anhand der von Ihnen genannten Zahlen lässt sich auf zahlreiche bereits existierende Kooperationen zwischen Baden-Württemberg und Tschechien schließen. Nun frage ich Sie als Wirtschaftsminister, der auch für den Tourismus zuständig ist, inwieweit Tschechien als Reiseland in Deutschland und namentlich in Baden-Württemberg erst noch entdeckt werden muss. Alle Wege führen ja, wie man so sagt, bisweilen nach Prag."
"Es muss wirklich nicht entdeckt werden, denn wie Sie es sagen, ist Prag für den Städtetourismus schon längst in Baden-Württemberg beliebt, ja ausgesprochen beliebt. Brünn ist übrigens auch sehr bekannt. Brünn ist die Partnerstadt unserer Landeshauptstadt Stuttgart. Also daher betreten die Baden-Württemberger hier kein Neuland. Aber was, glaube ich, noch nicht ausreichend entdeckt ist, wenn ich schon für den Tourismus in der Tschechischen Republik zuständig wäre, das ist alles das, was zwischen den Städten liegt. Bisher sind bei uns hauptsächlich die Städte bekannt, für den Städtetourismus. Aber ich glaube, es gibt viel mehr zu bieten, z.B. im kulturellen Bereich. Darum bin ich gespannt, wie sich die Tschechische Republik auf dieser Tourismusmesse präsentieren wird."
"Sie haben auch den Umweltschutzbereich erwähnt - im Zusammenhang mit dem Besuch Ihrer Delegation in Tschechien. In Tschechien besteht, glaube ich, immer noch ein großer Nachholbedarf in diesem Bereich. Wo sehen Sie die Möglichkeiten, dass Firmen aus Ihrem Bundesland hier einsteigen könnten?"
"Ich glaube, es liegt vor allen Dingen daran, wie wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit den Umweltschutzvorschriften geregelt kriegen werden, damit es ein Tätigkeitsfeld für die Firmen aus Baden-Württemberg gibt, die zur Luftreinhaltung, zum Gewässerschutz und in anderen Aufgabenbereichen mehr beitragen könnten. Es gibt im gesamten Spektrum des Umweltschutzes nicht einen Bereich, der nicht interessant wäre für baden-württembergische Firmen. Wir haben über ein Tausend mittelständische Firmen, die umwelttechnologisch absolut Weltspitze sind, und die können in allen Feldern behilflich sein."
"Bayern und Sachsen sind Nachbarländer von Tschechien und auch hier gibt es eine umfassende Zusammenarbeit - Projekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Spüren sie eine gewisse Konkurrenz von Seiten dieser Bundesländer?"
"Ja, selbstverständlich. Vor allem die Konkurrenz mit den Bayern, aber die haben wir ja nicht nur in der Tschechischen Republik, die haben wir überall. Aber diese Konkurrenz empfinden wir als notwendig und als gesunden Wettbewerb. Übrigens kommt der allen unseren Partnern zugute. Die Bayern wollen hier möglichst erfolgreich sein, wir wollen dies auch. Wir werben ja auch um Sie."
Dass deutsche Firmen ihren Standort nicht selten weiter nach Osten verlegen, um ihre Lohnkosten senken zu können, löst bekanntlich nicht immer positive Reaktionen in Deutschland aus. Groß ist aber auch mancherorts die Angst vor der Überschwemmung des Arbeitsmarktes durch Arbeitskräfte aus dem Osten. Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Walter Döring ist aber zuversichtlich, dass man die neu entstandene Situation durch die bei den EU-Beitrittsgesprächen ausgehandelten Regelungen wird bewältigen können. Dem erweiterten Europa sieht er voller Optimismus entgegen:
"Ich rate zu Gelassenheit und zur Freude, weil es ja eine tolle Sache ist! Ich finde es riesig. Ich freue mich sehr über diese Beitrittsländer. Man muss es sich mal vorstellen, wie Europa ab dem 1.Mai aussehen wird. Das ist doch phantastisch!"